Kunst zum Reinbeißen
Ana Remígio kreiert mit Leidenschaft unglaubliche 3D-Torten, die Cake Design auf ein ganz anderes Niveau heben. Wir trafen die begabte Zuckerkünstlerin bei ihrer Ausstellung im Rahmen einer Süßwarenmesse in Lagoa
Vollkommen begeistert stand mein 7-jähriger Sohn vor den süßen Gebilden. Eine „Figur“ gefiel ihm besser als die andere. Staunend blieb er vor jeder stehen und meinte kopfschüttelnd, dass es sich unmöglich um Torten handeln könnte. Er war nicht der einzige: Die meisten Besucher, egal ob 7 oder 70 Jahre alt, konnten nicht fassen, dass es sich in der Tat um essbare Torten handelte.
Der Zuckerkünstlerin gelingt es aber nicht nur Kinder und Laien für ihre Kreationen zu begeistern, sondern auch die Jury von international renommierten Wettbewerben, wie Cake International in Birmingham oder Cake & Bake in Dortmund, an denen namhafte Cake Designer aus der ganzen Welt teilnehmen. Seit Ana 2016 erstmals an Wettbewerben teilnahm, gewann sie 65 Medaillen, davon 54 in Gold, und erhielt zudem mehrmals die Auszeichnungen Best in Class und Best of Show. 2020 wurde Ana auf dem internationalen Salon Culinaire in London, der als der größte und renommierteste Wettbewerb für Konditoren im Vereinigten Königreich gilt, zur Cake Decorator of the Year gekürt. Sie nahm mit fünf Torten teil und erhielt fünf Medaillen (drei goldene, eine silberne und eine bronzene) sowie zwei Best in Class-Auszeichnungen, eine Best of Show für die beste Torte unter allen Teilnehmern und schließlich die der besten Tortenkünstlerin des Jahres.
Die Auszeichnungen sind umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass Ana keine Konditorausbildung hat, ihre Leidenschaft nur als Hobby ausübt und gegen professionelle Chefkonditoren und Zuckerkünstler antritt. Ihre Kreationen werden zudem regelmäßig in Fachzeitschriften vorgestellt und erst vor Kurzem schaffte es eine auf das Cover des Cake Masters-Magazins. Hinzu kommen mittlerweile um die 200 Teilnahmen an internationalen Kollaborationen, bei denen Künstler aus aller Welt zusammenkommen, um Torten zu einem bestimmten Thema zu präsentieren. Ana selbst hat eine kuratiert, bei der das Thema Naoto Hattori war, ein japanischer Pop-Surrealismus-Künstler, von dessen Arbeit sich Ana inspirieren lässt. Eine weitere Muse sind Chris Ryniaks Zeichnungen von süßen Monstern mit großen Augen. Oft kreiert Ana auch fabelhafte und gruselige Wesen und liebend gerne Drachen, was ihr bereits den Spitznamen The Dragon Lady einbrachte.
Kreativität und handwerkliches Können – beides hat Ana im Übermaß. Zudem strebt sie stets Perfektion an. Ihr Stil ist unverwechselbar, die Details schlichtweg unglaublich. Noch faszinierender ist, dass Ana für ihre Tortendekoration mit Fondant keine Präge- und Strukturmatten oder Spritzbeutel benutzt. Bis ins kleinste Detail wird alles per Hand geformt und sie wählt nie den einfachen Weg. „Die Lebensmittel-Puderfarben trage ich mit einem Pinsel auf. Meine Kollegen fragen mich immer, wieso ich nicht mit Airbrush arbeite, was natürlich viel schneller ginge. Aber das Ergebnis ist einfach nicht zu vergleichen“, so Ana überzeugt.
Es ist aber nicht nur ihre Zuckerkunst, die überzeugt, sondern auch ihre Backkunst. Ana ist es wichtig, dass die gesamte Torte oder fast alles essbar ist und außerdem schmeckt. Nicht selten versteckt sich unter der Zuckermasse ein Regenbogenkuchen, der Kinder und Erwachsene gleichermaßen überrascht, und stets achtet sie darauf, dass sie die Schokolade und das Fondant, die die Torte „umhüllen“, so dünn wie möglich aufträgt. „Fondant ist nicht jedermanns Geschmack, selbst wenn es mittlerweile in verschiedenen Aromen zur Verfügung steht. Zudem möchte ich in eine Torte beißen, nicht in Zuckermasse“, erklärt Ana. Auch fertigt sie ihre Kreationen knapp vor dem Liefer- oder Ausstellungstermin, nicht Wochen im Voraus, um sicherzustellen, dass der Teig locker und saftig bleibt. „Natürlich geht es bei den Wettbewerben meistens um die Dekoration, aber ich will, dass die Torte der Jury schmeckt“.
Angefangen hat alles 2010 mit Cupcakes. Kurz darauf bat eine Freundin sie, eine Geburtstagstorte zu backen. „Das Motiv war einfach, ein Hemd mit einer Krawatte, aber es hat bei mir gefunkt“, erinnert sie sich. Sie recherchierte, experimentierte und legte die Messlatte immer höher. Die Entwicklung seit den ersten Torten ist wirklich beeindruckend und verhalf ihr zu einem Sponsor: ein spanisches Unternehmen für Backzubehör. Seit 2016 kreiert sie ihre Torten fast ausschließlich für Wettbewerbe, Kollaborationen und Fachmagazine. Allein in den letzten zweieinhalb Jahren hat sie 67 Torten gebacken, das sind zwei Torten pro Monat. Darunter gibt es Kreationen, für die sie 90 Stunden brauchte. Das ist auch mit einer der Gründe, weshalb Ana nur sporadisch Bestellungen annehmen kann. „So eine Tortenskulptur ist sehr aufwendig und nimmt viel Zeit in Anspruch. Ich brauche selbst für kleine Figuren bis zu zehn Stunden. Das hat seinen Preis. Die Kaufkraft in Portugal ist aber bekanntlich nicht sehr hoch. Die Kunden wollen – und können – nicht so viel Geld für eine Motivtorte ausgeben“, fasst Ana zusammen.
Text: Anabela Gaspar; Fotos: Ana Remígio; Anabela Gaspar in ESA 11/2022
Cupcakes & Dreams
By Ana Remígio
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