Schöpferische Vielfalt
In einem kleinen Dorf etwa 10 km nördlich von Tavira wohnt und arbeitet Mário Mendonça. Zwischen den weiten Hügeln und dem blauen Himmel der Serra do Caldeirão lässt er sich in seinem Atelier von fernen Kulturen inspirieren
Mário Mendonça lässt sich keinen Stempel aufdrücken und lehnt Eitelkeiten ab. „Ich betrachte mich nicht als Künstler, sondern als Keramiker“, sagt er mit Überzeugung. Seine Stücke seien nützlich und dekorativ. Bezugnehmend auf seine Skulpturen antwortet er mit einem Lächeln, dass diese ebenfalls dekorativ sind.
Er entdeckte die Keramik für sich, als er fast 30 Jahre alt war und als Fotograf in Berlin lebte. Während eines Urlaubs in Portugal ergab sich durch einen Freund erstmals die Gelegenheit, mit Ton zu modellieren. „Ich war sofort hingerissen“, erinnert er sich. Von klein auf zeigte er handwerkliche Begabung, aber das Leben ließ ihn einen anderen Weg einschlagen. „Ich vermisste jedoch eine gewisse manuelle Herausforderung bei der Tätigkeit als Fotograf und als ich das Töpfern ausprobierte, wusste ich sofort, dass ich mich fortan der Keramik widmen würde“, berichtet Mário weiter. Kurz darauf verließ er Deutschland, um einen Keramikkurs am Zentrum für Kunsthandwerk CEARTE in Coimbra zu absolvieren. Es folgten Ausbildungen in drei Werkstätten und 1999 beschloss er schließlich sein eigenes Projekt zu starten. „Ich hatte zwar eine sehr solide Basis, aber mein Verlangen war groß. Ich wollte vor allem mit anderen Materialien arbeiten, denn während der Ausbildung hatte ich ausschließlich mit Ton gearbeitet. Vor allem Steinzeug faszinierte mich. Es besitzt eine spezielle Zusammensetzung von Tonmineralen und zeichnet sich durch hohe Formbarkeit und Plastizität aus. Die daraus gefertigte Keramik ist nach dem Brennen auch ohne Glasur wasserundurchlässig und wesentlich widerstandsfähiger als andere Tonmassen“, erklärt der 55-Jährige. Seitdem hat Mário das Töpfern nicht mehr aufgegeben. Es gab Höhen und Tiefen, aber er gab nicht auf und heute ist er mit seiner Keramik in der Galerie Artesis in Tavira vertreten.
Es ging ihm schon immer darum, Stücke mit Nutzwert zu schaffen. „Das ist meine Art, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben“, so Mário. Das beste Beispiel dafür sind seine Ollas (zu Port. oya), Tongefäße, die man zur Bewässerung nutzen kann. Durch eine spezielle Brenntechnik bei niedriger Temperatur bleibt der Ton der Gefäße porös und wasserdurchlässig. Wenn man die unglasierten Gefäße in die Erde eingräbt und mit Wasser füllt, geben sie langsam und stetig Feuchtigkeit an das umgebende Substrat ab und halten somit die Wurzelbereiche der Pflanzen feucht. Je nach Wetterlage und Größe der Olla muss man erst nach drei bis fünf Tagen Wasser nachfüllen. Mário ist von der Nützlichkeit der Ollas, in einer Region wie die Algarve, mit großen Dürreperioden und einer zunehmenden Wasserknappheit, vollkommen überzeugt.
Obwohl die Ollas in technischer Hinsicht anspruchsvoll sind und viel Erfahrung an der Töpferscheibe erfordern, ist der kreative Aspekt nicht verlockend. Wenn es etwas schöpferischer zugehen soll, widmet er sich der Herstellung von Teekannen, Tassen, Bechern, Schüsseln, Schalen, Tellern und anderem Geschirr aus Steinzeug, die einen leichten japanischen Einfluss aufweisen. Und wenn er sich richtig austoben und herausfordern will, fertigt er künstlerische Stücke an. „Ich lasse meiner Fantasie und meinen Gefühlen einfach freien Lauf“, erzählt der Keramiker. Für seine Skulpturen schöpft er aus seiner afrikanischen Vergangenheit. Bis zu seinem 20. Lebensjahr lebte er in Angola und Zaire, dem heutigen Kongo, umgeben von afrikanischer Kunst. Vor allem die Holzskulpturen beeindruckten ihn als Kind. Doch erst als er dann begann, Skulpturen zu erschaffen, wurde ihm bewusst, wie stark ihn die afrikanische Kultur geprägt hat.
