Portugals erste Unterwasser-Ausstellung
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurden vor der Algarve-Küste künstliche Riffe angelegt.
Nun soll ein weiteres dazukommen, mit einer Besonderheit: Es besteht aus Kunstwerken des renommierten Streetart-Künstlers Vhils, alias Alexandre Farto
Text: Anabela Gaspar
Fotos: JOSÉ PANDO LUCAS
Um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresökosysteme zu erreichen, schuf das portugiesische Meeresinstitut IPMA 1990 die ersten künstlichen Riffe vor der Südküste Portugals. Sie erstrecken sich über knapp 44 km und bestehen aus Tausenden von Betonmodulen. 2007 sorgte das Projekt Ocean Revival für Aufsehen: Vier von Schadstoffen befreite ehemalige Kriegsschiffe der portugiesischen Marine sollten vor der Küste von Alvor versenkt werden, um ein künstliches Riff und gleichzeitig ein besonderes Tauchgebiet zu schaffen. Umgesetzt wurde das Projekt Ende 2012 mit der Versenkung des letzten Schiffes, die 1.400 t schwere und 85 m lange Korvette Oliveira do Carmo, zwei Seemeilen vor dem Strand Prainha bei Alvor.
Das Riff, das nun vor der Küste von Albufeira entstehen soll, besteht ebenfalls aus ausgemusterten Objekten und zwar aus Teilen von thermoelektrischen Kohle- und Heizölkraftwerken, die das Stromversorgungsunternehmen EDP stilllegte. Das ist jedoch nicht alles. Diese Teile wurden in den letzten drei Jahren von Vhils umgewandelt, Portugals bekanntestem Streetart-Künstler und auch international einer der größten seiner Generation. Er ist vor allem für seine aus Mauern „geschlagenen“ Porträts bekannt, denn anstelle von Farben meißelt, bohrt, reißt, kratzt oder sprengt Vhils seine Bilder aus Mauern heraus (vhils.com). Es sind also nicht einfach alte Teile aus Kraftwerken, sondern wahre Kunststücke die – wenn alles nach Plan läuft – in diesem Monat versenkt werden sollen. Somit ist das EDP Art Reef auch Portugals erste Unterwasser-Ausstellung – allerdings eine, die Tauchern vorbehalten ist…
Die 13 von Vhils geschaffenen Kunstwerke werden eine Seemeile vor dem Santa
Eulália-Strand in 12 m Tiefe versenkt und im Laufe der Zeit von der Natur in ein aquatisches Ökosystem verwandelt werden. Die Idee stammt von EDP: „Im Rahmen unseres Kompromisses, bis 2030 klimaneutral zu sein und keine Energie mehr aus fossilen Brennstoffen zu erzeugen, forderten wir Vhils auf, ein künstlerisches Projekt mit Teilen zu entwickeln, die in der Vergangenheit der Stromerzeugung dienten“, erklärt das Unternehmen. Die ehemaligen Kohlekraftwerke werden Projekten für erneuerbare Energien weichen, und auch ihre Teile werden als Kunstwerke ein neues „Leben führen“ und hoffentlich eine vielfältige, bunte Fauna anziehen. Das imposanteste Kunstwerk ist das Periscópio, das aus dem Körper einer Kohlenmühle entstanden ist. Es ist 5,30 m hoch und hat einen Durchmesser von 4,77 m. Dieses Werk steht für die Zeit, in der „das Meer für die Menschheit nur ein Beobachtungspunkt war, eine unüberwindbare Grenze, die Neugier und gleichzeitig Angst vor dem Unbekannten weckte“, so der Künstler. Was als Wassertank für die Kühlsysteme eines thermoelektrischen Kraftwerks diente, wurde in das Kunstwerk Carcer umgewandelt: Eine 2,80 m hohe, 3 m breite und 4,20 m lange „Leinwand“, die eine Stadt darstellt, die für die technologische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung steht. Sie soll auch den gegenwärtigen Zustand der Menschheit darstellen, die „gefangen in den städtischen Zentren und abgekoppelt von der natürlichen Umgebung lebt“.
Rund 200 Personen waren an der Ausarbeitung des kreativen Konzepts für das EDP Art Reef, der Auswahl der Materialien und deren Umwandlung beteiligt. „Die Idee, Installationen aus Teilen abgebauter thermoelektrischer Kraftwerke im Meer zu versenken, hat eine starke metaphorische Bedeutung, sowohl im Hinblick auf die Sensibilisierung für die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen als auch auf Umweltprobleme, die dringend gelöst werden müssen und die auf die menschliche Aktivität zurückzuführen sind“, so Vhils. „Das Ziel dieses Projekts ist es, die Entwicklung innovativer Wege zu fördern, die zur Schaffung von Systemen führen, die eine harmonische Beziehung zur Natur herstellen. Die Umwandlung dieser Materialien in ein Ökosystem, das das Wachstum von Korallenriffen begünstigt und anderen Meereswesen Schutz bietet, ist ein Beispiel für diesen Ansatz und ich hoffe, dass dies der erste von vielen Schritten in Richtung einer zunehmend bewussten und nachhaltigen Zukunft ist“, fügte der Künstler hinzu.
Das Projekt, das Gegenstand einer öffentlichen Diskussion war, wurde von den zuständigen Behörden genehmigt. Laut Umweltverträglichkeitsprüfung wird es „keine negativen Auswirkungen auf das Ökosystem geben und einen ökologischen Gewinn darstellen, der positiv zur Entwicklung des lokalen Ökosystems beitragen wird“. Auf Empfehlung von Meeresbiologen wurden alle Kunststücke so gestaltet, dass Fische durch sie hindurch schwimmen können. Gleich nach der Versenkung sollen Korallen, die versehentlich in Fischernetzen gefangen oder von Stürmen herausgerissen wurden, dort verankert werden. In den kommenden Jahren wird das Riff überwacht werden und für wissenschaftliche Studien zur Verfügung stehen. Die regionalen Behörden wünschen sich zudem, dass das EDP Art Reef zur Stärkung der Bedeutung der Algarve als Tauchgebiet beiträgt.
Veröffentlicht in in ESA 06/23