Neue Algarve-Routen
Die Routen der Rota Literária do Algarve bieten eine Art literarische Entdeckungsreise durch die Region. Sie laden dazu ein, Orte, deren historisches Erbe und Geschichte zu erkunden, die Schriftsteller inspiriert haben
Sechzehn Routen bilden die Rota Literária do Algarve: Von Alcoutim im Osten, über Faro an der Küste und Ameixial an der Grenze zum Alentejo, bis zur Halbinsel von Sagres im Westen, mit Entfernungen, die zwischen 300 m und 4 km variieren. Auch wenn man diese Orte bereits besucht hat, ermöglichen uns diese Routen, sie nun mit einem anderen Blickwinkel neu zu entdecken: Dem der portugiesischen Schriftsteller, die dort lebten oder zu Besuch waren und sich dazu inspiriert fühlten, in Versen oder Prosa zu verewigen, was sie mit ihren Augen und Gefühlen aufnahmen.
Jede Route entspricht einer Broschüre, die auf der Website rotaliterariadoalgarve.pt in portugiesischer, englischer, französischer und spanischer Sprache heruntergeladen werden kann. Die Broschüren sind keine reinen Wegbeschreibungen, sondern bieten eine Erzählung, die sich aus der „Kreuzung“ literarischer Texte mit den Biografien der Schriftsteller und Information über die Geschichte, Landschaft, Legenden und Traditionen jeder dieser Orte ergibt.
In Alte dreht sich der Rundgang um das Leben und das Werk des Dichters Cândido Guerreiro, einem der bedeutendsten Schriftsteller der Algarve im 20. Jahrhundert, dem aber leider wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. In Loulé steht António Aleixo, der größte Volksdichter der Algarve, im Mittelpunkt. In der Broschüre von São Bartolomeu de Messines konnte niemand anderes als João de Deus die Hauptrolle übernehmen und in São Brás de Alportel sind die Schriftsteller Bernardo de Passos und Roberto Dias Nobre die zentralen Figuren. Aber neben diesen Algarve-Autoren werden auch andere Schriftsteller herangezogen, wie der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago, der die Region bereiste und seine Eindrücke in „Die portugiesische Reise“ festhielt, oder die eine enge Verbindung zur Region hatten, wie Teresa Rita Lopes, die ihre Ferien im Haus ihrer Großeltern in Alcoutim verbrachte und der kleinen Stadt am Guadiana-Fluss einige Gedichte widmete.
In Sagres und Lagos sind die portugiesischen Entdeckungsreisen das zentrale Thema, in Vila Real de Santo António die Konservenindustrie und in Caldas de Monchique der Thermalkomplex. In Alcoutim wird die Geschichte der Schmuggler erzählt, in Ameixial die Bedeutung des Dorfes für die Maultiertreiber.
Die Rota Literária do Algarve war einer der Gewinnerprojekte des Bürgerhaushalts von Portugal 2018 und wurde von Sílvia Quinteiro und Rita Baleiro, Professorinnen und Forscherinnen an der Fakultät für Hotel- und Tourismusmanagement der Universität der Algarve, ausgearbeitet.
Streifzug durch Estoi
Wir beschlossen die Route in Estoi zu erkunden, die kleine Ortschaft nördlich von Faro, die vor allem wegen des Palastes und der alljährlichen Festa da Pinha bekannt ist. Ausgangs- und Endpunkt sind am Platz vor der Kirche. Die Route führt von dort zu einer kleinen Gartenanlage rechts hinter der Kirche, in der eine Büste von Emiliano da Costa steht, ein Arzt und Dichter aus Tavira, der den Großteil seines Lebens in Estoi verbrachte und eine starke affektive Beziehung zum Dorf entwickelte, das er daher „sein Dorf“ nannte. Viele seiner Gedichte sind über Alte, über das Licht und die Landschaften in und um das Dorf und über seine Bewohner.
