Ein portugiesisches Sprichwort besagt, dass die Schönheit in den Details liegt. Die Gezeitentümpel-Safari von Marzena Sieczka und Cristian Pérez veranschaulicht nicht nur dieses Sprichwort, sondern enthüllt uns die lebhafte und kuriose Welt der Gezeitentümpel am Strand von Monte Clérigo nahe Aljezur.
Es war ihre Liebe zu den Ozeanen, die sie zusammenbrachte. Marzena bereiste die Welt von Deutschland aus und lernte an der australischen Küste, nach wilden Nahrungsressourcen wie Oktopussen und Krebsen in den Gezeitentümpeln zu suchen. Cristian wuchs in einer Fischerfamilie im südspanischen Cadiz auf. Das Wissen über Meeresbewohner, das Angeln, Speerfischen oder Muschelsammeln wurden ihm praktisch in die Wiegegelegt. Auch er bereiste die Welt, lebte auf den kanarischen Inseln, in England, Schweden und Spanien, fand jedoch an der Costa Vicentina sein Zuhause und seine große Liebe, Marzena. Bei ihrem ersten Date gingen sie angeln, beim zweiten auf Nahrungssuche an der Küste. Das ist mittlerweile fünf Jahre her. Inzwischen gründeten sie Rock & Reel und teilen ihre Leidenschaft mit anderen. „Wir lieben die Ozeane und ihre Bewohner und wollen diese empfindlichen Ökosysteme für künftige Generationen schützen und erhalten, indem wir unser Wissen an andere weitergeben, um Bewusstsein zu schaffen“, fasst Cristian zusammen. Ihr Arbeitsplatz ist die „Steinplattform“ am Strand von Monte Clérigo und die Gezeitentümpel, die sich dort bei Niedrigwasser bilden. Doch diese fallen den meisten Strandbesuchern nicht auf. Sie sind von den imposanten Felsen und Dünen sowie von der Kraft, mit der die Wellen aufprallen beeindruckt und von den kunterbunten Häuschen am Hang entzückt. Den Gezeitenbecken schenken die meisten keine Aufmerksamkeit. Dabei sind diese noch beeindruckender.
Sie beherbergen eine Vielzahl von Lebewesen. Wir entdecken Kleine Felsengarnelen, Marmorkrabben, Seeanemonen, wie die Purpurrose, Enten- und Miesmuscheln, Seepocken, Napfschnecken, Gemeine Strandschnecken, Seeigel und Oktopusse. All diese Tiere sind schwierigen Standortbedingungen ausgesetzt, denn die Gezeitenzonen sind eine dynamische Umgebung, in der sich Wasserstand, Temperatur und Salzgehaltständig ändern. Daher sind sie auf spezielle Anpassungsmechanismen angewiesen. Sie müssen beispielsweisedagegen ankämpfen, bei Flut von der Strömung aufs offene Meer hinausgetrieben zu werden und sich bei Niedrigwasser gegen Trockenheit schützen. Oft sind sie sieben Tage der Sonne ausgesetzt. Um unter diesen harten Bedingungen zu überleben, haben sie wahre Superkräfte entwickelt. Obwohl sie zu Millionen an den Felsen und an Muscheln haftet, ist die Seepocke wohl das unscheinbarste Wesen in der Gezeitenzone. Auf den ersten Blick erkennt man sie nicht einmal als Lebewesen. Die Superkraft der Seepocke ist die Substanz, die es ihr ermöglicht, sich an die Felsen zu haften – fürs Leben! Diese biologische Haftkraft dient im medizinischen Bereich als Vorbild: Forscher haben einen Gewebekleber entwickelt, der den „Seepocken-Klebstoff“ nachahmt und auch im „glitschigen“ Körperinneren sehr schnell Wunden abdichten und damit Blutungen stoppen kann. Großes Einsatzpotenzial wird in der Chirurgie und Notfallmedizin gesehen. Als Larve trägt das Meer die Seepocke mit Wucht an den Felsenstrand, wo sie sich mit dem ultraschnellhaftenden Leim am Felsen andockt. „Eine Klebdrüse am Kopf macht es möglich. Dann baut sie sich ein stabiles Kalkgehäuse, um den fragilen Krebskörper sowohl vor der Austrocknung als auch gegen die harten Schläge der Brandung zu schützen. Nur eine kleine Öffnung bleibt, um mit ihren Rankenfüßen Meeresorganismen, meist Larven des Planktons, aus dem Wasser zu sieben. Ist die Welle weitergeschwappt, schließt sich die Seepocke wieder. Das bedeutet, dass sie ihr ganzes Leben im Kopfstand verbringt. Kannst du dir das vorstellen?“, fragt Marzena. Ich schaue sie nur verlegen an, denn mittlerweile habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich auf Hunderte von Seepocken getreten bin und nun versuche meine Füße so zu positionieren, dass ich auf keiner stehe.
