Die Stadt am Gilão
Die reizvolle Stadt der Ostalgarve ist eines der beliebtesten Reiseziele der Algarve. Bei einem kleinen Rundgang durch das historische Stadtzentrum wird schnell deutlich, wieso das so ist
Tavira, dessen Häuser sich an beiden Ufern des Gilão-Flusses schmiegen, gehört ohne Zweifel zu den schönsten Städten der Algarve. Dies liegt nicht nur daran, dass die Stadt eines der besterhaltenen historischen Zentren hat, sondern auch an einem gut durchdachten städtischen Raumordnungsplan, der Grünflächen berücksichtigt und hohe Bauten verbietet. Bauarbeiten aber nicht. Praktisch an jeder Ecke werden Renovierungs- und Wartungsarbeiten durchgeführt. Nicht nur die Stadtverwaltung, sondern auch die Bewohner kümmern sich hingebungsvoll um den Erhalt ihrer Häuser, sprich, des historischen und architektonischen Erbes.
Das Auto parken wir auf dem Parkplatz in der Nähe der Feuerwehr unterhalb der Pousada do Convento da Graça, laufen zurück zur Ermida de São Roque, eine der insgesamt 37 Kirchen in Tavira, und folgen der gegenüberliegenden Rua António Viegas aufwärts. Gleich in dieser schmalen Gasse wird deutlich, dass Tavira nicht nur die Stadt mit den meisten Kirchen der Algarve ist, sondern auch mit unzähligen schönen Holztüren, darunter viele mit schmiedeeisernen Verzierungen und ausgefallenen Türklopfern sowie mit postigos, kleine Fenster, die es ermöglichen zu sehen wer anklopft oder sich mit der draußen stehenden Person zu unterhalten. Und bunt sind die Türen: rot, blau, grün und sogar lila. Vor allem aber ist Tavira eine der seltenen Städte, in denen man noch portas e janelas de reixa findet: Gitterartige Holztüren und -fenster, die frische Luft und Licht hereinlassen, ohne das Passanten das Innere der Häuser sehen können. Ein Erbe aus der Zeit der Mauren. In keiner anderen Stadt haben wir so viele Türen fotografiert wie in Tavira. Die Bewohner scheinen stolz auf ihre Eingangstüren zu sein. Selbst renovierte Häuser verzichten nicht auf eine traditionelle Ausführung.
Stolz erhebt sich auch das ehemalige Kloster Convento da Graça am Jardim do Largo Dr. Jorge Correia. Das 1569 eröffnete Kloster der Augustiner-Eremiten soll eines der ersten in der Algarve im sogenannten estilo chão gewesen sein. Dabei handelt es sich um einen portugiesischen architektonischen Stil, der sich durch die Strenge seiner Formen auszeichnet. Fast alles wird durch eine gerade Linie definiert und Verzierungen so weit wie möglich vermieden – und dennoch wirkt das Gebäude majestätisch und sticht durch das starke Gelb noch mehr hervor. Lange war das Kloster dem Verfall überlassen, bis 2006 die pousada eröffnet wurde und nun zu den begehrtesten Unterkünften in Tavira zählt.
Direkt daneben liegt das ehemalige Wasserreservoir, in dem sich seit 2004 eine der beliebtesten Attraktionen der Stadt befindet: die Camera Obscura. Hierbei handelt es sich um eine Art Periskop, das die Livebilder der Umgebung einfängt und in das Innere des Turms auf einen horizontalen Bildschirm mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern reflektiert. So kann man einen Panoramablick genießen und das Geschehen in Echtzeit beobachten.
Genau wie der Wasserturm, ist auch die Igreja de Santa Maria do Castelo ein Wahrzeichen Taviras und nicht vom Stadtbild wegzudenken. Sie soll im 13. Jh., wahrscheinlich an der Stelle der alten Moschee, im Auftrag des Eroberers von Tavira, D. Paio Peres Correia, im gotischen Stil erbaut worden sein. Sein Grab sowie das von sieben christlichen Rittern, die in der Eroberungsschlacht von 1242 gefallen sind, befindet sich im Altarraum der Kirche. Vom gotischen Stil sind heute nur das Portal und ein Bogenfenster übrig, da die Kirche beim Erdbeben von 1755 große Schäden erlitt und neu aufgebaut wurde.
