DIE LEUCHTTÜRME DER ALGARVEKÜSTE
Stille Wächter mit Warnlicht – Farol de Vila Real Santo António
Wachablösung im Leuchtturm in der Stadt am Guadiana-Fluss. Chef-Leuchtturmwärter Carlos Pacheco zieht um vom Leuchtturm am Cabo da Roca bei Sintra an die Algarve-Küste und erzählt von seiner Arbeit und seinem Leben
Vom Frühstück mit Meerblick träumt jeder. Für Leuchtturmwärter in Portugal gehört dieser Traum zum Beruf. Von ihrer Wohnung im Leuchtturm können sie aus dem Fenster auf den Atlantik schauen. In der Grenzstadt Vila Real de Santo António ganz im Osten der Algarve können sie das nicht. Dort steht der Leuchtturm auf gleicher Höhe
mit dem Meer, ein Stück abseits der Küste, und das Wohngebäude ist von einem Schirmpinienwald umgeben. Vor Kurzem hat eine neue Leuchtturmwärtertruppe ihren Dienst dort angetreten. Alle vier Jahre ziehen die Leuchtturmwärter, auf Portugiesisch Faroleiros, in einen anderen Leuchtturm um. „Ein Leben mit dem Schneckenhaus auf dem Rücken“, sagt der neue Chef Carlos Pacheco. „Schon als Kind wollte ich jeden Tag auf das Meer blicken“ verrät er. „Deswegen ging ich zur Marine.“
Die drei neuen diensthabenden Leuchtturmwärter in Vila Real sind Söhne aus Fischerfamilien, stammen aus Sagres, kennen jeden Leuchtturm in Portugal und haben bereits in mehreren ihren Dienst absolviert. Carlos Pacheco blickt auf 34 Jahre Berufserfahrung, seine derzeitigen Kollegen Marco Fatal und José -Silva auf 16 beziehungsweise 18 Jahre. Seit Ende August wachen die drei Faroleiros in Vila Real über die Leuchtturmanlage an der Mündung des Guadiana, dem Grenzfluss zwischen Spanien und Portugal. Sie sind für das Leuchtfeuer im Leuchtturm verantwortlich sowie für die Farolins (unbemannte Leuchttürme) an der portugiesischen Uferseite der Flussmündung und an der Hafeneinfahrt, für die Leuchtbojen flussaufwärts bis nach Alcoutim und entlang der Küste nach Westen bis Santa Luzia bei Tavira.
Als junge Männer hatte keiner von ihnen daran gedacht, sein Leben zwischen Tag und Nacht, zwischen Himmel und Horizont, Windgeheul und Möwengeschrei in einem Leuchtturm zu verbringen, doch die mit der Muttermilch eingesogene Liebe zum Meer hat sie zur Marine hingezogen. Nach der Grundausbildung standen mehrere Berufe zur Auswahl. Die Aussicht auf einen Beruf an Land und am Meer, ergänzt durch persönlich ausgeprägtes Faible für Technik und Mechanik, machte den Dreien die Wahl leicht: Leuchtturmwärter.
