Zum Andenken an „frauen von Alhandra im Widerstand“
Maria-Teresa, Maria-Helena, Maria-Augusta – seid still! Über vierzig Jahre lang Schweigen auf Befehl. Feminismus in Portugal, eine lange und mit Leid erfüllte Geschichte. Nur wenige Frauen sprechen darüber, was ihnen vor 1974 passiert ist – wenn sie nicht schwiegen
Die einzige Gleichberechtigung, die Frauen zustünde, wäre die Heirat. Alles andere sei unwürdig, Sünde und Schande“, proklamierte Fernando Castro Pires de Lima, treuer Gefolgsmann der Regierung, 1932 die Rolle der Frau in der portugiesischen Gesellschaft. Im Estado Novo wurden ständig neue Gesetze entworfen, die jeden Lebensabschnitt „portugiesischer Bürger weiblichen Geschlechts“ schon ab dem Kleinkindalter und minutiös zwischen Paragraphen quetschte. Mädchen kamen bereits im Vorschulalter in die MPF, Mocidade Portuguesa Feminina, um sie auf das für sie vom Staat vorgesehene Leben als Hausfrau, Mutter und Ehefrau vorzubereiten sowie auf ihre nationale Pflicht – Gott, dem Vaterland und der Familie zu dienen. Das Thema Gleichstellung der Frau fand in Salazars Regierung keinen Platz. Im Gegenteil. Der Feminismus avancierte zum Staatsfeind und erklomm die gleiche Stufe nationaler Gefahr neben Demokratie, Kommunismus und Sozialismus. Frauen, die es trotz politischer Verfolgung wagten, öffentlich Meinung zu Themen in Politik oder Wirtschaft, gar offen Stellung zur Emanzipation zu beziehen, wurden von der Gesellschaft ignoriert und/oder bei der Geheimpolizei PIDE denunziert. Spitzel lauerten überall. Freunde und Bekannte, gar Familienangehörige misstrauten einander. Widerstand organisierte sich dennoch – schweigend, stetig, trotzig. Zum Beispiel in Alhandra, einem Ort unweit entfernt von Vila Franca de Xira und Lissabon, den vor allem die Zementindustrie charakterisiert. Das schönste Fleckchen Erde mit einzigartiger Aussicht über die fruchtbare Ebene entlang des Tejo, sagen die Frauen von Alhandra. Die Autorin Antónia Balsinha wuchs in Alhandra auf und lässt im Andenken an die mutigen Frauen zu Zeiten des Widerstandes gegen Salazar die Erinnerung aufleben und hat ihren ehemaligen Nachbarinnen ein Buch gewidmet: As Mulheres de Alhandra na Resistência. Alhandra galt schon immer als rebellisch. Bürger aus Alhandra und Vila Franca de Xira gründeten 1881 das erste Centro Republicano und 1906 das Centro Democrático Alhandrense bevor Portugal überhaupt die Republik 1910 ausrief. „Es gibt immer einen, der aufbegehrt. Einen, der Nein sagt. Und den unterstützen wir. Eine Frage der Ehre“, lautet das Credo der zusammen geschweißten Gemeinschaft. So auch am 8. Mai 1944: Am Tag des „Marcha da Fome“, Hungermarsch. Die Manifestation gegen die Lebensmittelrationierung im eigenen Land und der gleichzeitigen Lieferung von Lebensmitteln ins Hitler-Deutschland begann in Alhandra. Punkt zwölf Uhr stand die Zementfabrik in Alhandra still. Generalstreik. Sämtliche Bürgerinnen und Bürger des Ortes versammelten sich zum Protestmarsch. Gemeinsam marschierten sie nach Vila Franca de Xira. Auch in anderen Peripherien der Hauptstadt formierten sich im Laufe des achten Mai 1944 Aufmärsche und Streiks mit dem gleichen Aufruf. Frauen trugen schwarze Fahnen mit der Aufschrift: Gebt uns Brot –wir hungern. Immer mehr Menschen füllten die Straßen der Vororte. Ein massives Aufgebot der Guarda Republicana stellte sich dem Marsch entgegen, doch die Menschen marschierten weiter. Warnschüsse hallten durch die Luft. Drohungen wurden ausgestoßen. Die Menschen blieben nicht stehen. Polizisten schlugen erst wahllos drauf los, mischten sich dann prügelnd in die Menge, schlugen gezielt die Frauen nieder, die die Fahnenbanner hoch hielten. Die Frauen gingen zu Boden, wurden getreten und geprügelt und trugen teilweise derart schlimme Verletzungen davon, dass sie für ihr restliches Leben behindert blieben. Zeitzeugen zeigten sich überrascht über den flächendeckenden Streik sowie über die Anzahl der Marschierenden. An jenem Tag wurden viele Frauen verhaftet und bis in die frühen Morgenstunden von der PIDE verhört. Gegen sechs Uhr früh kehrten einige Frauen nach Alhandra zurück, andere erst am darauf folgenden Nachmittag. Sechzehn Frauen aus Alhandra wurden nach Caxias, in das von der PIDE geführte Gefängnis für Regimegegner überstellt, wo sie bis August 1944 gefangen gehalten und gefoltert wurden. Die PIDE hatte gar kein Interesse an den Frauen, sie benutzten sie nur, um an die Namen der Urheber der Manifestation und des Widerstandes in Alhandra zu gelangen. Alhandra war allerdings zu keinem Zeitpunkt komplett in den Widerstand involviert und seine Bürger auch nicht grundsätzlich kommunistisch orientiert. Doch für die Obrigkeit machte das keinen Unterschied. Bist du nicht für mich, bist du gegen mich. Die Guarda verstärkte ihre Polizeipräsenz um ein vielfaches in Alhandra und terrorisierte die Population vor allem nachts mit Lärmattacken und sinnlosen Verhaftungen. Geschäfte und Cafés mussten mit Einbruch der Dunkelheit schließen, die Einwohner standen unter Hausarrest. Die Frauen aus Alhandra lernten sich schweigend zu verständigen und ihren Männern im Widerstand trotzdem und unerkannt zu helfen. Ihre Geschichten haben Symbolkraft für den Kampf für Gleichstellung und Freiheit, und sie stehen stellvertretend für andere Frauen in Portugal, die sich trotz Angst, Unterdrückung und körperlicher Repressalien gegen das totalitäre System aufgelehnt haben. Die Literatur über die Entwicklung des Feminismus in Portugal wird weiter wachsen. Es gibt viele ungeschriebene Geschichten von Frauen, die Mut und Zivilcourage zeigten und mit ihrem Kampf den Weg in eine freiere Zukunft für ihre Geschlechtsgenossinnen ebneten. Spannende, traurige, wahre und fiktionale Geschichten. Egal welches Genre die Literatur auf diesem Sektor bedient oder künftig bedienen wird, eines eint ihren Inhalt: Der freie Geist. Denn es gibt immer eine, die sich auflehnt. Eine, die Nein sagt!
Catrin George
ESA 03/14