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Geschichte

April-Revolutionen

Von agasparSa. 01. April 2023Aktualisiert:Do. 25. Juli 20247 Min Lesezeit

Alle guten Dinge sind drei

Die Nelkenrevolution fand im April 1974 statt. Sie war aber nicht die einzige im 20 Jh. Es gab gleich drei Putschversuche, die im April stattfanden und daher als „Abrilada“ in die Annalen eingingen: 1947, 1961 und 1974. Diese Militärrevolten zielten darauf ab, das faschistische Salazar-Regime zu stürzen, das seinerzeit ebenfalls aus einem Militärputsch hervorgegangen war. Einige Protagonisten dieses Putsches nahmen auch an den späteren teil

Wenn man bedenkt, dass Portugal heute als sicheres Land gilt und die Portugiesen als friedliches Volk, das – wenn überhaupt – auf gewaltfreie Weise protestiert, fällt es schwer sich vorzustellen, dass im 20. Jh. gleich mehrere – zum Teil blutige – Aufstände und Revolten erfolgten.

Die Erste Portugiesische Republik, die am 5. Okto­ber 1910 eingeführt wurde, zeigte schon bald Anzeichen von Instabilität. Ständig drohten monarchistische Aufstände und die Regierungen wechselten sich in rascher Folge ab. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Instabilität noch weiter zu: Eine starke Aktivität anarchistischer Gewerkschaften und ständige militärische Aufstände schufen im Land ein Klima, das auf ein baldiges Ende der Republik hindeutete. Am 19. Oktober 1921 erreichte die Unruhe neue Ausmaße, als sich Truppen der Republikanischen Nationalgarde und Marineeinheiten in Lissabon zusammenrotteten, um die Regierung des Ministerpräsidenten António Granjo zu stürzen. Der Aufstand führte zu einer Welle von Gewalt in der Hauptstadt. Bewaffnete Banden brachen in die Häuser führender Politiker ein und ermordeten sie, darunter Ministerpräsident Granjo. Diese Ereignisse gingen als „Blutige Nacht“ in die Geschichte ein. Zusätzlich zu den politischen und sozialen Auswirkungen dieser Nacht, verschärfte sich die Krise in den Jahren 1924 und 1925 mit einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit und politischer Instabilität. Die hohen Lebenshaltungskosten führten zu Streikwellen, die oft in Gewalt endeten. Auch unter den Militärs kam es immer häufiger zu Aufständen.

Am 13. August 1924 scheiterte ein weiterer Putschversuch und am 18. April 1925 kam es erneut zu einer Militärrevolte, diesmal von großem Ausmaß, an der auch diensthabende Generäle beteiligt waren. Mindestens 61 Offiziere nahmen an der nationalistischen Revolte teil, darunter General Gomes da Costa, und zivile Verschwörer. Der Putsch schlug fehl, aber von diesem Moment an verschlechterte sich die Lage und am 19. Juli kam es unter der Führung der Kommandanten José Mendes Cabeçadas und Jaime Baptista zu einem weiteren Aufstand. Auch dieser wurde von regierungstreuen Kräften niedergeschlagen, die Beteiligten wurden verhaftet und vor Gericht gestellt, aber schnell wieder freigelassen und im Dienst inte­griert, da die Institutionen der Republik keine Autorität besaßen. Die Untersuchungen und Gerichtsverfahren des vorangegangenen Putschversuches liefen noch, und schon gab es neue Bewegungen. Es war klar, dass Gomes da Costa und Mendes Cabeçadas nicht aufgeben würden. Da die Mehrheit der Militärs und der Politiker mit der internen politischen Situa­tion und der internationalen Diskreditierung Portugals unzufrieden war, kam es zu einer Verschwörung, bei der Gomes da Costa hochrangige Armeeoffiziere zu dem verleitete, was er für einen „notwendigen ­patriotischen Umsturz“ hielt, der den Nationalstolz wiederherstellen würde. Als António Maria da Silva am 17. Dezember 1925 sein Amt als Präsident der 45. Regierung seit 1910 antrat, war klar, dass die Erste Republik ihre letzten Tage erlebte, denn alle Meinungsgruppen, einschließlich der Alt-Republikaner, der Demokraten und ­Sozialisten, strebten nach Stabilität und Sicherheit. Der Wunsch nach einem Staatsstreich unter der Leitung von General Gomes da Costa zur Rettung des Vaterlandes wurde immer lauter. Und so kam es – oder auch nicht…

Der Staatsstreich vom 28. Mai 1926 begann als weiterer Aufstand in Braga unter dem Kommando von General Gomes da Costa und andere Städte wie Lissabon (unter der Führung von Mendes Cabeçadas), Porto, Évora, Coimbra und Santarém schlossen sich sofort an. Dieser Putsch führte schließlich zur Gründung der Zweiten Portugiesischen Republik, die den Weg für die Errichtung des Estado Novo ebnete, ein faschistisches Regime, das bis zur Nelkenrevolution vom 25. April 1974 – der bis dato letzten Revolution – an der Macht blieb.

