Alle lieben sie
Festtage sind in jeder Kultur prägende Momente und die portugiesische Kultur ist da nicht anders. Zu jedem Fest gibt es kulinarische Traditionen und für jeden Geschmack viele Verlockungen. Zu Weihnachten werden hierzulande traditionell rabanadas gegessen. Eine süße Versuchung, die es allerdings auch anderswo gibt
Im Norden heißen sie rabanadas, südlich des Tejo werden sie fatias de paridas oder fatias douradas genannt, aber das Wesentliche bleibt gleich: altbackenes Brot, eingeweicht und ausgebacken. Alles andere variiert je nach Region und eigenem Gusto. Die Zutaten können aus Zitronenschalen, Likör, Rotwein, Zimt und Trockenfrüchten bestehen. Obwohl rabanadas zu jeder Jahreszeit verspeist werden, sind sie in Portugal ein Synonym für Weihnachten, denn in der Vergangenheit stellten sie für arme Menschen die einzige Möglichkeit dar, zu dieser Jahreszeit etwas auf den Tisch zu bringen, das den festlichen Desserts in den reichen Häusern ähnelte: Eine einfache Scheibe Brot, Eier aus dem Hühnerstall, Honig aus dem Bienenstock und Wein aus dem Keller waren stets zur Hand, Zucker und Zimt dagegen Mangelware, die man sich ausnahmsweise leistete.
Wie bei vielen Traditionen, gibt es auch eine Legende, die den Ursprung der rabanadas würdigt und die Bezeichnung fatias de paridas oder, in der ursprünglichen Form, fatias de mulheres paridas (stillende Mütter) erklärt. Es wird erzählt, dass eine mittellose Frau, die sich lediglich von in Milch eingeweichten Brotresten ernährte, so viel Muttermilch hatte, dass sie nicht nur ihr Neugeborenes sondern auch die anderen Kinder des Dorfes stillen konnte. Diese Geschichte vom Überfluss in der Armut und der Aufopferung einer Mutter passt perfekt zum weihnachtlichen Geist.
Im Minho und in Trás-os-Montes gibt es Unmengen von rabanadas-Rezepten: mit Honig, Nüssen, Portwein oder Milch und sogar gefüllt, fast immer begleitet von Zuckersirup oder Zuckerei. In Caminha im Minho gibt es sogar eine „Rota da Rabanada“: Im Dezember und bis zum Dreikönigstag präsentieren teilnehmende Lokale unterschiedliche Rezepte des Süßgebäcks. In Braga wird die Tradition der rabanadas aus den Klöstern wieder aufgegriffen. Nur dort werden die Brotscheiben nicht in Oliven- oder Pflanzenöl gebraten, sondern in Sirup, mit dem sie serviert werden. Es ist eine der fluffigsten Variationen und hat einen köstlichen Geschmack nach Honig und Zitrone. In Barcelos ist der Hauptgeschmack ebenfalls Honig, aber anstelle von Portwein wird der für die Region typische Vinho Verde verwendet. In Póvoa do Varzim unterscheidet sich die „Rabanada à Poveira“ von den anderen, da sie nicht in Scheiben serviert wird.
Stattdessen sind es kleine runde Bällchen, die an Berliner erinnern. An den Ufern des Douro-Flusses wird zum Einweichen des Brotes verstärkt Rotwein verwendet. Dadurch erhalten die rabanadas einen dunklen Ton. Abgeschmeckt werden sie manchmal mit Eierfäden oder einem Zuckersirup mit Zitrone und Zimt. In Aveiro gibt es eine echte Kalorienbombe: Dort wird das Süßgebäck mit den dort typischen ovos moles verspeist. Zwischen Santarém und Tomar wird Portwein verwendet, der mit Honig gemildert wird. In der Sub-Region Lezíria do Tejo nennt man sie rabanadas ricas und fügt eine Handvoll Pinienkerne hinzu. Im Alentejo werden sie einfach fatias de ovos genannt, wobei das leckere regionale Bauernbrot und das Frittieren in regionalem Olivenöl den Unterschied zum Rest des Landes ausmacht. In der Algarve gibt es in Castro Marim ein Rezept mit Sirup aus regionaler Orangenmarmelade, um dem Gebäck eine Zitrusnote zu verleihen.
Aber nicht nur in Portugal ist diese Süßspeise beliebt und bekannt. In Frankreich glaubten die Adligen, dass der „pain perdu“ nach der Entbindung unerlässlich für die Stärkung der Frauen sei – damit kommen wir zurück zu den stillenden Müttern. Nachdem das Rezept in die englischsprachige Welt und nach Südamerika überliefert wurde, erhielten die rabanadas dort den Namen French Toast. Die Spanier nennen sie torrijas und essen sie zu Ostern. Dort werden sie in Olivenöl gebraten und mit Rotweinsirup verzehrt. In Brasilien gelten sie als portugiesische Spezialität und sind ebenfalls Teil der Weihnachtstradition. Auch in den Niederlanden, Marokko, Indonesien und Indien finden sich Abwandlungen der rabanadas.
Und wenn Sie bis jetzt nicht wissen, wovon hier die Rede ist, dann hilft Ihnen eventuell die Bezeichnung Armer Ritter auf die Sprünge. Nein? Vielleicht Rostige Ritter, Pofesen, Semmelschnitten, Bavesen oder Fotzelschnitten? Denn auch im deutschsprachigen Raum wechselt die Bezeichnung und das Rezept je nach Region. Bereits die Römer sollen sich daran ergötzt haben und das erste deutschsprachige Rezept wurde im 14. Jahrhundert im „buoch von guoter spise“ verfasst und von den Gebrüdern Grimm in ihrem Wörterbuch zitiert: „snit denne aht snitten arme ritter und backe die in smalze niht zu trüge“. Interessanterweise heißt die Süßspeise auch in England Poor knights of Windsor.
Es ist erstaunlich, dass die Verwendung von altem Brot in dieser Form so viele Anhänger in so vielen verschiedenen Kulturen hat. Wie auch immer diese Süßspeise in diesem Jahr bei Ihnen auf den Tisch kommt, wir wünschen Ihnen ein wohliges und köstliches Weihnachtsfest. Natürlich mit rabanadas!
Rabanadas
Zutaten:
500 ml halbfette Milch
1 Zitrone (Schale)
2 Zimtstangen
8 Brotscheiben
6 Eier
250 ml Frittieröl
Zucker und Zimt (zum Bestreuen)
Zubereitung:
Die Milch mit der Zitronenschale und den Zimtstangen erhitzen, vom Herd nehmen und abkühlen lassen.
Die Brotscheiben in der warmen Milch einweichen und anschließend in die verquirlten Eier tunken.
In heißem Öl auf beiden Seiten goldbraun braten und abtropfen lassen.
Zucker mit Zimt mischen, die Scheiben in der Mischung wenden und servieren.
Tipps:
Statt in Milch, kann das Brot in Rotwein eingeweicht werden.
Dafür 500 ml Wein mit 1 TL Honig, einer Zimtstange und einer Zitronenschale aufkochen und etwas abkühlen lassen,
bevor man die Brotscheiben einweicht.
Dem Wein können auch Gewürznelken oder Muskatnuss hinzugefügt werden.
Dank seiner Konsistenz eignet sich portugiesisches Bauernbrot besser als Toastbrot oder Baguette.
Damit die rabanadas schön knusprig werden, sollte altbackenes Brot verwendet werden. Frisches Brot kann beim Einweichen auseinander fallen.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 12/2022