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Am Ende Europas

Von agasparFr. 25. Juli 2014Aktualisiert:Mo. 22. September 20146 Min Lesezeit

Wanderroute Rota Vicentina

In jedem Algarve-Reiseführer wird über die Westküste der Region geschwärmt – zu Recht, denn die Costa Vicentina ist eine der unberührtesten Küsten Europas. Traumhafte Strände zwischen schroffen, imposanten Felswänden und der weite Atlantik, der immer wieder erbarmungslos gegen sie schlägt. Der beste Weg, um diese atemberaubende Landschaft zu erkunden, ist der Trilho dos Pescadores von der Wanderroute Rota Vicentina

Das Leben läuft nicht immer wie geplant. Auch meine Wanderungen nicht. Geplant war, den südlichsten Abschnitt des Trilho dos Pescadores, Circuíto Praia do Telheiro, von Norden Richtung Süden zu wandern. Ohne Geländewagen und ohne GPS war es uns jedoch unmöglich, den Startpunkt im Norden zu finden. Nachdem wir eine Stunde im Niemandsland herum gefahren sind, stellen wir verwundert fest, am Kap São Vicente angekommen zu sein und denken uns, dass wir genau so gut Richtung Norden wandern könnten. Wir stellen den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Leuchtturm ab und gehen direkt auf die Klippen zu. Die Route der Praia do Telheiro beginnt erst etwas weiter gen Norden, ungefähr auf der Anhöhe der großen Felsinsel, die wir von hier aus sehen. Von der Hauptstraße führt rechts ein breiter Schotterweg bis dorthin, aber wieso sollte man sich einen Besuch des Leuchtturms und diesen Ausblick entgehen lassen? Vorsicht ist jedoch geboten. Der Atlantik scheint eine magische Anziehungskraft zu haben. Schon zu viele Menschen stürzten die Klippen hinab und verloren ihr Leben. Man sollte also stets eine sichere Entfernung zum Felsvorsprung halten.

Für gehbehinderte Menschen ist diese Wanderung entlang der Pfade, die Fischer über Jahrzehnte austraten, um zu ihren geheimen Angelstellen zu kommen, nicht geeignet. Nahe dem Leuchtturm gleicht die Landschaft oberhalb der Felsen einer Steinwüste und man muss zirka 500 Meter lang auf jeden Schritt achten. In der Ferne ist die Landschaft grüner. Bäume sind jedoch weit und breit nicht zu sehen. Es ist eine steppenartige Vegetation, denn nicht viele Pflanzen können den Klimabedingungen, die hier herrschen, standhalten. Es ist Mitte Oktober und ich hatte damit gerechnet Zugvögel zu treffen, da ihr Weg ins warme Afrika über die Westküste führt. Am Himmel kreisen jedoch nur Möwen und um uns herum hunderte, sogar tausende Libellen. An der Felsinsel angekommen, werfen wir einen Blick auf die Karte und sehen, dass, wenn wir weiterhin entlang der Klippen laufen, wir weiter vorne auf den ? markierten Weg der Route Praia do Telheiro treffen.

