Blaue Oase
Mitten im heißen Hügelland liegt der Stausee von Odeleite nördlich von Castro Marim. Rolf Osang nahm die Aufforderung ,,Entdecken Sie Algarve“ beim Wort und fuhr hin
Wer die südlichste Provinz Portugals abseits der Highways des Tourismus entdecken will, wird die Via do Infante als Aorta benützen und weiß: Richtig interessant wird es beim Erspüren der entlegenen Teile, und diese entdeckt man erst, wenn man durch die Venen und Nervenstränge der Natur in die sensiblen Zonen gerät: auf Nebenstraßen und einsamen Wegen. Am intensivsten zu Fuß. In der Juli-ESA stellte der Autor den Stausee Barragem do Funcho vor, ein verschwiegenes Kleinod im Zentrum der Algarve. Heute geht es wieder ans Süßwasser: An die Stauseen von Odeleite und Beliche, die viele aus der Entfernung kennen, wenn sie auf der IC27 nach Norden in Richtung Beja schnellfahren. Dabei ist diese Gegend mehr als einen Stopp wert, nämlich einen Tagesausflug, und das nur eine Stunde Fahrtzeit von Portimão entfernt. Gleich hinter Castro Marim schlängelt sich die Straße in das heiße Hügelland hinein. Im Hochsommer wirkt die Landschaft durstig, braun sind Gräser und Büsche, nur Feigen- und Ölbäume, Schirmpinien und Zypressen und ab und zu ein Weingarten sattgrünen noch, geben einen schmeichelhaften Kontrast zum Blau des ersten Stausees, dem von Beliche, der sich zwischen den Hügeln sanft breit macht. An seine Ufer gelangen wir bei der Rückfahrt. Nach fünf Fahrtminuten erstreckt sich der Stausee von Odeleite linkerhand über 10 km lang in Richtung westliches Landesinnere, gespeist von dem Flüsschen Ribeira de Odeleite, das 2 km weiter östlich in den Rio Guadiana mündet. Am Nordende des Staudamms die IC27 verlassen, die Schnellstraße unterqueren und dem Schild Montinho folgen. Knapp 5 km Wegstrecke sind es bis zu diesem Dörfchen. Ein paar alte Leute widerstehen dem Drang, der alle jungen Leute längst befallen hat: Hinunter zur Küste ziehen, wo das Leben mit viel Geld lockt. Im Hinterland haben junge Leute tatsächlich keine Chance zum Existieren. Die Concelhos von Alcoutim und Monchique haben in den letzten 15 Jahren über 50 Prozent ihrer Bevölkerung verloren. Das Resultat ist, wie in Montinho, dieses: Ein geradezu idyllisches Dörfchen zeigt sich, hier und dort wird Brot im Backofen vor einem aus Schiefersteinen geschichteten Haus gebacken, ein alter Mann schält Bohnen, ein anderer treibt Ziegen in den Stall, am Dorfbrunnen schöpft eine Frau kühles Quellwasser. Bilder von Anno dazumal, gesehen im Jahr 2007. Diese Menschen gieren nicht nach dem trunkenen Trubel der Cidade. Sie haben sogar Angst davor und fühlen sich wohler, wenn sie umgeben sind von gurrenden Tauben und blökenden Eseln, nicht vom Lärm der Stadt. So scheint’s. Sie essen die Blüten von Kakteen und selbst gemachten Ziegenkäse. Aber wer weiß, ob sie nicht doch lieber bei ihrer Tochter in einem neuen Apartment unten in Monte Gordo mit Plastikstühlen und very fast food wohnen würden? In Montinho endet die asphaltierte Straße. Aber ein gut befahrbarer Weg führt weiter zum See. Ergreifend, die vielen Ausblicke: Brisen streichen über die Wasserfläche und hauchen ein Netz aus Silberklecksen aufs tintige Blau. Das Wasser dient der Versorgung von 550.000 Menschen im Sotavento. Gott sei Dank steht der Wasserpegel fast am oberen Rand, und das Mitte Juli! So etwas hat es seit Jahren nicht gegeben. Der kühlnasse Frühling machte es möglich. Rund um den See wie um alle Stauseen führt ein stets in gutem Zustand gehaltener Fahrweg. Auf ihm und seinen zahlreichen Abstechern zum Ufer lässt es sich bestens wandern. Man kann im Seewasser, das im Sommer 28 Grad warm wird, schwimmen, sollte dabei aber unbedingt auf Öle und Cremes verzichten und am Ufer keinerlei Unrat hinterlassen. Zurück in Odeleite, geht es auf der IC27 südwärts zur nächsten Ausfahrt, oder man fährt von Odeleite nach Foz de Odeleite, dann südwärts am Rio Guadiana entlang; nach 5 km rechts abbiegen. Stilles, einsames, hügeliges Land. Ein paar Ruinen. Bei Quebradas zwei Windmühlen. Bald geht es nach Choça und Casa Branca. Nun hinunter bis zum Wasserüberlauf für den Tunneleingang zum Barragem de Beliche rollen. Rebhühner flattern auf, Karnickel zickzacken zu ihrem Bau. Im Abendlicht reflektiert die Sommerlandschaft das Sonnenlicht in rotocker Tönen. Sogar die Trockengräser scheinen aufzuleben. Zurück fahren in Richtung Azinhal, bei Sentinela rechts abbiegen. Bald öffnet sich ein Bilderbuch-Ausblick auf den Stausee von Beliche. An einem lauschigen Uferplatz neben Feigenbäumen oder einem wilden Oleanderbusch lässt es sich gar wunderbar picknicken, und atmet man tief durch und riecht-schmeckt die wilden Kräuter und die Zistrosen, spürt man die Natur in sich aufgehen. Sie macht sich im Inneren breit wie der See zwischen den Hügeln und der Zauber eines solchen Ausflugs entfaltet seine ungezähmte stille Kraft. Um Leib und Seele zusammen zu halten, kann man auch in Odeleite im Restaurant Boa Vista gleich am See ordentlich essen. Aal (enguias ensopadas) ist die Spezialität des Hauses. Oder man nützt das reiche Angebot im nahen Vila Real de Santo António, wo rund um das Centro Cultural in der ehemaligen Markthalle stimmungsvolle Lokale wetteifern. Die Algarve entdecken ist nicht das zigmalige Anfahren bekannter spektakulärer Stellen, sondern das Aufspüren von versteckten Harmonien, die einen von innen her aufwärmen. Wellness für die Seele, in der Natur auftanken. Nichts bekommt dem Menschen besser. Versprochen!