Der portugiesische Oberste Gerichtshof hat am 22.03.2022 (Rechtssache Nr. 24471/16.4T8PRT.P1.S2-A-RUJ) entschieden, dass Apartments grundsätzlich nicht kurzzeitig an Touristen vermietet werden dürfen. Aufgrund der weitreichenden Auswirkungen dieses Urteils hat ESA den Experten im Immobilienrecht, Dr. Alexander Rathenau, dazu interviewt.
ESA: Herr Rathenau, welchen Tenor hat dieses höchstrichterliche Urteil?
Rathenau: Der Oberste Gerichtshof hat die bisher widersprüchliche Rechtsprechung vereinheitlicht, indem er entschied, dass die Nutzung von Wohnungseigentum als Alojamento Local (kurzzeitige gewerbliche Vermietung an Touristen) nicht zulässig ist, wenn diese Nutzung in der jeweiligen Teilungserklärung nicht vorgesehen ist. Ich kenne keine Teilungserklärung, die diese Nutzung ausdrücklich vorsieht. In allen mir bekannten Teilungserklärungen geht allein hervor, dass die Nutzung allgemein „Wohnzwecken“ dient. Diese Angabe reicht dem Gerichtshof aber nicht, um eine Alojamento Local-Nutzung der Apartments zuzulassen.
ESA: Welche Auswirkungen hat das Urteil?
Rathenau: Solange die jeweilige Teilungserklärung weiterhin nur von „Wohnzwecken“ spricht, muss ab sofort jeder Apartmenteigentümer damit rechnen, dass er seine Wohneinheit nicht mehr an Touristen vermieten darf.
ESA: Muss der Apartmenteigentümer von selbst das Alojamento Local einstellen?
Rathenau: Ja, da das Urteil alle Gerichte und auch den Apartmenteigentümer bindet. Aber auch hier gilt „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Der Apartmenteigentümer, der im Gebäude kein Alojamento Local dulden möchte, muss vor Gericht ziehen, sollte sein Nachbar sich weigern, die kurzzeitige Vermietung einzustellen. Das Gericht wird dann entscheiden, dass der Nachbar täglich bis zur Einstellung der Vermietung einen Geldbetrag als Strafe zahlen muss, um ihn zur Aufgabe zu zwingen.
ESA: Rechnen sie mit einer hohen Anzahl von Klagen?
Rathenau: Ja. Allerdings hoffe ich, dass der Gesetzgeber kurzfristig klarstellt, dass der Begriff „Wohnzwecke“ in der jeweiligen Teilungserklärung mit der Alojamento Local– Nutzung kompatibel ist. Dann können die Apartmenteigentümer wieder aufatmen. Ich rechne damit, dass der Gesetzgeber hier aktiv wird. Wann und wie genau ist aber noch unbekannt.
ESA: Haben Sie kein Verständnis für das Urteil? Es ist doch bekannt, dass die vermehrte kurzzeitige Vermietung von Apartments dazu führt, dass die Mietpreise in die Höhe gehen und kaum noch klassischer Wohnraum zur Verfügung steht. Auch erzeugen Touristen oftmals Lärm und Unbehagen bei den Eigentümern, die ihr Apartment als ständigen Wohnsitz nutzen.
Rathenau: Darum geht es hier nicht. Es geht hier um die Frage, ob der Oberste Gerichtshof, der an das geltende Recht gebunden ist, das Gesetz richtig ausgelegt hat. Aus meiner Sicht handelt es sich um ein eklatantes Fehlurteil, weshalb der Gesetzgeber aufgrund der weitreichenden Folgen dieses Urteils zügig handeln sollte. Die geltende Rechtslage erlaubt ausdrücklich die touristische Vermietung von Apartments. Sollte diese Vermietung verboten oder stark eingeschränkt werden sollen, so ist der Gesetzgeber gefragt, tätig zu werden. Ein Gericht darf sich nicht über das Gesetz hinwegsetzen.
ESA: Warum sind Sie davon überzeugt, dass der Oberste Gerichtshof gegen das geltende Recht entschieden hat?
Rathenau: Aus verschiedenen Gründen, die allesamt ihre Grundlage ausdrücklich im Gesetz haben. Die Mehrzahl der Richter (ein Richter hat Veto eingelegt, dessen Meinung ich teile) übersah, dass der Begriff „Wohnzwecke“ im Sinne des Baurechts und des Zivilrechts die Kurzzeitvermietung genauso wie die Langzeitvermietung erfasst. Touristen, die eine Wohnung nur für einige Tage nutzen, nutzen das Apartment zu Wohnzwecken. Das Apartment als Solches wird durch die Nutzung durch Touristen nicht in ein Gewerbeobjekt verwandelt. Es dient vielmehr weiterhin reinen Wohnzwecken im Sinne des Gesetzes. Allein der darin bestehende Beherbergungsbetrieb kann ein Gewerbe darstellen. Außerdem hat der Gesetzgeber seit dem Inkrafttreten der Alojamento Local-Regelungen im Jahr 2008 wiederholt die Rechtmäßigkeit der gewerblichen Vermietung von Apartments bestätigt. Im Laufe der Jahre wurden ausschließlich einzelne Einschränkungen erlassen, wie z. B. die Regelung, dass die Mehrheit der Wohnungseigentümer beschließen kann, dass eine Alojamento Local-Vermietung in ihrem Gebäude über einen Zeitraum von einem Jahr verboten wird, solange nachgewiesen wird, dass durch die Vermietung an Touristen wiederholt die normale Nutzung des Gebäudes gestört wurde sowie Eigentümer belästigt oder in ihrer Ruhe effektiv gestört wurden. Auch existiert eine Regelung, wonach jeder Apartmenteigentümer nur dann mehr als neun Einheiten pro Gebäude im Rahmen der Alojamento Local-Vermietung nutzen darf, sofern diese Zahl nicht mehr als 75 % der Anzahl der insgesamt existierenden Wohneinheiten repräsentiert. Aus diesen Einschränkungen kann eindeutig der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass die Nutzung von Apartments im Rahmen einer Alojamento Local-Vermietung mit der in Teilungserklärungen beschriebenen „Wohnzweck-Nutzung“ vereinbar ist. Auch gilt es Folgendes in Erinnerung zu rufen: Mit dem Inkrafttreten der ersten Alojamento Local-Regelungen im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber eine Art Amnestie erlassen: Bereits vor dem Inkrafttreten dieser Regelung haben viele Eigentümer ihre Wohneinheiten illegal an Touristen vermietet. Viele Vermieter führten keine Steuern ab. Außerdem achtete man auf keine Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. 2008 entschied der Gesetzgeber, dass ab sofort jeder Wohnungseigentümer seine (legale) Immobilie an Touristen vermieten darf, auch wenn es sich weiterhin um eine klassische Wohnung handelt und der Vermieter weiterhin in seiner Wohnung lebt. Als „Gegenleistung“ erwartet der Gesetzgeber von dem Vermieter nur, dass er die anfallenden Steuern ordnungsgemäß abführt, die Wohnung eine bestimmte Ausstattung hat sowie Hygiene- und Sicherheitsvorschriften eingehalten werden.
ESA: Herr Rathenau, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Rathenau & Kollegen
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