Seit ihrer zweijährigen Spezialausbildung wechseln sie regelmäßig zu einem anderen Leuchtturm. Für Faroleiros mit Familie birgt der Umzug jedes Mal ein Abenteuer mit neuen Herausforderungen. Das Schöne an ihrer Arbeit in Vila Real sei es, dass man Alltägliches zu Fuß erledigen kann, sind sich die drei Leuchtturmwärter einig. „Man spaziert zum Bäcker, zum Markt, ins Café, begleitet die Kinder zur Schule. Das erleichtert den Tagesablauf immens.“ Für ihre berufstätigen Ehefrauen ist der Umzug hingegen komplizierter, geben die Drei zu. Einen neuen guten Job zu finden, der auch Spaß bereitet, ist nicht überall möglich. Manche Ehen haben sich deswegen zu Wochenendbeziehungen entwickelt. Diese Phase durchleben fast alle Leuchtturmwärter-Ehen zumindest einmal. Man arrangiert sich. Neue Kontakte zu knüpfen sind die Faroleiros mit ihren Familien längst gewöhnt. Vor allem Kinder finden rasch Anschluss. Erst, wenn sie flügge werden und verliebt sind, wird es schwierig, lautet ihre Erfahrung. „Bei jedem Umzug kommen und gehen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, resümiert Carlos Pacheco. „Man lässt Freunde zurück, schließt woanders neue Freundschaften, man bleibt in Verbindung, telefoniert, schreibt und besucht sich.“ Geselligkeit gehört zum Alltag im Leuchtturm. In der Gemeinschaftsküche wird oft gemeinsam gekocht und gemeinsam gegessen, dort werden Probleme diskutiert, Meinungen sortiert und Lösungen gefunden. „Wenn drei Familien unter einem Dach leben und wir Männer vier Jahre miteinander arbeiten wollen, müssen Meinungsverschiedenheiten bei-gelegt werden, sonst ist das Arbeitsklima vergiftet und der Respekt bröckelt“, fasst Carlos Pacheco seine Lebenserfahrung in einem Satz zusammen. Die drei Faroleiros fühlen sich wohl an der sonnigen Algarve-Küste. Das Einzige, was in Vila Real de Santo António nicht klappt, ist das Frühstück mit Meerblick. „Macht nichts“, meinen Marco Fatal und José Silva, beim nächsten Leuchtturm wird es wieder anders. Carlos Pacheco schüttelt den Kopf. „Bei mir gibt es nach diesem Leuchtturm immer Frühstück, Mittag- und Abendessen mit Meerblick. Und zwar zu Hause in Sagres.“
Der Leuchtturm gehört zum Stadtbild von Vila Real de Santo António. Seine Turmspitze ragt über die Dächer der Stadt hinaus. Das Turmgebäude misst mit Kuppeldach 52 Meter, steht auf einem sechs Meter tief in den Sandboden versenkten Fundament und markiert die westliche Einfahrt auf portugiesischer Uferseite am Rio Guadiana seit Januar 1923 mit seinem Leuchtfeuer-Impuls. Das damals in Betrieb genommene Fresnel-Linsenprisma der dritten Kategorie (Fresnel-Prisma s. ESA 6/16) wird heutzutage von einer einzelnen 1000-Watt-Halogenbirne gespeist und sendet im Abstand von 6,5 Sekunden einen 0,2 Sekunden lang leuchtenden, etwa 40 Kilometer weit sichtbaren Impuls für die Schifffahrt. Im Jahre 1923 noch mit Petroleum gespeist, funktionierte das Rotationssystem und das Leuchtfeuer zwischen 1927 bis 1946 mit Generatorstrom. Im Jahre 1947 wurde die Leuchtfeuerapparatur modernisiert, an das öffentliche Elektrizitätsnetz angeschlossen und funktioniert seit 1986 voll automatisiert.
In die Turmspitze gelangt man seit 1957 bequem in einem Fahrstuhl, klettert über eine steile Stufenleiter noch eine Etage höher bis zur Aussichtsplattform und genießt einen Rundgang in 46 Meter Höhe einmal außen um den Turm herum. Von dort aus kann man der Stadt sozusagen aufs Dach schauen. Man sieht das Fußballstadion, den städtischen Forst, Strand und Meer, die Flussmündung, Fabrikruinen, die Feuerwehr, den historischen Stadtkern, die Uferpromenade, den Yachthafen mit Fährschiffanleger. Nach Süden und Westen breitet sich das Naturschutzgebiet Mata Nacional das Dunas Litorais mit Schatten spendenden Schirmpinien über drei Kilometer bis Monte Gordo aus. Der Blick schweift weiter entlang der Sandküste und verliert sich im Meeresdunst bei Manta Rota. Im Nordwesten rücken Burg und Festung von Castro Marim ins Bild. Zwischen Castro Marim und Vila Real glänzt in zahlreichen Salinen gestaute Sole silbrig weiß, umgeben von Marschlandschaft, die sich am Flussufer bis zur Stahlbrücke über den Rio Guadiana ausdehnt. Am gegenüberliegenden Flussufer liegt die spanische Grenzstadt Ayamonte.
Den Leuchtturm kann man, wie alle Leuchttürme in Portugal, immer mittwochs zwischen 14 Uhr und 16 Uhr besichtigen. Ein vormittäglicher Stadtbummel durch den historischen Stadtkern mit Mittagessen an der Flusspromenade ergänzt den Ausflug. Nach der Leuchtturmbesichtigung lohnt sich eine Fährpassage nach Ayamonte, um den Tag in Spanien bei Kaffee und Kuchen ausklingen zu lassen.
Text: Catrin George
ESA 10/16