Von hier gehen wir bis zum Largo de Ossónoba und zur ehemaligen Markthalle, in der die Poststelle und ein kleines Emiliano da Costa gewidmetes Zentrum untergebracht sind. Zur Schau stehen einige seiner Gedichte sowie Zeichnungen und Gemälde, aber auch Porträts, die andere Künstler von ihm machten, und persönliche Gegenstände aus seinem Haus, das zusammen mit der Wallfahrtskapelle Pé da Cruz, der nächste Stopp der Route ist. Zurück am Largo de Ossónoba, biegen wir rechts und gleich darauf links ab. Kurz danach nehmen wir die Treppe der Rua da Barroca rechts, um zum Tor der Gartenanlage des Palastes zu gelangen.
Der Palácio de Estoi, eine der eindrucksvollsten Schlossanlagen Portugals, ist der Höhepunkt der Route. Ein ehemaliger Herrensitz, der vom Sohn des Eigentümers in den 1840er Jahren in einen pinkfarbenen Protz-Palast umgewandelt wurde. 1893 wurde er von José Francisco da Silva, als Eselstreiber und Bauer in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, später als Getreidehändler und Apotheker in Beja reich geworden, erworben. Er verwendete sein ganzes Vermögen, um dem Schlösschen neues Leben und Glanz einzuhauchen. Und so verwandelten Handwerker und Künstler aus ganz Europa den Palast in das, was er heute noch ist: Ein Stil-Mix aus Neorenaissance, Neogotik, Neo-Manuelinik mit maurischen Elementen und einem barocken italienischen Garten. Das Interieur im Stil Louis XV. besteht aus spiegelnden Marmorböden, glitzernden Kristalllüstern und mit Blattgold verschnörkelten Spiegeln, kombiniert mit brasilianischen Jacaranda-Hölzern sowie Deckenfresken und Trompe-l’oeil-Malereien. Angetan von Antike und deutscher Kultur ließ da Silva seinen Palast mit Büsten von Bismarck, Moltke, Friedrich dem Großen, Goethe, Schiller und den Gottheiten Jupiter, Diana und Venus sowie mit unzähligen monumentalen Öl- und Wandgemälden, portugiesischer Fliesenkunst und Mosaiken dekorieren. Kurzgefasst: Der Palast ist ein exzentrisches neobarockes Kleinod.
Hundert Jahre versank das Schloss in eine Art Dornröschenschlaf, wechselte mehrfach den Besitzer, bis es die Stadt Faro an die Gruppe Pousadas de Portugal verkaufte. Seit Juni 2009 ist der Palácio de Estoi Teil eines neu gebauten Hotels. Während der Zugang zur unteren Gartenanlage kostenlos ist, müssen Besucher in der Rezeption € 2,50 zahlen, um das Schloss und den oberen Teil des Gartens besichtigen zu können.
Wir sind überrascht zu sehen, wie viele Touristen hier unterwegs sind. Italienern, Franzosen, Engländern und Deutschen begegnen wir bei unserem Rundgang, nicht nur im Palast, sondern auch in den Dorfgassen. Ebenfalls überraschen uns die an einigen Häusern angebrachten AL-Schilder, die an der Küste praktisch an jeder zweiten Haustür hängen aber im Hinterland doch eher selten vorkommen. Unter anderen dient ein Herrenhaus mit einer wunderschönen grünen Tür mit verschnörkeltem Schmiedeeisen am Largo de Ossónoba der Ferienvermietung. Direkt daneben, wie auch an vielen anderen Stellen des Ortes, wird derzeit ein altes Gebäude renoviert. An anderen Häusern hängen Schilder von Immobilienagenturen, die sich normalerweise Luxusobjekten in Strandnähe widmen. Das boomende Interesse ist leicht nachvollziehbar: Estoi ist eine kleine schnuckelige Ortschaft, mit vielen schönen bunten Türen, Fenstern, Schornsteinen, azulejos und platibandas – Verzierungen am oberen Ende der Fassaden –, die in ländlicher Gegend aber nur einen Katzensprung von der Hauptstadt der Algarve entfernt liegt.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 02/2023