Wir bleiben auf dem von uns gewählten Kurs und erreichen bald darauf eine zweite Felsinsel, hinter der eine imposante Felswand und eine Bucht zu sehen sind. In der Schlucht, die zum Strand führt, sehen wir eine Frau und einen Mann. Wenn sie es gewagt haben, können wir ebenfalls hinabsteigen! Zwei Pfade führen hinunter: einer am dünn bewachsenen Hang auf der linken Seite und einer direkt entlang der zirka 30 Meter hohen Felswand rechts. Wir wählen den Pfad entlang der Felswand. Die Abrutschgefahr scheint geringer zu sein, obwohl es steiler hinab geht. Wir treffen auf das Paar, die beiden kommen aus der Schweiz und sind extra zum Klettern an die Westküste gereist. Wir blicken die Felswand hinauf – an der tatsächlich einige Halteringe angebracht sind – und können es kaum fassen, dass sie vorhaben, dort hoch zu klettern. Ihnen zu folgen, erwies sich jedoch als eine sehr gute Idee, den die von oben kaum wahrnehmbare Bucht erweist sich als ein wunderschöner Strand mit kristallklarem Wasser und feinem Sand. Als ich über die letzten Felsen klettere und den Fuß auf den Sand setze, fühle ich mich wie Robinson Crusoe sich wohl gefühlt haben muss, als er gestrandet ist: Mutterseelenallein auf einem bislang nicht entdeckten Fleckchen Erde. Doch dann höre ich hinter mir: „Das ist ja wie in der Karibik!“ Wo Gabriel Recht hat, hat er Recht. Aber der Strand ist auch etwas bedrückend, da er von Felsen umgeben ist und hinter uns diese enorme Felswand in den Himmel ragt. Gabriel wirkt zwischen den Felsen wie eine Ameise. Nun sehen wir auch, dass die zweite Felsinsel mit dem Festland verbunden ist und einen Bogen formt, der für Postkartenmotive wie geschaffen ist.  Als wir den Aufstieg beginnen, sehen wir auf mittlerer Höhe der Felswand einen roten Punkt. Es ist die Schweizerin, die dort – scheinbar fast mühelos – die Wand hoch klettert. Für uns ist allein der normale Aufstieg schon mühsam, obwohl wir nun den Hang wählen. Wieder oberhalb der Klippen sehen wir einige Meter weiter im Norden die ersten grün-blauen Markierungen der Route. Nicht auf Holzpfosten sondern auf Steine gemalt. Ein weiterer Wegweiser sind die mariolas, d.h. kleine Steinhaufen. Wir folgen dem Weg einige Meter und beschließen dann, wieder selbst auf Entdeckung zu gehen. Der Pfad führt nämlich landeinwärts nach Norden und wir wollen zuerst Richtung Westen bis zur Spitze gehen, um von dort in der Weite gen Süden den Leuchtturm zu sehen und noch einmal in unsere Traumbucht zu blicken. Verlieren kann man sich ja nicht: einfach immer der Küste folgen. Genau dies tun wir, soweit nahe dem Felsvorsprung Pfade vorhanden sind, bis zum Strand Telheiro, der wegen seiner roten, imposanten Felswand schon aus der Ferne zu sehen ist.

Zirka zwei Stunden und 15 Minuten nach dem Start kommen wir an den Praia do Telheiro, der von extrem hohem geologischem Interesse ist. Hier treffen die stark zerklüftete Bergkette aus Schiefermassiv mit schwarzen Farbtönen, die sich die Westküste entlang zieht, und die südliche Bergkette aus Sedimentgestein, die aus orangenfarbenem Sandstein, dem roten Tonstein – typisch für die Gegend um Silves – und aus exzentrisch geformtem hellem Kalkstein gebildet wird, zusammen. Zwischen der Bildung der einen und der anderen liegen über 100 Millionen Jahre. Die Surfer, die sich unterhalb dieser spektakulären Felsformationen im Wasser tummeln, haben jedoch nur Augen für die Wellen.
An dieser Stelle kehren wir um. Die gesamte Route ist sechs Kilometer lang und führt bis zum Strand Praia da Ponta Ruiva. Plus sechs zurück zum Auto macht zwölf Kilometer. Wir beschließen, den nördlichen Teil der Route ein andermal zu erwandern. Zurück halten wir uns an die angegebene Route. Man muss stets nach den mariolas Ausschau halten. Am Traumstrand wieder angekommen, hat das Wasser bereits unsere Spuren verwischt. Bei Hochwasser steigt der Atlantik bis zu den Felsen. Die letzten Meter folgen wir der weiß-roten Markierung der Route Trilho Histórico, die ebenfalls zur Rota Vicentina gehört und etwas abseits der Küste entlang der Costa Vicentina bis Santiago do Cacém im Alentejo führt. Die Route endet an der Hauptstraße, zirka 1 km vor dem Leuchtturm. Für den Rückweg brauchen wir nur 1 Stunde und 15 Minuten. Schließlich kommen wir am Finisterra an. Bis Ende des 14. Jahrhunderts endete für die Europäer hier die Welt. Für uns endet hier die heutige, zirka 6 Kilometer lange Wanderung.

Anabela Gaspar
ESA 11/13

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