Auch die Napfschnecke haftet hartnäckig am Felsen. Ihre Superpower ist ihre Saugkraft. Sie saugt sich so stark am Felsen fest, dass man sie praktisch nur mit Hilfe eines Messers loslösen kann. Allerdings bewegt sie sich auch, um Algen von den Felsen zu fressen und hinterlässt dabei Spuren. Laut einer Studie der Bergischen Universität Wuppertal, sind die Zähne der Napfschnecke härter als Spinnenseide und gelten somit als das härteste auf der Erde vorkommende natürliche Material. Beim Überleben geht es auch um Fortpflanzung. Bezüglich dieses Themas haben Cristian und Marzena viel Kurioses zu berichten. Die winzige Seepocke hat man nicht unbedingt im Kopf, wenn es um das längste Geschlechtsorgan geht. Doch gemessen an der Körpergröße hält der Rankenfußkrebs sogar den Weltrekord! „Wie paart man sich, wenn man bewegungslos festklebt?“, fragt Marzena lächelnd, um gleich darauf zu erklären, dass die Seepocke weder Männchen noch Weibchen ist, sie ist Zwitter. Seepocken in männlicher Haltung tasten mit ihrem riesenhaften Penis, der ihre eigene Körperlänge um das 8-fache überragt, die Umgebung nach Artgenossen weiblichen Gemüts ab. Da die Seepocken in riesigen Ansammlungen leben, stehen die Chancen auf ein erfolgreiches Liebesspiel – und viele befruchtete Eier – also gut. „Danach schneiden sie den Penis ab und im nächsten Jahr wächst einer nach“, fügt Marzena grinsend hinzu. „Auch die Entenmuschel ist ein festsitzender Rankenfußkrebs, der seine Samen auf die Nachbarschaft sprüht und der Oktopus bleibt auf Distanz und streckt nur den Paarungsarm aus. Diese Vorsicht ist auch angebracht, denn so manches Weibchen entpuppt sich nach dem Akt als gefährliche Kannibalin, die ihren Partner als Abendessen betrachtet“, führt sie fort.
Romantischer geht es bei den Kleinen Felsengarnelen zu. Wenn Paarungszeit ist, leuchten ihre neonfarbigen Pünktchen im Dunkel. „Und was macht man, wenn die Disco-Lichter angehen? Tanzen! In diesem Fall einen Paarungstanz!“, so Marzena enthusiastisch. Für solche Liebesspiele hat die Gemeine Strandschnecke keine Zeit. „Da sie jeweils nur drei oder vier Eier legt, die schnell von anderen Tieren in der Nachbarschaft gefressen werden können, sind sie den ganzen Tag damit beschäftigt, sich fortzupflanzen“, erklärt Cristian. Die kleinen Wesen können auch sehr hinterlistig und tödlich sein. Nachdem ich Cristians Aufforderung folge eine Purpurrose zu berühren, erklärt Marzena mir, dass sie in ihren Tentakeln Nesselzellen haben, die sie abschießen, um vorbeischwimmende Tiere wie kleine Fische zu betäuben und zu verschlingen. „Ein ziemlich tödliches Tier, aber nicht für Menschen“, fügt sie lächelnd hinzu. Bei den Seeigeln ist Vorsicht geboten. Ihre Stacheln sind giftig und bleiben im Fleisch wie Hacken stecken. Alles wollen wir nicht verraten. Nur noch eines hinzufügen: Die Tide Pool Safari ist nicht nur eine lehrreiche Erfahrung in lockerer Atmosphäre, sondern auch eine Gelegenheit, die Natur und die Lebewesen um uns herum schätzen zu lernen.
in ESA 06/24 Text: Anabela Gaspar
Rock & Reel
Mob.: 910 853 534
rockandreelalgarve@gmail.comrockandreelfishing.com
Gezeitenbecken-Safari sowie Angelausflüge auf Deutsch


