Kein Ende in Sicht
Seit 9. Dezember streikt landesweit das Schulpersonal und die Lehrer werden wohl so schnell nicht demobilisieren, denn die Verhandlungen zwischen dem Bildungsministerium und den Gewerkschaften waren nicht sehr erfolgreich
Verschiedene Lehrergewerkschaften riefen in den vergangenen Monaten immer wieder zu Streiks auf (s. ESA 02/23). Vor allem in der Algarve und im Großraum Lissabon hatten viele Schüler wochenlang keinen Unterricht. Bei den Verhandlungen mit den Lehrergewerkschaften schlug das Bildungsministerium vor, noch in diesem Jahr 10.500 Vertragslehrer fest anzustellen, die sich derzeit jährlich aufs Neue bewerben müssen. Diese Lehrer müssen mindestens 1.095 Tage in Vollzeit gearbeitet haben, sprich drei Dienstjahre. Laut der Gewerkschaften werden 14.000 Lehrer gebraucht, um den realen Bedarf der Schulen zu decken. Die 10.500 Lehrer sollen laut Bildungsministerium, je nach Dienstalter, ein Gehalt beziehen, das der 2. und 3. Dienstaltersstufe entspricht. Weitere vom Ministerium vorgelegte Maßnahmen sind die Anhebungen der Beförderungen in die 5. und 7. Dienstaltersstufe (75 % beziehungsweise 58 % der Lehrer, die in der Vorstufe sind, statt wie bislang 50 % bzw. 33 %); und die Erhöhung der Anzahl der sogenannten Bildungszonen (Quadros de Zona Pedagógica, QZP) von 10 auf 63 (bei 278 Gemeinden auf dem Festland entspricht das praktisch 5 Gemeinden pro QZP). Somit müssen Lehrer nicht mehr so weite Distanzen in Kauf nehmen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen.
Doch die Gewerkschaften sind mit den Vorschlägen nicht zufrieden. Diese richteten sich im Wesentlichen an Vertragslehrer und ließen die Forderungen der verbeamteten Lehrer außen vor. Divide et impera?
Zu den alten Forderungen der Lehrkräfte, auf die das Bildungsministerium nicht einging, gehört die Abschaffung der Quoten zur Beförderung in die 5. und 7. Dienstaltersstufe, wie es bereits auf den Azoren und auf Madeira gemacht wurde; die Anrechnung der gesamten geleisteten Dienstzeit auf die Beförderung – was ebenfalls bereits auf den Inseln umgesetzt wurde, der Staat aber auf dem Festland unnachgiebig ablehnt, mit der Begründung, dass kein Cent im Staatshaushalt übrig ist; Gehaltserhöhungen; Änderungen im Bewertungssystem der Lehrer; Maßnahmen zur Behebung des Personal- und Materialmangels in den Schulen.
Ein Vorschlag, der für Unmut unter den verbeamteten Lehrer sorgt, ist die Schaffung eines aus Schuldirektoren bestehenden Rates pro Bildungszone, der die Humanressourcen verwaltet. Wenn beispielsweise an einer Schule des Bildungsgebietes eine Lehrkraft fehlt, kann der Rat diese Lücke mit einem Lehrer, der bereits fest an einer anderen Schule angestellt ist, füllen. Für Lehrkräfte, die jahrelang um eine feste Anstellung und Stabilität „kämpften“, kann dies bedeuten, dass sie als Vertretungslehrer wieder kilometerweit fahren müssen, um zusätzlich an einer anderen Schule zu unterrichten. Ein Schritt zurück. Und das ohne Recht auf eine Aufwandspauschale, wie sie beispielsweise Abgeordnete erhalten. Sie kritisieren auch, dass die Regierung zwar erklärt, sie wolle Bürokratie abbauen, jedoch keine konkreten Maßnahmen nennt.
