Paddeln nach polynesischem Vorbild
Nur wenige Sportarten bringen uns die Natur so nahe, wie der Kanusport. Sich mit der Naturgewalt Wasser auseinanderzusetzen, gehört zu den stärksten Herausforderungen. Aber es kann auch gemütlich zugehen:
Vor Kurzem wurde das Freizeitangebot in der Westalgarve durch ein ganz besonderes traditionsträchtiges Kanu erweitert. Das Va’a. Dabei handelt es sich um ein polynesisches Auslegerkanu, das aus drei Teilen besteht: einem Rumpf, der sogenannte Hull, einem seitlichem Ausleger bzw. Schwimmer, Ama genannt, und den Querstreben, die das Kanu mit dem Schwimmer verbinden, Iakos. Solche Bootstypen starteten vor circa 5.000 Jahren im Südchinesischen Meer zum Zweck der Besiedlung von über 10.000 südpazifischen Inseln. Durch die Erfindung des Auslegers konnte der Bootsrumpf sehr schmal konstruiert werden, was das Zurücklegen großer Distanzen mit relativ hoher Geschwindigkeit und Sicherheit zuließ. Bis heute wird dieses Boot in seiner fast unveränderten Bauweise als Fortbewegungsmittel im Pazifischen Raum, wie auch Teilen des Indischen Ozeans genutzt. Vor allem in Polynesien wird diese Tradition sehr gepflegt.
Der moderne Auslegerkanu-Sport entwickelte sich in Französisch-Polynesien und Hawaii, wo 1908 der noch heute existierende Outrigger-Canoe and Surfboard Club gegründet wurde. Doch bereits Anfang des 19. Jh. wurden auf Tahiti und den benachbarten Inseln Rennen veranstaltet. Von dort aus verbreitete sich der Sport in der heutigen Form bis nach Amerika, Australien und Asien sowie schließlich auch bis nach Europa. Die Sportversion des traditionellen Auslegerkanus unterscheidet sich eigentlich nur im Herstellungsmaterial. Statt Holz werden heute Verbundkunststoffe verwendet.
Die Va’as, die nun bei Lagoa auf Gäste warten, überquerten den Atlantik, denn sie wurden von Brasilien nach Portugal eingeführt. Nach viele Jahren als Mitglieder in Kanuvereinen, gründeten Daiane de Oliveira und Diogo Pitoco vor knapp über einem Jahr in Salvador ihren eigenen, den Taho’e Canoe Club. Dabei wollen sie nicht nur Paddler ausbilden, denn das sei relativ einfach. „Langfristig ist es unser Traum, die wichtigsten Werte der polynesischen Kultur, nämlich Respekt und Einheit, zu verbreiten. Durch den polynesischen Kanusport wollen wir bessere Bürger und folglich eine bessere Gesellschaft schaffen. Kurz- und mittelfristig träumen wir davon, den Menschen, die mit uns paddeln, Autonomie zu verschaffen und ihnen das mitzugeben, was am wertvollsten ist: Freiheit! Freiheit und Sicherheit, damit sie paddeln können, wo, wann und mit wem sie wollen, unter allen Bedingungen und an jedem Ort!“, so Diogo enthusiastisch. Seit Kurzem ist die Algarve ihr neues Zuhause, denn nachdem sie Eltern wurden, suchten sie selbst Sicherheit. „Und diese ist in Portugal, vor allem in der Algarve, nicht mit der in Brasilien zu vergleichen“, fasst Daiane zusammen.
Ihre Auslegerkanus, auch Outrigger Canoes genannt, liegen in den ruhigen Gewässern des Arade-Flusses bei Mexilhoeira da Carregação, wo sie beim Kajakverein Kayak Clube Castores do Arade die idealen Verbündeten fanden. Aber auch mit dem Aukai Canoe Club aus Olhão, der in der Ostalgarve Touren in Auslegerkanus bietet, vereinte das brasilianische Paar Kräfte – getreu der polynesischen Werte und des Namens ihres Unternehmens, denn Tahoe bedeutet Einheit. „Es geht um Zusammenhalt und darum, zusammen stärker zu sein sowie um Teamarbeit. Wie im Kanu, wo alle gleichzeitig in dieselbe Richtung mit demselben Ziel paddeln“, führt Diogo aus. Seit ihrer Ankunft haben sie dieses Leitmotiv mehrfach umgesetzt. Unter anderem boten sie in Kooperation mit dem Kajakclub, der Gemeinde Lagoa und den lokalen Schulen, Kindern und Jugendlichen des Bezirkes kostenlos Ausflüge an.
