Gil Ribeiro ist das offene Pseudonym von Holger Karsten Schmidt, seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Deutschlands. Sein Roman Lost in Fuseta sprang rasch nach Erscheinen auf die Spiegel-Paperback-Bestseller-Liste. Mittlerweile erschienen vier Bänder der Reihe Lost, die ab diesem Monat in ESAs Bücherstube erhältlich sind
ESA: Wieso veröffentlichen Sie die Reihe Lost in Fuseta unter einem Pseudonym?
HKS: Das war der Wunsch des Verlags, weil ich unter meinem Klarnamen etwas härtere Thriller wie „Die Toten von Marnow“ veröffentliche und der potenzielle Leser mit „Gil Ribeiro“ signalisiert bekommt, dass er zu einem Urlaubskrimi greift.
Wann und wie sind Sie dem Algarve-Reiz erlegen?
1988 während einer Interrail-Reise mit zwei Freunden, von denen einer in Marokko ziemlich krank wurde. Er wollte schnell zurück nach Europa, und wir nahmen tatsächlich nach unserer Ankunft den erstbesten Zug – nach Tavira.
Wir sind dann damals privat untergekommen und dort hat ihn die Hausmutter quasi im Alleingang gesund gepflegt. Das war schon unglaublich herzlich und beeindruckend. Und als uns dann später in Lagos erzählt wurde, dass es da diesen Punkt im Westen gibt, an dem die Alte Welt endet, klang das magisch und wir mussten unbedingt dorthin. Und auch in Sagres und überall sonst auf unserer Reise ist man uns mit derselben Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit begegnet. Man muss schon aus Stein sein, um sich in der Algarve nicht aufgehoben zu fühlen.
War Fuseta direkt Ihre erste Wahl?
Nein. Nachdem ich mit meiner Frau mehrmals an der Westalgarve war, hat sie sich für die Ostalgarve interessiert und auch ein nettes Ferienhaus gefunden. Und so sind wir in Fuseta gelandet.
Wieso Lost in Fuseta und nicht in einer anderen beliebigen Stadt der Algarve, in Deutschland oder sonst wo?
Ich wollte einen Ort haben, den man auf den ersten Blick unterschätzt. Den der ungeübte Beobachter vielleicht abschätzig als „Kuhdorf“ bezeichnen würde. Eine kleine Ortschaft, an der man an der N125 schnell mal vorbeifährt. Den größtmöglichen Gegensatz zu einer lebendigen Metropole wie Hamburg, aus der sowohl Leander Lost als auch ich stammen.
An der Westalgarve wären das vielleicht früher Budens oder Salema gewesen. Aber die sind mittlerweile auch für Touristen aufgewacht. Und Fuseta befindet sich immer noch im Dornröschenschlaf. Daher bezieht es für mich seinen charakteristischen Charme.
Der Witz besteht darin, dass Leander Lost ausgerechnet in diesem aus der Zeit gefallenen Ort einer Aufgeschlossenheit und Wertschätzung begegnet, die ihm überall sonst versagt geblieben ist. Insbesondere an Orten, die sich für viel moderner halten.
Gibt es die Schauplätze wie die Villa oder das Haus von Gracianas Eltern wirklich?
Nein. Zum Teil vermische ich bestimmte Eigenschaften diverser Häuser zu einem einzigen Haus – wie bei der Villa Elias – oder erfinde diese komplett, wie das Elternhaus der Rosados.
Und verkörpern Sie mit den Charakteren der Protagonisten Menschen, die sie kennen?
Nein, das mache ich nie, weil es meine Fantasie immer begrenzen würde.
Warum haben Sie Lost das Asperger-Syndrom verpasst?
Weil er damit einen anderen Blick auf die Welt hat. Das Leben, das Meer, Sterblichkeit, Liebe, Notlügen, Smalltalk und vieles mehr. Wenn ich Dinge durch Leanders Augen betrachte, zwingt er mich, über meinen bisherigen Tellerrand zu blicken. Da er nicht lügen kann, sorgt er darüber hinaus für unfreiwillige Komik. Aber auch Tragik geht mit ihm: Seiner Traumfrau gegenüber zu sitzen und es nicht zu bemerken.
Letztlich geht es mir um den Umgang mit Andersartigkeit. Und schon deswegen musste Leander Lost eben etwas neben sich stehen.
Das Wort fällt in keinem der Bände, aber es geht um Inklusion. Es geht darum, dass wir uns als Gesellschaft reicher machen, wenn wir jemanden wie Lost in unserer Mitte aufnehmen.
Wann erscheint Band 5? Können Sie unseren Lesern etwas über die Handlung verraten? Wie geht es mit Soraia und Leander weiter?
Band 5 erscheint im Frühjahr 2022. Es geht um einen Mord, den das Team um Graciana Rosado aufklären soll, und Leander geht dabei allen tagelang mit seiner Frage auf die Nerven, warum sich nirgends die Schuhe des Opfers finden – auch dann noch, als man den Täter gestellt hat. Und als er das doch noch rausfindet, sticht er damit in ein sehr aktuelles Wespennest, das weit über einen Mord hinausgeht und sehr hohe Wellen schlägt. So hoch, dass die Fahndung nach ihm in den Abendnachrichten kommt.
Lost in Fuseta soll verfilmt werden. Ist das Drehbuch bereits in Bearbeitung?
Ja. Deswegen hat sich Band 5 etwas verzögert, weil ich an den Drehbüchern dazu saß. In dem Zweiteiler wird Band 1 verfilmt.
Läuft das Casting? Können Sie verraten wer Leander Lost spielen wird?
Das Casting für die Hauptrollen läuft. Wer Lost verkörpert, kann ich noch nicht sagen.
Gibt es schon einen Drehtermin?
Der Herbst war avisiert, aber wegen der Pandemie ist zeitlich leider alles in Bewegung.
Und ein voraussichtliches Erscheinungsdatum?
Steht auch noch nicht. Die ARD möchte ihn prominent senden, das heißt zum Beispiel an Ostern 2022 oder zur Eröffnung der Spielfilmsaison im Herbst. Das hängt wirklich davon ab, ob im Herbst gedreht werden kann oder nicht.
Wie sieht es mit Ihren Portugiesisch-Kenntnissen aus? Können Sie mitreden?
Nein, aber das ist mir sehr peinlich, deshalb arbeite ich auch daran.
Vielen Dank für das Gespräch.
Anabela Gaspar in ESA 06/2021