Die Felsen der Liebe
Die Wissenschaft bietet eine logische Erklärung zur Bildung der bizarren Felsformationen von Praia da Rocha. Doch wie so oft, ist eine fantasievolle Geschichte viel schöner als die logische. Die Legende der Praia da Rocha ist ein solches Beispiel.
Eines Tages erreichte eine Meerjungfrau die Algarve-Küste. Woher sie kam, ist nicht bekannt. Nur dass sie von einer langen Reise sehr erschöpft war und sich hier ausruhen wollte. Ein Fischer, der dort in der Nähe seine Netze flickte, sah sie und ärgerte sich darüber, dass sie so einfach in sein Gebiet eingedrungen war. „Hör mal“, rief er ihr zu, „all dies, was du hier siehst, gehört mir. Das Meer schaffte diesen Ort und ich bin sein Sohn!“ Die Meerjungfrau lächelte verführerisch und gewann sofort sein Herz. „Ich komme von weit her Fischer. Dieser Ort ist so schön, dass ich hier gerne verweilen möchte.“ Der Sohn des Meeres wollte wissen wer sie war, wie sie hieß. Doch sie antwortete nur „ich habe keinen Namen, ich bin nur das, was ich bin, eine Meerjungfrau“. „Dann sei willkommen an diesem Ort, der bereits dir gehört, Meerjungfrau“, sagte der Fischer entschieden.
In dem Moment hörten sie eine barsche Stimme. „Du kannst nicht verschenken, was dir nicht gehört Fischer! Dieses Land gehört mir. Die Serra hat es geschaffen. Ich bin der Sohn der Serra und alles, was du siehst, gehört mir!“ Wieder lächelte die Meerjungfrau verführerisch und sagte fast flüsternd „In dem Fall, Sohn der Serra, bist du wohl das Ende meiner weiten Reisen“. Der Fischer unterbrach sie. Der Sohn der Serra könne sagen, was er wolle. Er und die Serra wären gegen seinen Vater, dem Herrscher der Wellen, machtlos.
Doch der Hochländer lachte höhnisch. „Versuche du doch das Gebirge zu besteigen! Was können deine Wellen gegen die Kraft, die ich von meiner Mutter erbte? Ich bin machtvoller als du. Ich kann Gebirge mitten im Meer aufsteigen lassen.“
Die beiden Riesen waren bereit sich zu bekämpfen. Die Wellen des Meeres stiegen empor, in der Serra tobten die Bäume. Die Meerjungfrau war entzückt über diesen Liebeskampf, dessen Mittelpunkt sie selbst war. Aber sie sagte ihnen sanft: „Beruhigt euch. Geht und bringt mir Beweise eurer Stärke. Ich bleibe hier und werde mich etwas ausruhen“. Die beiden Rivalen entfernten sich. Einer ging ins Meer, der andere stieg die Serra hoch. Beide überlegten, wie sie die Meerjungfrau gewinnen könnten. Sie hingegen machte es sich gemütlich und legte sich hin.
Der Fischer kam zuerst zurück. Er brachte ihr das Meer, legte es zu ihren Füßen und färbte es in einem leichten Grün entlang der Küste und dunkelblau am Horizont. „All dies ist mein Meer und es gehört nun dir, liebe Meerjungfrau.“ Sie schaute auf das weite Meer und erfreute sich an seinen immer wieder kehrenden Wellen. Plötzlich vernahm sie die Stimme des Hochländers. „Hier bin ich Meerjungfrau. Ich werde dir hoch oben am Gipfel der Welt einen Thron aus Stein geben. Der Wind wird dich in den Schlaf wiegen, die Sonne deine Haut wärmen und die Quellen deinen Durst stillen. Komm mit mir und du wirst die Königin der Serra sein“. Gelassen sagte sie „Du bist zu spät gekommen Hochländer. Ich fühle mich bereits wie die Königin des Meeres.“
Wütend, weil sie abgelehnt worden war, ließ die Serra große Steine bis zum Meer runter rollen. Wenn die Meerjungfrau nicht dazu bereit war, die Serra hochzusteigen, würde die Serra eben runter zu ihr kommen. Nun wurde das Meer wütend. Tage und Nächte, Nächte und Tage stürzte er sich gegen die Steine, konnte sie aber nicht komplett zerstören. Sie bekämpften sich so lange, bis die Meerjungfrau eines Tages, unfähig eine Entscheidung zu treffen, sich in weißen, feinen Sand verwandelte. Noch heute sind die Meerjungfrau und ihre beiden Verehrer, die Serra und das Meer, am selben Ort anzutreffen. Manchmal bekämpfen sich die beiden Riesen, manchmal sind sie gute Freunde. Der Ort heißt heute Praia da Rocha.
Veröffentlicht in ESA 4/2013