Durch kreatives Upcycling verwandelt die portugiesische Designerin Vanessa Barragāo Reste der Textilindustrie in luxuriöse Designerteppiche, die Korallenriffe darstellen und zum Naturschutz aufrufen
Bereits im jungen Alter hatte Vanessa ein besonderes Faible für Handarbeiten. Mit ihren Großmüttern lernte sie Häkeln und Stricken, mit dem Großvater Holzarbeiten und mit der Mutter entdeckte sie die Malerei. Früh stand für sie fest, dass sie Modedesignerin werden wollte. Doch es kam anders.
Während ihres Modedesign-Studiums in Lissabon stellte Vanessa fest, dass das was ihr lag nicht das Entwerfen von Mode war, sondern die Handarbeit mit den Materialien an sich. Für ihre Masterarbeit befasste sie sich daher mit der Produktion von Wollgarn, angefangen beim Schaf bis zum Garn und dem Endprodukt. Sie kaufte lokalen Hirten Rohwolle ab, kardierte und spann diese, färbte sie mit natürlichen Mitteln und produzierte eine handgefertigte ökologische Garnkollektion aus portugiesischer Schafwolle. Da sie diese nicht für die Herstellung von Kleidung benutzen durfte, ohne sie einem chemischen Prozess zu unterziehen, kam Vanessa, die großen Wert auf eine umweltschonende Produktion legt, auf die Idee Tapisserien anzufertigen. „Somit konnte ich meine Vorliebe für Handarbeiten mit meinem Interesse an Malerei verbinden, denn die Wandteppiche sind wie Gemälde“, erzählt sie schmunzelnd. Es folgte ein Praktikum beim kunsthandwerklichen Betrieb Tapetes Beiriz, für das sie weiterhin Designs entwickelt.
Weltweit bekannt ist sie mittlerweile für die Teppiche, die sie in ihrem Atelier in Porto in mühsamer Handarbeit herstellt. Die Textildesignerin, die in Albufeira in unmittelbarer Nähe zum Atlantik aufwuchs, lässt sich für ihre Teppichkunst von ihrer engen Beziehung zum Meer und ihrer Liebe zur Natur inspirieren. Mit ihren Arbeiten entführt Vanessa den Betrachter in eine Welt aus Korallenriffen, die sie bei Reisen durch die Welt entdeckt. Dabeip verknüpft die Designerin exquisites handwerkliches Können mit recycelten Materialien zu atemberaubenden, flauschigen, dreidimensionalen Unterwasserwelten für die Wand oder den Boden. Vanessa setzt ausschließlich traditionelle handwerkliche Techniken ein, wie Knüpfen, Häkeln und Filzen, und schafft es dadurch unterschiedliche Texturen zu erzeugen und einen skulpturalen Effekt in das Werk einzubauen. Die geschichteten Ränder und Bündel von sprudelnden Korallen fühlen sich lebendig und lustig an und ziehen den Betrachter sofort in ihre Bann.
Obwohl spielerisch, fordert Vanessas Arbeit uns auf, über das Wohlergehen unseres Planeten nachzudenken und darüber, wie sich unsere Handlungen auf empfindliche Ökosysteme, wie Korallenriffe, auswirken. „Die Textilindustrie zählt weltweit zu den größten Umweltverschmutzern. Bei nahezu jedem Prozess kommen Chemikalien zum Einsatz, insbesondere bei der Oberflächenbehandlung von Fasern und beim Färben. Gleichzeitig fallen tonnenweise Abfall und Einwegmüll an. All dies hat verheerende Konsequenzen für unseren Planeten und seine natürlichen Lebensräume. Das gilt vor allem für das Meer: Die Weltmeere absorbieren 90 Prozent der Luftverschmutzung – ihre Erwärmung ist bereits so weit fortgeschritten, dass zahlreiche Lebewesen in ihrem Fortbestand gefährdet sind. Die Korallenriffe und die vielen Tierarten, denen sie Schutz und Lebensraum bieten, sind besonders betroffen“, so Vanessa. Das Aussterben der Korallenriffe stellt sie durch den Farbkontrast ihrer Teppiche dar. „Während die bunten Teile das Leben darstellen, repräsentieren die farblosen Teile tote Korallen“, erklärt sie und ruft dazu auf, sich durch Upcycling dieser Entwicklung zu widersetzen. Daher sind alle von ihr verwendeten Materialien Abfallprodukte aus Textilfabriken vor Ort, die sorgfältig gereinigt werden, bevor sie in ihren Kreationen zum Einsatz kommen.
Hierzulande ist Vanessa weitgehend unbekannt, doch dank sozialer Netzwerke wie Instagram, erhält sie Einladungen und Bestellungen aus der ganzen Welt. Vor Kurzem wurde sie von den Organisatoren von Domotex, der Weltleitmesse für Teppiche und Bodenbeläge in Hannover, eingeladen, ihre Arbeit auf der Sonderfläche für Nachwuchstalente „Framing Trends“ zu präsentieren. Für die Messe schaffte Vanessa eine besonders eindrucksvolle Installation, die aus zwei Wand- und einem Bodenteppich bestand und die für Aufsehen unter den Messebesuchern sorgte. Stolz berichtet sie, dass die Fotos ihrer Teppiche oft in Werbespots der Messe ausgestrahlt wurden.
Derzeit arbeitet sie an ihrem bislang größten Projekt: Ein acht Meter breiter und drei Meter hoher Wandteppich, der von einer englischen Flughafenbetreibergesellschaft bestellt wurde und die Weltkarte darstellen sowie eine ökologische Nachricht vermitteln wird. Bei dieser Arbeit, die in einem Londoner Flug-hafen an der Wand hängen wird, wird Vanessa erstmals auch das traditionelle Flechtwerk der Algarve aus trockenen Palmblättern empreita einsetzen.
Info:
www.vanessabarragao.com
Instagram: vanessabarragao_work
Text: Anabela Gaspar in ESA 04/2019
Fotos: Vanessa Barragão