Sowohl für sein Keramikgeschirr als auch für seine Skulpturen setzt er verschiedene Methoden ein: Von der Drehtechnik an der Töpferscheibe, über die Pinch-Technik, bei der die Masse durch Drücken, Zwicken und Schieben in die gewünschte Form gebracht wird, bis zur Wulsttechnik, bei der Tonwülste übereinandergestapelt und miteinander verbunden werden, und Plattentechnik, bei der der Keramiker den Ton auf einer Arbeitsplatte ausrollt und in die gewünschte Form schneidet. Für eine gleichmäßige Stärke der Tonplatte sorgen zwei Leisten, auf denen das Rundholz beim Ausrollen rechts und links aufliegt.
Beim Brennen gilt Mários Vorliebe dem Raku, ein uraltes Brennverfahren aus Japan. Meist wird das Gefäß zwei Brennvorgängen unterzogen, dem Schrühbrand und dem Glasurbrand. Das Besondere am Glasurbrand beim Raku-Töpfern ist, dass die Ware rotglühend aus dem Ofen geholt wird und dann in einem Behälter mit organischem Brennstoff (Laub, Stroh, Heu, Sägespäne etc.) zum Nachbrand luftdicht eingebettet wird. Der entstehende Rauch (Kohlenstoff), der Sauerstoffentzug sowie die im Brennstoff enthaltenen Mineralien wirken stark auf die Tonscherben und die Glasurfarbe ein. Durch die stark reduzierende Atmosphäre wird der noch weichen Glasur Sauerstoff entzogen. Die chemische Zusammensetzung verändert sich und dadurch die Glasurfarbe. Kohlenstoff dringt durch feine Risse und lagert sich im Ton ein.
Sein Steinzeug mischt Mário selbst sowie seine Glasuren. „Oftmals sind mehrere Versuche nötig, um eine bestimmte Farbe zu erreichen. Mein Weg war immer von Fehlern und durch Lernen geprägt. Jeder Fehler ist eine Lektion. Aber mein Ziel ist keineswegs die Perfektion. In der Tat gibt es Kulturen, in denen die Perfektion in der Unvollkommenheit liegt“, so Mário.
Seit 2007 teilt er sein Wissen mit Gleichgesinnten. „Ich habe keine Geheimnisse, erst recht nicht bei der Keramik. Es geht nicht darum, mit anderen zu konkurrieren. Deswegen teile ich mein Wissen gerne und schreibe bei den Workshops keine Techniken vor oder verteile Aufgaben. Das liegt nicht in meiner Natur. Ich frage die Teilnehmer, was sie machen möchten, und unterstütze sie dabei, ihre Ideen zu verwirklichen“, erklärt Mário. Vor einigen Jahren gab er auch Keramikkurse in Frankfurt. Portugal steckte tief in einer Wirtschaftskrise und er verkaufte kein einziges Stück. „Ich begann mich zu fragen, ob meine Arbeit überhaupt gut war, erkannte dann aber, dass es an der wirtschaftlichen Lage lag und beschloss mein Glück woanders zu versuchen. In Deutschland durfte ich, obwohl ich kein Deutsch spreche, an einer Schule Keramikunterricht geben, weil man verstand, dass Keramik etwas sehr Taktiles ist. Aber nach einiger Zeit verspürte ich den Ruf des Südens, kehrte nach Portugal zurück und ließ mich hier bei Tavira nieder.“ Dort wohnt Mário seit acht Jahren und dort will er auch in Zukunft dem Ton mit seinen Händen Leben einhauchen.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 01/2023
Atelier de Cerâmica Terra Viva
Mário Mendonça
Daroeira, Tavira
Mob. 963 908 463
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