Die Nelkenrevolution war diejenige, die Erfolg brachte, aber davor gab es andere. Der erste militärische Putschversuch, um António de Oliveira Salazar zu stürzen war die Revolte von Mealhada am 10. Oktober 1946 unter der Führung von Fernando Queiroga. Dieselbe Militärbewegung, die Queiroga unterstützt hatte, schlug am 10. April 1947 erneut zu. Diese Revolte wurde von Vizeadmiral José Mendes Cabeçadas angeführt, mit dem Ziel, den ursprünglichen demokratischen Geist des Putsches vom Mai 1926 wiederherzustellen. Die Aufständischen strebten die Bildung einer Militärjunta der Nationalen Befreiung an und bekamen die Unterstützung des Präsidenten der Republik Óscar Carmona. Der Aufstand wurde jedoch mit aller Härte unterdrückt.

Es dauerte 13 Jahre bis zur nächsten April-Revolu­tion, an der einige der höchsten Vertreter der Mili­tär­hierarchie und des Armeestabskorps beteiligt waren, darunter auch der Verteidigungsminister selbst, General Botelho Moniz. Ziel war es, nicht nur den Regierungschef Salazar, sondern auch den Präsidenten der Republik Américo Tomás zu stürzen. Der Ursprung der „Abrilada de 1961“ lag in der Unzufriedenheit eines Großteils der Militärhierarchie über die Art, wie die Streitkräfte sowohl in der Metropole als auch in den Kolonien organisiert waren. Aber auch externe Faktoren spielten eine entscheidende Rolle. Ab 1960 verstärkte sich der internationale Druck auf den portugiesischen Staat: Die UNO erklärte für die portugiesischen Kolonien ein Recht auf Selbstbestimmung, nachdem in dem Jahr 16 afrikanische Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen wurden; am 4. Februar 1961 begann der Guerillakrieg für die Unabhängigkeit Angolas, mit Angriffen der MPLA auf die Polizei und andere öffentliche Einrichtungen, und im folgenden Monat tötete die UPA 300 weiße Siedler im Norden Angolas; am 28. März – eine Woche vor dem ersten Truppeneinmarsch in Angola zur Bekämpfung der Guerilla-Aktionen – schrieb General und Verteidigungs­minister Botelho Moniz einen Brief an ­Salazar, in dem er ausdrücklich feststellte, dass sich „der Rahmen der gegenwärtigen politischen Situation […] auf nicht mehr gültige politische Werte beschränkt“ – sprich die militärische Aufrechterhaltung des Kolonialismus. Salazar ignorierte die Situation und, anstatt nach politischen Lösungen zu suchen, verkündete er: „Nach Angola mit Gewalt!“

Wochen später, am 11. und 12. April, versuchte der Verteidigungsminister Botelho Moniz zusammen mit dem Staatssekretär der Armee, dem damaligen Oberstleutnant Costa Gomes, und fast allen Armeekommandeuren einen Staatsstreich. Sie waren der Meinung, dass die von ihnen gesammelte militärische Macht ausreichte, um zunächst den Rücktritt des ­Regierungschefs Salazar und später auch den von Américo Tomaz zu fordern.

Sie hatten sich geirrt. Am darauffolgenden Montag, nach einem normalen Wochenende, stand die Staatspolizei PIDE vor der Tür ihrer jeweiligen Ministerien und teilte ihnen mit, dass sie entlassen worden seien. Die politische Antwort auf diese Eskalation der Situa­tion war lediglich die Abschaffung des Eingeborenenstatuts, das die Bürger der Kolonien nach ihrem „Europäisierungsgrad“ – Portugiesischkenntnisse, Religion, Vermögen usw. – diskriminierte. Nach dieser Abschaffung wurden alle Menschen in den Kolonien zu „Portugiesen“ erklärt – in Wirklichkeit kämpften viele bereits für ihre Unabhängigkeit. Doch Salazars Regierung sah dies nicht ein.

Im November 1961 führten Mitglieder der Opposition im Exil erstmals eine Flugzeugentführung durch und warfen über Lissabon Flugblätter gegen die Politik des Regimes ab (s. ESA 11/22). Im gleichen Monat wurde die Farce der Parlamentswahlen inszeniert (die Demokratische Opposition legte in verschiedenen Wahlkreisen Listen vor, gab aber auf, da sie der Ansicht war, dass die Mindestvoraussetzungen für Wahlen nicht gegeben waren), und am 18. Dezember traten Goa, Damão und Diu, Portugals Kolonialgebiete in Indien, der Indischen Union bei.

All diese Ereignisse trugen zur Revolte von Beja am Ende des Jahres bei, einem weiteren zivilen und militärischen Putschversuch zum Sturz des ­Estado Novo – allerdings sehr schlecht geplant und daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. In den frühen Morgenstunden der Silvesternacht von 1961 drang eine Gruppe unter dem Kommando von Oberst Varela Gomes in die Beja-Kaserne ein und eröffnete das ­Feuer auf den stellvertretenden Kommandeur ­Henrique Calapez. Dieser schoss zurück und traf ­Varela Gomes. Es folgte ein Schusswechsel und Major Henrique Calapez gelang es im Alleingang, die Putschisten in die Flucht zu schlagen und den Aufstand niederzuschlagen.

Mit dem Scheitern der Beja-Revolte begann Portugal einen 13-jährigen Krieg in Afrika und ­musste 15 Jahre auf die Nelkenrevolution warten, die der­ ­faschistischen Diktatur ein Ende setze. À terceira é de vez, besagt der portugiesische Volksmund, was soviel heißt wie: Alle guten Dinge sind drei!

Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 04/2023

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