Eine Jahrhundertstimme wird hundert
Wer sie einmal gehört hat, vergisst sie nicht. Amália Rodrigues‘ Stimme gehört zu den fünf besten Stimmen des 20. Jahrhunderts und ihr verdankt der Fado seinen Aufstieg bis zum UNESCO-Weltkulturerbe. In diesem Jahr feiert Portugal Amálias 100-jährigen Geburtstag
Text: Catrin George Ponciano Fotos: Fundação Amália Rodrigues
Wenn wir geboren werden, um zu sterben, für was leben wir?”, fragte sich Amália oft, und brachte ihrer Traurigkeit über das Leben, das ihrer Meinung nach einzig dem Ende jeden Tag ein Stück näher rückt, in ihren Gedichten zum Ausdruck. Ihren lyrischen Versen vertraute sie ihre intimsten Gedanken an. Zwischen den Zeilen offenbaren sich ihre Ängste, verborgen in den Leerräumen, nicht in den niedergeschriebenen Worten.
Von ihrem Publikum zum Weltstar gekürt, von ihrer Nation zur Vorzeigefigur erhoben, von ihren Fans geliebt, so kannte und kennt die Welt die am 6. Oktober 1999 verstorbene Ikone des portugiesisch melancholisch poetischen Gesangs. Ihr Lächeln war berühmt, ihre Güte wärmte die Herzen ihrer Zuhörer und aller, die ihr begegnet sind. Niemand kann den portugiesischen Star jemals wieder vergessen, der sie singen gehört hat, gar live erlebt. Ihre Zuhörerschaft lag ihr zu Füßen, die Presse verglich sie mit der Callas, mindestens ein Weltstar, dabei war Amália eine durchweg schüchterne, zurückhaltende Frau, aber mit einer begnadeten Stimme.
Um Distanz zwischen ihrem Bühnendasein und ihrem Privatleben zu schaffen, zog sie eine klare Trennungslinie, und igelte sich über 30 Jahre lang ein in ihrem Haus in der Rua de São Bento 193. Ein -gelbes, typisch portugiesisches Stadthaus mit einem Atrium und einem Garten, das Amália ihr lar, ihr Heim nannte, und wo sie die Stille fand, nach der sie suchte, und die Privatsphäre, die sie nötiger brauchte als die Luft zum Atmen.
In ihrem ehemaligen Schlafgemach duftet es nach Rosenwasser, das Amália liebte, und damit ihre prächtigen, maßgeschneiderten Galakleider besprühte. Das Bett, bedeckt mit Spitzenkissen, das gesamte Zimmer scheint rosé und creme, in Seide und Satin. In einer Ecke steht ein tragbarer Altar, bestückt mit Fotos. Von ihren drei ehemaligen Ehemännern, ihrer Familie, wertvoll gerahmt neben Marienfiguren, ihr Rosenkranz, ihre Bibel. Vor dem Altar ein Knie-Höckerchen. Hier hat Amália gekniet und gebetet und Zwiesprache mit Gott gehalten, mit dem sie nicht immer eins gewesen ist. Dreimal wollte Amália ihrem Leben selbst ein Ende setzen, unerträglich schwer wog die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, als immer lächelnd glücklicher Fado-Star zu erscheinen. Beruhigende Substanzen halfen ihr manchmal, nicht immer, den Gang auf die Bühne zu schaffen, das Amália-Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern und die Menschen mit ihrer Stimme zum Weinen zu bringen.
Die Tränen ihres Publikums waren ihre eigenen, stets bloß heimlich geweinte Tränen, aber niemand hat ihre Trostlosigkeit jemals bemerkt. Bis auf ganz wenige, eng mit Amália Vertraute, wie ihre Gefährtin Estrela, die mit Amália 15 Jahre lang unter einem Dach gewohnt hat. Die Melancholie und die Traurigkeit über das sichere Ende des Lebens, waren Amálias Motor, ein einzigartiger, stimmgewaltiger Motor, der in jedem Amália-Lied zu Hochform auflief. Die Diva trug ihr Herz auf der Zunge und das machte sie zu einer unnachahmlichen Musikkünstlerin.
Ihr Haus ist heute ein Museumshaus mit einer eigenen Amália-Stiftung, aus deren Fonds sozial benachteiligten Menschen geholfen wird. Ihr Schlafgemach duftet nach wie vor nach Rosenwasser, der Chiffon, die Seide, die Plissees und die Spitzen ihrer Kleider rascheln in ihrem Boudoir und ihr persönliches Notizbuch liegt aufgeschlagen auf dem Nussholzsekretär, daneben eine Füllfeder, beinahe so, als käme Amália in wenigen Minuten nach Hause und würde ihre Gedanken zu Papier bringen.
Am 23. Juli 2020 würde Amália 100 Jahre alt. Das Jubiläum animiert dazu, der Fado-Ikone Portugals ein rauschendes Fest zu bereiten. Der Festrausch beginnt allerdings, durch die Konsequenzen der Pandemie, erst im Oktober anlässlich ihres Todestages mit einer Gedenkmesse auf der Herdade Amália in Brejão im Landkreis Odeceixe, Alentejo, gefolgt von einem Gedenkkonzert. Unter dem Motto „Amar Amália“ bieten Konzerthäuser in Guimarães, Porto und Lissabon einen Fado-Zyklus an, diverse Ausstellungen laden ein zu Amálias visualisierter Biografie. In Lissabon und im gesamten Land, können sich Amálias Fans auf eine eigene Route Roteiro Amaliano freuen, die die Orte in Portugal, die nach der Fado-Diva benannt worden sind, vereint.
Einen eigenen Gedenk-Zyklus in kleinem Kreis veranstaltet die Casa Amália rund um den hundertjährigen Geburtstag im Juli und den Todestag im Oktober, mit Fado-Kammerkonzerten, Poesie-Salons und anderen Aktivitäten rund um Amálias Leben und Wirken. Amália Rodrigues‘ Ruhestätte im Patriarchen-Mausoleum Panteão Nacional, sowieso eine Pilgerstätte für Fado-Fans, wird in diesem Herbst besonders großen Andrang erwarten, von Menschen aus aller Welt, die der Fado-Diva Portugals ihre Aufwartung machen.
International findet Amálias Gedenktag Aufmerksamkeit auf fünf Kontinenten, in eigens als Hommage an den portugiesischen Star initiierte Fado-Festivals in 18 Metropolen, in denen sie einst aufgetreten ist, unter anderen in Barcelona, Sevilla, Buenos Aires, Peking, Rabat, Rio de Janeiro und São Paulo. Die portugiesische Regierung ehrt ihre Bürgerin in einer eigenen Gala als Kulturbotschafterin der Nation und als Symbol für das musikalische Welterbe Portugals.
Bei der Post CTT gibt es demnächst die Amália-Briefmarke, die Musikindustrie legt eine eigene Serie mit vergriffenen oder bislang nie aufgenommenen Amália-Fado auf, und auch der Merchandising Markt plant ein eigenes Amália-Accessoire-Sujet mit Uhren-Kollektion, Brillenmarke und Weinkorken, der den von einer national bekannten Adega, passend zum Anlass gekelterten Wein verstöpselt – zum Prosit – auf die unvergessliche Stimme Portugals. Parabéns Amália!
In ESA 07/2020
Fundação Amália Rodrigues
Casa Museu Amália
Rua de São Bento, 193
Di – Sa 10 – 18 Uhr
amaliarodrigues.pt/casa-museu