50 Persönlichkeiten aus verschiedenen politischen Lagern sowie Akademiker, Journalisten und Wissenschaftler, haben ein Manifest unterzeichnet, in dem sie dringend zu einer Reform des Justizwesens, insbesondere der Staatsanwaltschaft, aufrufen. Neben der Langsamkeit beschuldigen sie die Staatsanwaltschaft der „Verletzung von Justizgeheimnissen und schwerwiegenden Missbräuchen bei strafrechtlichen Ermittlungen“. Das Manifest prangert das „verzerrte Vorgehen“ der Justiz an, das „eher politische als juristische Konturen aufweist“.
Die Unterzeichner betonen die Notwendigkeit einer effektiven Trennung zwischen Politik und Justiz und werfen der Staatsanwaltschaft vor in die politische Souveränität eingegriffen zu haben. Sie verweisen auf den mutmaßlichen Korruptionsfall, der zum Rücktritt von António Costa und zu vorgezogenen Parlamentswahlen führte (s. ESA 12/23) sowie auf den Fall auf Madeira, der ebenfalls zu Neuwahlen für die Regionalregierung führte (s. ESA 3/24). Kritisiert wird auch, dass die Staatsanwaltschaft sechs Monate nach dem Rücktritt von António Costa ihn immer noch nicht über den Gegenstand der Untersuchung informiert und zur Klärung einbestellt hat. Dass Costa weiterhin im Prozess verwickelt ist, hinderte ihn bislang daran sich für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates zu kandidieren.
Des Weiteren werfen die Unterzeichner der Staatsanwaltschaft vor, „außerhalb jeglicher demokratischer Überprüfung oder Verantwortlichkeit zu funktionieren“.
Seit den beiden genannten Fällen wird die Möglichkeit diskutiert, dass die Generalstaatsanwältin Lucília Gago ihre Handlungen vor dem Parlament rechtfertigen soll. PCP, BE, Livre und PAN befürworteten eine Anhörung, Chega betrachtet dies als unangemessen und PS und PSD halten sich bedeckt.
Die Kritik, wird von der Gewerkschaft der Staatsanwälte (SMMP) angefochten, die die Notwendigkeit einer stärkeren Überwachung der Staatsanwälte ablehnt. Paulo Lona, Präsident der SMMP, ist der Meinung, dass versucht wird, „legislative Änderungen aufgrund von zwei konkreten Fällen zu erzwingen, die die gesetzliche und verfassungsrechtliche Rolle der Staatsanwaltschaft, ihre Autonomie und somit das Justizsystem selbst angreifen“. Für die SMMP ist es wichtiger „das Vertrauen in die Institutionen eines demokratischen Rechtsstaats zu stärken und nicht die Unabhängigkeit des Justizsystems anzugreifen, insbesondere durch die Autonomie der Staatsanwaltschaft“, so Lona.
2018 geriet auch die damalige Generalstaatsanwältin Joana Marques Vidal unter Druck. Vidal hatte sich mit den Reichen und Mächtigen Portugals angelegt. U. a. brachte sie Ex-Premierminister José Sócrates und den Bankier Ricardo Salgado in Untersuchungshaft. Auch damals wurde eine Justizreform gefordert, aber nicht durchgeführt. Das auslaufende Mandat von Vidal wurde hingegen aus „verfassungsrechtlichen Gründen“ nicht verlängert.