Vom Kirchturm aus bietet sich ebenfalls ein wunderschöner Ausblick auf die Stadt, den Fluss, die umliegenden Salinen, die vorgelagerte Insel und den Atlantik in der Ferne. Für € 3 kann man das Gotteshaus betreten, zum Turm aufsteigen und auch ein kleines Museum mit Fundstücken aus der islamischen Zeit besichtigen. In Tavira ist der Besuch von 21 Kirchen möglich, jeweils für € 3. Im historischen Zentrum gibt es allerdings Rabatt: Für € 7 kann man die Igreja de Santa Maria do Castelo, die direkt davor liegende Igreja de Santiago und die Misericórdia-Kirche nahe des Hauptplatzes am Fluss besichtigen. Das Eintrittsgeld soll der Wartung und Renovierung der Gotteshäuser dienen und in der Tat strahlen die Kirchen von Tavira weiß getüncht in der Sonne.
Der Zugang zur Burg ist allerdings kostenlos. Nicht nur ein süßer Duft weht uns beim Betreten der Anlage um die Nase, sondern auch Musikklänge ertönen. Im „kleinen Hof“ blühen Blumen in allen möglichen Farben und von den Türmen aus erstreckt sich der Blick über die für Tavira so typischen Dächer, den sogenannten telhados de tesouro oder tesoura. Das sind Zeltdächer, die in der Regel jedes Zimmer eines Gebäudes einzeln abdecken und die Räume somit einen eigenen Giebel haben. In der Algarve kommen sie vor allem in den historischen Zentren von Lagos, Faro und Tavira vor. Städte, die nach Beginn der Entdeckungsreisen im 15. Jh. und mit der Eroberung von Ceuta und anderen marokkanischen Städten aus handelsstrategischen Gründen an Bedeutung gewannen. Der Adel ließ sich in Tavira nieder, damals die wichtigste Hafenstadt im Süden, und ließ seine Häuser mit solchen Dächern errichten. Historiker fragten sich, wieso man in der regenarmen Algarve Zeltdächer bauen sollte und stellten fest, dass die telhados de tesouro, wegen der extremen Neigung, die Wärme im höheren Bereich stauen und die Häuser dadurch kühler sind.
Nun nehmen wir die Treppe links von der Santa Maria-Kirche und biegen links in die Rua D. Paio Peres Correia, um zur Rua da Liberdade zu gelangen. Diese führt uns zum Herzen von Tavira: der Praça da República, direkt am Fluss. Hier liegen einige Cafés, deren Terrassen stets randvoll mit Touristen sind, das islamische Museum, das eine umfangreiche Sammlung archäologischer Fundstücke aus der islamischen Periode beherbergt, darunter die sogenannte Tavira-Vase, und das Rathaus, hinter dem sich die Fußgängerzone erstreckt.