Mit dem Aukai Canoe Club organisierten sie ein Rennen im Auslegerkanu zwischen den Stützpunkten der beiden Unternehmen, sprich, über 80 km von Lagoa bis Olhão, und am Welttag der Ozeane eine Säuberungsaktion an beiden Ufern des Arade. Ziel ist es, die Outrigger Canoes in Portugal bekannt zu machen, denn während das Paddeln in Outriggers pünktlich zu Beginn des 21. Jh. nach Deutschland kam, wo inzwischen zahlreiche Kanuvereine diese Disziplin betreiben, die Zahl der angebotenen Wettkämpfe stetig wächst und die deutsche Kanuföderation den Auslegerkanu-Sport bereits 2018 im Bereich Oceansport aufnahm, gibt es in Portugal bislang lediglich vier Vereine. Die beiden genannten in der Algarve, einen nahe Lissabon und einen im Douro-Gebiet. Das erste von der portugiesischen Kanuföderation organisierte Rennen, an dem Auslegerkanus teilnehmen konnten, fand im Rahmen der Oceansport-Meisterschaft bei Lagoa am 30. April statt. Am darauffolgenden Tag konnten Auslegerkanus dann auch erstmals hierzulande bei einem internationalen Rennen starten, dem Ria Formosa International Challenge. Diogo und Daiane waren selbstverständlich dabei und freuen sich, dass dieses Jahr Auslegerkanus an allen Oceansport-Wettbewerben in Portugal teilnehmen können und ab 2023 eine eigene offizielle Disziplin bilden.
Was also vor circa 5.000 Jahren in der Südsee als überlebenswichtiges Fortbewegungsmittel begann und mittlerweile die Welt eroberte, dient nun sportlichen sowie gemütlichen Erkundungstouren in der Algarve. Daiane und Diogo heißen nicht nur erfahrene Paddler und Anfänger in ihrem Verein willkommen, sondern bieten auch Schnupperkurse und Ausflüge an. „Wir wollen dazu beitragen, den Outrigger-Sport in Portugal bekannter zu machen. Wir wollen für Interessierte ein Ansprechpartner sein und gemeinsam Outrigger-Events bestreiten sowie selbst organisieren. Es geht uns aber auch darum, die schöne Tradition dieser Bootsklasse zu pflegen und viel Spaß am Paddeln zu haben“, so Diogo. Zu zweit oder in Gruppen von bis zu zwölf Personen, bei Sonnenaufgang oder -untergang, flussaufwärts bis Silves oder Richtung Meer und entlang der wild zerklüfteten Küste von Lagoa, versprechen Diogo und Daiane, die als Steuermann dabei sind, viel polynesisches Flair und Interessierte in die Welt der Va’a einzuführen. Alter oder große Fitness spielen keine Rolle und Paddelerfahrung ist nicht erforderlich. „Das Umkippen ist praktisch unmöglich“, betont Daiane.
Das ESA-Team unternahm gleich zwei Ausflüge. Flussaufwärts auf dem Arade bei Sonnenuntergang war fast das gesamte Team inklusive Familien und Freunden mit dabei. Eine bunt gemischte Gruppe, die sich mit dem Rhythmus, auf den es sehr ankommt, schnell anfreundete. Wir kamen schnell voran und hatten einen Riesenspaß. Einige Tage später schloss sich mir meine Kollegin Miranda an. Wir paddelten Richtung Meer, bis zum Caneiros Strand und zurück zum Stützpunkt bei Mexilhoeira da Carregação. Mit 13 km und leichtem Wellengang eine etwas sportlichere Erfahrung mit Zwischenstopps an menschenleeren Stränden.
Unser Fazit: Imua! Los geht´s! Immer wieder gerne.
Taho’e Canoe Club
Mob.: 926 835 018
info@tahoecanoeclub.com
Instagram: tahoe.canoeclub
Text: Anabela Gaspar; Fotos: Anabela Gaspar; Andrea Christ in ESA 07/2022