Für Ricardo Silva von der Vereinigung von Lehrern und Erziehern zur Verteidigung der Bildung wurden die Vorschläge nicht aus Rücksicht auf die Lehrer gemacht, sondern weil es einen gravierenden Lehrermangel gibt. „Das Bildungsministerium versucht neue Lehrkräfte anzulocken, daher gibt es Verbesserungen für Lehrkräfte am Anfang ihrer Laufbahn, einschließlich Gehaltserhöhungen, aber keinen Cent für die Anrechnung der bereits geleisteten Dienstzeit der älteren Lehrkräfte“, so Ricardo Silva, der darüber hinaus kritisiert, dass die Flächen der Bildungszonen erst jetzt verringert wurden. „Jahrelang mussten Tausende von Lehrern Hunderte Kilometer in Kauf nehmen, weit weg von ihren Familien leben und mit einem miserablen Gehalt eine zweite Wohnung finanzieren. Jetzt ist es plötzlich möglich aus zehn Bildungszonen 63 zu machen.“
Nach den ersten Verhandlungen waren die Lehrer mehr denn je davon überzeugt, dass sie ihren Streik fortsetzen müssen. Als Reaktion darauf hat die Regierung Mindestleistungen dekretiert, die die Schulen dazu verpflichten, dafür zu sorgen, dass die Türen geöffnet sind, die Kantinen funktionieren und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen unterstützt werden. Eine Maßnahme, die von den Elternvereinigungen begrüßt wurde. Die Lehrer kamen dadurch zu dem Schluss, dass Regierung und Eltern die Schule als Tagesstätte, nicht als Bildungsstätte betrachten und machten darauf aufmerksam, dass die Unterstützung der Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen selbst während des normalen Schulablaufs aufgrund des Mangels an Lehrern nie gewährleistet werden kann.
Mittlerweile wurde der Estado da Nação veröffentlicht, ein Bericht des Nationalen Bildungsrats (Conselho Nacional de Educação), das ein unabhängiges Beratungsgremium des Bildungsministeriums ist. Dem Bericht zufolge sind portugiesische Lehrer beim Eintritt in die berufliche Laufbahn im Durchschnitt 47 Jahre alt und haben fast 16 Dienstjahre hinter sich, während der sie sich jedes Jahr um eine neue Stelle bewerben mussten, oftmals weit weg von ihrem Zuhause. Theoretisch bräuchten diese Lehrer danach 34 Jahre, um die 10. Dienstaltersstufe zu erreichen, da man in jeder Stufe vier Jahre bleiben muss, mit Ausnahme der 5. Stufe, in der man nur zwei Jahre bleibt. Da die Beförderung in die 5. und 7. Stufe von Quoten und freien Plätzen abhängt, dauert der Weg bis zur Karrierenspitze in der Praxis 39 oder mehr Jahre. Mit anderen Worten: Ein Lehrer erreicht den Höhepunkt seiner Laufbahn im Durchschnitt mit 62,3 Jahren – das Rentenalter in Portugal liegt bei 66,4 Jahren. Viele Lehrer schaffen es womöglich nie.
In der 4. Dienstaltersstufe, die, in der sich die meisten Lehrer befinden, liegt der Durchschnitt der bereits geleisteten Dienstjahre bei 24,4 Jahre und das Bruttogehalt bei € 2.058, was Netto etwa € 1.500 ausmacht.
Auch der Bericht „Bildung auf einen Blick“ von der OECD, die maßgebliche Quelle für Daten zum Stand der Bildung weltweit, gibt Portugals Lehrern Recht. Laut diesem Bericht gehören die portugiesischen Lehrer zu denen, die am längsten brauchen, um die Spitze der beruflichen Laufbahn zu erreichen: über 30 Jahre.
Der Bericht des Nationalen Bildungsrats macht auch auf das hohe Durchschnittsalter und den Lehrermangel aufmerksam. Im Schuljahr 2020/21 lag der Prozentsatz der Lehrkräfte, die 50 Jahre oder älter waren, bei über 55 % und in der Vorschulerziehung waren 21,9 % der Lehrkräfte 60 Jahre oder älter. Im selben Jahr waren 2.324 Studenten im ersten Jahr einer Ausbildung für das Lehramt eingeschrieben, davon 1.031 für den Vorschul- und Grundschulbereich. Mit anderen Worten: Die Zahl der Absolventen reicht höchstwahrscheinlich nicht aus, um die Lehrkräfte zu ersetzen, die in den Ruhestand gehen.
Mitte Februar fand erneut ein Protestmarsch in Lissabon statt, bei dem circa 150.000 Lehrer ihren Unmut kundgaben. Am Tag zuvor hatte die Regierung den streikenden Lehrern neue Mindestleistungen auferlegt: Jede Klasse muss mindestens drei Unterrichtsstunden pro Tag bekommen. „Eine nicht hinnehmbare Einschränkung des Streikrechts“, so Manuel Pereira, Präsident der Nationalen Vereinigung der Schulleiter (ANDE). Die Schuldirektoren befürchten zunehmende Spannungen zwischen Lehrkräften und Regierung. „In den Schulen herrscht Krieg“, so der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Direktoren öffentlicher Schulen (ANDAEP), Filinto Lima. „Was wir brauchen, sind Maßnahmen, die zum Frieden beitragen und, dass die Probleme und Forderungen der Lehrer anerkannt und diskutiert werden“, sagte er. Zwei weitere Proteste sind für den 2. und 3. März in Porto beziehungsweise Lissabon geplant.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 03/2023