Zuerst aber überqueren wir den Fluss über die Ponte Romana de Tavira aus dem 17. Jh. Die relative Horizontalität und die perfekten Bögen, lassen nach Ansicht der Kulturbehörde kaum Zweifel daran, dass die ursprüngliche Konstruktion aus römischer Zeit stammt. Wer gleich zu Beginn der Brücke nach links schaut versteht, wieso Tavira oft auch das „Venedig der Algarve“ genannt wird, wobei der Vergleich ziemlich übertrieben ist. Am anderen Ufer sind einige Terrassen, die im Gegensatz zu denen am Hauptplatz relativ leer sind – dabei liegen sie in idyllischer Lage direkt am Wasser und unter Schatten spendenden Bäumen. Um dorthin zu gelangen, gehen wir gleich nach der Brücke links durch den Tunnel und genießen kurz darauf unsere bica mit Blick auf den Gilão. Nach der kleinen Verschnaufpause geht unsere Entdeckungstour auf der Rua 5 de Outubro weiter. Direkt neben dem Tunneldurchgang befindet sich eine der besten Eisdielen in der Algarve: Delizia. Hier wird handwerklich hergestelltes Speiseeis mit lokalen Produkten, frei von jeglichen Farb- und Konservierungsstoffen sowie Geschmacksverstärkern angeboten. Einige Meter weiter liegen links ein kleines Keramikgeschäft und rechts ein Souvenirladen mit schönen Postkarten, darunter natürlich Fotos von bunten Holztüren. Am Jardim da Alagoa wird derzeit ein neues Hotel gebaut, bei dem die Fassade des ehemaligen Herrenhauses erhalten bleibt. Weiter folgen wir der Rua Almirante Cândido dos Reis und biegen rechts in die Rua António Cabreira, um wieder zum Fluss zu gelangen. Auch hier in den schmalen von asiatischen Gerüchen durchströmten Gassen finden wir wunderschöne Fenster- und Türen sowie mit azulejos verkleidete Fassaden. Allerdings stellen wir bedauernd fest, dass anders als die Türen, die azulejos in Tavira nicht so gepflegt erscheinen. Wir schlendern am Fluss entlang, überqueren die zweite Brücke und gehen auf das Gebäude der ehemaligen Markthalle zu, die heute unterschiedliche Geschäfte und Restaurants beherbergt und als kleines Einkaufszentrum fungiert. Danach durchqueren wir die Parkanlage, in der ein Pavillon (coreto) den Ehrenplatz einnimmt. Rundherum liegen gepflegte bunte Blumenbeete und stehen knallrote Bänke, von denen die meisten von älteren Portugiesen besetzt sind. Während wir rund um die Kirche Santa Maria do Castelo und am Hauptplatz vor allem deutsche, niederländische und französische Stimmen wahrnahmen, herrscht hier die portugiesische Sprache. Statt zum Hauptplatz, biegen wir kurz davor links in die nach der Fado-Diva Amália Rodrigues genannten Gasse ab, dann rechts in die Rua Alexandre Herculano, überqueren die Straße und nehmen die Treppe unter dem Bogen, eines der ehemaligen Tore der ummauerten Stadt, um wieder zur Burg hinaufzugehen. Gleich nach dem Bogen stehen wir vor dem imposanten Portal der Igreja da Misericórdia. Sie gilt als eine der architektonisch wertvollsten Kirchen von Tavira, denn die Renaissance-Elemente am Portal und im Inneren sind einzigartig in der Algarve. Innen beeindrucken die Renaissancedekoration der Säulen und die Altaraufsätze des Hauptaltars bzw. der Seitenkapellen als herausragende Beispiele der vergoldeten Schnitzereien aus dem 18. Jh. An den Wänden ist die Verkleidung mit azulejos bemerkenswert, die Szenen aus Jesus Christus´ Leben darstellen.
Der Straße links von der Kirche folgend, erreichen wir das städtische Museum, das im Palácio da Galeria untergebracht ist. Das Gebäude aus dem 15. Jh. bewahrt mehrere architektonische Elemente aus Gotik, Renaissance und Barock. Letztere, wie das Portal und die Fenster mit Steinmetzarbeiten, weisen auf die Zeit hin, als das Gebäude vom Magistrat João Leal da Gama e Ataíde erworben und renoviert wurde. Der Innenhof mit seinen Renaissance-Arkaden gilt als einer der interessantesten seiner Art im ganzen Land und die Holzverkleidungen der charakteristischen Dächer tragen dekorative Malereien. Der Palácio da Galeria ist das größte und symbolträchtigste zivile Gebäude in Tavira und als Denkmal von öffentlichem Interesse eingestuft. Dort können Ausstellungen besichtigt werden, die sich mit der Geschichte und der Vielfalt des städtischen Erbes befassen sowie mit zeitgenössischen Ausdrucksformen. Über den Largo D. Ana rechts vom Palast erreichen wir die Calçada D. Ana, in der wir Beispiele der reixa-Türen und -Fenster sehen können, folgen dieser links Richtung Wasserturm und nehmen dann die Calçada de Santa Maria rechts ab zu unserem Startpunkt.
Fazit: Ein kleiner Rundgang im Herzen von Tavira, der eine Fülle an Eindrücken und genauso viele Fotos von Türen hinterließ!
Text: Anabela Gaspar; Fotos: Anabela Gaspar; Miranda Opmeer in ESA 04/2022