Eine Sattlerin entdeckt die Algarve
Die 24-jährige Lucy Schmidl ist noch bis Ende dieses Monats auf der Walz in der Algarve unterwegs. Die Sattlerin wollte in hiesigen Betrieben Erfahrungen in ihrem Handwerk sammeln und die portugiesische Sattelbautechnik lernen. Nicht alles lief nach Plan, aber die Niederösterreicherin ist begeistert und will im nächsten Winter wieder kommen
Wer auf die Walz geht, folgt einem jahrhundertealten Ritual. Die zünftigen Gesellen dürfen maximal 30 Jahre alt sein und müssen ledig, kinderlos und schuldenfrei sein. Sie müssen genau drei Jahre und einen Tag unterwegs sein und dabei stets mindestens 50 Kilometer vom Heimatort Abstand halten. Auch in einem eigenen Fahrzeug dürfen sich die Gesellen nicht bewegen. Den Abstand zu ihrem Heimatort hält Lucy aus der Wiener Neustadt definitiv ein, aber „drei Jahre Mutterseelen allein ohne Kontakt zur Familie war nicht mein Ding“, erklärt sie lässig, während sie an ihrem Wohnmobil „Elsa“ lehnt. „Außerdem fand ich auch keine Zunft, die mich annahm. Ich konnte sieben Stück in Deutschland ausfindig machen, von denen – im 21. Jh.! – nur zwei Frauen akzeptieren, darunter aber keine Sattlerinnen. Na gut, dachte ich mir, wenn mich keiner will, dann eben nicht“, so Lucy trotzig, die 2019 zur Bundessiegerin der Reitsportsattler auserkoren wurde. Pipi Langstrumpf machte sich die Welt, wie sie ihr gefällt, Lucy folgt ihrem Beispiel und macht sich die Walz wie sie ihr gefällt. Dank Wohnmobil ist sie autark und nicht auf Unterkünfte angewiesen; über Handy und Laptop hält sie Kontakt zur Familie und Freunden sowie zum Rest der Welt. Das traditionelle Walzgewand trägt sie nicht, dafür den klassischen Ohrring, und neben dem nötigen Werkzeug ist Lucy auch mit einer digitalen Kamera ausgestattet, um ihre Reise fotografisch festzuhalten. Die Walz muss heutzutage schließlich nicht wie im Mittelalter erfolgen! Wichtig ist für Lucy, wie seit eh und je anderen Gesellen, etwas von der Welt und von ihrem Handwerk zu sehen, Kollegen zu treffen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Aber wie kam es, dass Lucy sich für ein Handwerk entschied, das vom Aussterben bedroht ist? „Ich saß von Kind an fast täglich im Sattel, hatte mir aber nie Gedanken darüber gemacht, woher er kam. Dann habe ich mich mit Lederarbeit als Hobby beschäftigt und bin da ziemlich reingerutscht. Mein Papa hat mich dann auf die Idee der Ausbildung zur Reitsportsattlerin gebracht. Ich war mir nicht sicher, hatte aber auch sonst keinen Plan. Also folgte ich seinem Rat und muss zugeben, es war ein Sechser im Lotto!“, erzählt sie grinsend.
Angesichts des Mangels an Ausbildungsstätten in Österreich, absolvierte Lucy ihre Ausbildung 2019 bei einem Reitsportsattler in Pirmasens (Rheinlandpfalz), bei dem sie auch nach der Ausbildung noch ein Jahr als Gesellin arbeitete und für die Produktentwicklung zuständig war. Danach ging sie nach Dresden, wo sie das Team der Sattlerei Tom Büttner unterstützte. „Dort habe ich im Reparaturbereich gearbeitet, was sehr spannend war“, erzählt die quirlige Niederösterreicherin weiter, die ständig Abwechslung und neue Herausforderungen braucht. „Ich bin sehr variabel, interessiere mich ständig für Neues, aber die Lederarbeit bereitet mir weiterhin jeden Tag aufs Neue sehr viel Freude. Es ist ein faszinierendes und sehr vielfältiges Material. Zudem gefällt mir der Gedanke, dass ich etwas herstelle, was meine eigene Lebenszeit überdauern wird“, erklärt Lucy. In ihrem Beruf fertigt sie verschiedene Lederstücke für Pferde an – Sattel, Zaumzeug oder Halfter zum Beispiel. Alles wird mit viel Fingerspitzengefühl und Liebe zum Detail per Hand gefertigt. Um zu vermeiden, dass der Alltag sie einholt, stellt Lucy auch Taschen und andere Accessoires her.
