Wo das Land das Meer küsst
Mit steigenden Temperaturen und strahlend blauem Himmel spüren wir den Ruf des Atlantiks. Um ihn in seiner vollen Pracht und umgeben von unberührter Natur zu erleben, gibt es keinen besseren Ort als die Westküste. Wir starten am Praia do Martinhal bei Sagres und wandern Richtung Osten
Im Jahr 1587 kam der englische Freibeuter Sir Francis Drake am Praia do Martinhal an Land. Heute sind wir es. Er kam, um das Forte de Nossa Senhora da Guia, auch Forte da Baleeira genannt, das einst auf der westlich vom Strand gelegenen Ponta da Atalaia thronte, anzugreifen. Wir sind da, um die Landschaft zu genießen und werden unser Bestens tun, um nicht einmal die Vegetation zu zertrampeln. Drake hinterließ Aufzeichnungen anhand derer man weiß, dass die Festung ähnlich wie die auf der Halbinsel von Sagres war, wir diesen Wanderbericht, gespickt mit einigen Informationen zur Geschichte.
Der feinsandige Martinhal-Strand erstreckt sich vom Porto da Baleeira im Westen, der seinen Namen der Walfangflotte verdankt, die einst hier ihren sicheren Hafen hatte, bis unterhalb eines im Jahr 2010 eröffneten Resorts, dessen Projektträger damit warb, dass sich die Anlage in die Landschaft einfügen würde. Dort wo heute Touristen in der Sonne liegen, lag laut Archäologen im 4. Jh. eines der größten Töpferzentren der römischen Provinz Lusitânia. In Martinhal wurde Ton gewonnen, Amphoren geformt und in Brennöfen gebrannt, um sie anschließend als Behälter zur Ausfuhr des beliebten Gewürzes Garum und konserviertem Fisch in das gesamte Römische Reich zu verwenden. Das Töpferzentrum lag zeitgleich mit der römischen Garum-Produktionsstätte am Strand von Boca do Rio und war ihr untergeordnet. In Boca do Rio brachten deutsche Archäologen über 30 große Produktionsbecken zutage sowie die Überreste eines Hafens mit einer circa 40 Meter langen Kalksteinstruktur, Vertäuungssteinen, einer Rampe und Zugangsstufen. Boca do Rio soll eine weit überregionale Bedeutung im Römischen Reich gehabt haben.
Heute geht es hier etwas ruhiger zu. Selbst im Hochsommer bietet der Strand Sonnenhungrigen, die sich von ein bisschen Wind nicht abschrecken lassen, ausreichend Platz. Denn obwohl er in der Baleeira-Bucht liegt und die Ponta da Atalaia Schutz vor Wind und dem tosenden Atlantik bietet, ist es doch recht zugig. Weshalb der Strand bei Windsurfern und Drachensteigern beliebt ist. Auch Taucher kommen hier rund um die Ilhotes do Martinhal mit ihren Unterwassergrotten und vielfältiger Biodiversität auf ihre Kosten. Wir wollen weder am Strand verweilen noch baden oder tauchen, sondern entlang der Klippen wandern. Dafür folgen wir dem Wegweiser des Fernwanderweges Rota Vicentina, der uns direkt an den Sonnenliegen des Resorts vorbei zu den Klippen führt. Die blau-grünen Markierungen sind Teil des sogenannten Fischerpfades, der hier von Sagres über 20 km nach Salema führt. So weit wollen wir keineswegs wandern! Es geht uns eher darum die Beine zu strecken, frische Luft zu schnappen und die Umgebung zu genießen. Unser Ziel liegt also dort, bis wohin uns unsere Füße tragen.
Von den Klippen aus blicken wir Richtung Westen über den gesamten Martinhal-Strand, bis zur Ponta da Atalaia und sehen die Häuser von Sagres. Im Osten ragt eine schroffe Felswand empor, gegen die der Atlantik unermüdlich aufschlägt. Interessantes gibt es auch am Wegesrand zu entdecken, neben Tausenden von gelben Andryala arenaria blüht im Frühling auch die esteva de Sagres, eine Unterart der Lack-Zistrose, die nur an Portugals Westküste vorkommt. Weitere Endemiten sind die gelben Biscutella vicentina, die zierlichen, direkt am Boden wachsenden lila Scilla vicentina oder die einer Distel ähnelnde Centaurea vicentina.
Überrascht sind wir über die Anzahl der Wanderer, die hier unterwegs sind und vor allem vom Quaken der Frösche, das schon laut zu vernehmen ist, noch bevor wir die nächste Bucht sehen. Eine Bucht, die wir über einen leichten Abstieg erreichen und zwei Besonderheiten aufweist: Zum einen eine kleine Lagune, die von der Ribeira da Torre gespeist wird und scheinbar das Zuhause von vielen Fröschen und Kröten ist sowie von Vögeln wie dem Seidenreiher. Zum anderen, dass der Strand nicht wie Martinhal aus Sand besteht, sondern aus kleinen und großen runden Steinen (auf Portugiesisch rebolinhos) – daher der Name Praia dos Rebolinhos. Zwar nicht sehr gemütlich, um sich zu sonnen, aber definitiv schön. An einem Felsen am Wasser stecken einige rebolinhos in den Felsspalten und auf dem Felsen. Wir fragen uns, ob es ein ähnliches Ritual ist, wie die Liebesschlösser auf Brücken, oder nur das Ergebnis eines Zeitvertreibs. Auf der Suche nach einer Antwort auf der Webseite des Bezirkes Vila do Bispo stellen wir verwundert fest, dass dieser Strand dort nicht einmal erwähnt wird.
Nun erfolgt ein steiler Anstieg, über einen schmalen Pfad direkt am Felsvorsprung, der – wie meistens an der Algarve-Küste – mit einem atemberaubenden Ausblick über die Küste und das weite Meer belohnt wird. Wer den Blick vom Atlantik abwendet und auf den Weg und das Inland richtet, entdeckt unter vielen anderen Blumen die Salbeiblättrige Zistrose (Cistus salviifolius), den lila Lippenblütler Phlomis purpurea, die rosa Cistus albidua oder die mit der wilden Möhre ähnlichen, aber gelb statt weiß und giftige Canavoura (Thapsia villosa) aus der Familie der Doldenblütler.
Nach einigen Metern entlang der Klippen führt der Pfad an einem aus Steinen geformten Kreis etwas weiter ins Landesinnere. Weit und breit ist kein Haus zu sehen. Nur das unendliche Grün der Büsche, die sich bis zum Horizont erstrecken und dort mit dem blauen Himmel verschmelzen.
Etwa 50 Minuten nach Beginn der Wanderung erreichen wir eine tiefe Schlucht, in der die Wellen wild aufschlagen. Ab hier führt die Route über einen breiten Trampelpfad durch das Inland bis zum Praia do Barranco. Wir beschließen umzukehren, denn es war der Ruf des Atlantiks, der uns hierherführte und die Sehnsucht ist gestillt.
Text: Anabela Gaspar; Fotos: Anabela Gaspar; Miranda Opmeer in ESA 05/2023