Dennoch wurde ihr in Dresden der Alltag zur Routine und Lucy beschloss ihr Projekt „Eine Sattlerin auf Reisen“ zu starten. Den Floh auf Walz zu gehen, setzten ihre Großeltern ihr ins Ohr. „Ich war eigentlich immer ein Heimwehkind, nie ein Reisemensch. Aber als sie mir von der Walz erzählten, gefiel mir die Idee“, erinnert sie sich. Das Abenteuer startete im September 2022 in Deutschland. Die erste Station auf ihrer Wanderschaft war ein Betrieb in Ostfriesland. „Es hat mir dort wirklich sehr gut gefallen, aber es regnete viel und es war kalt. Dann hatte meine Elsa ein Leck, alles war feucht, und zusätzlich ist mein Zündautomat ausgefallen, sodass ich nicht heizen konnte. Das habe ich – bei zwei Grad – eine Woche ausgehalten und dann die Flucht in den sonnigen Süden ergriffen“, berichtet sie gut gelaunt und fügt schulterzuckend hinzu „Ich bin eben ein Sonnenkind“.
In Portugal konnte sie drei Reitsportsattler ausfindig machen. Einen in Golegã, der Kleinstadt, die für ihre Pferdezucht der Rasse Lusitano bekannt ist und alljährlich das Reitfest Feira Nacional do Cavalo feiert. Dort gefiel es Lucy allerdings nicht. „Es geht dort zu wie im wilden Westen“, fasst sie ihren Eindruck zur Pferdehaltung in Golegã zusammen, will aber weiter nichts dazu sagen. Weiter südlich in Alcácer do Sal besuchte sie zwei weitere Sattler. Bei ihnen arbeiten konnte sie nicht. „Sie waren zwar alle sehr sympathisch, aber skeptisch, da ihnen das Konzept der Walz unbekannt ist und erstaunt, dass ich das Handwerk tatsächlich beherrsche. Einen von ihnen habe ich dann überzeugt, er hatte aber keine ausreichenden Aufträge. Er bot mir an, jederzeit vorbeizukommen, um einfach zuzuschauen. Im Vergleich zu Deutschland, wo einige wie Hennen auf ihrem Wissen sitzen, waren hier alle sehr offen“, so Lucy.
Enttäuscht ist die passionierte Sattlerin allerdings nicht, denn durch Zufall bot sich ihr eine neue Herausforderung: In der Algarve Sattel, Zaumzeug und Halfter für drei Kamele zu fertigen. „Das ist nochmal was ganz anderes als für ein Pferd“, so Lucy enthusiastisch. „Einen Sattel herzustellen oder anzupassen bedeutet, die Anatomie zweier Lebewesen sach- und fachgerecht zusammenzubringen“, erklärt sie ernst. Deshalb machte Lucy auch eine Ausbildung zur osteopathischen Pferdephysiotherapie, um dieses Wissen mit den gelernten Sattlerkenntnissen zu kombinieren und somit besser auf die Biomechanik des Pferdes eingehen zu können. Und deshalb verbringt sie derzeit viel Zeit mit ihren neuen „Kunden“, um auch sie gut kennenzulernen. „Man sollte im Leben schon Ziele und Erwartungen haben, aber man sollte auch die Möglichkeiten wahrnehmen, die sich uns bieten. Das Leben spielt oft wie es will, deswegen sehe ich den Dingen in der Algarve nun entspannt entgegen und nehme es, wie es kommt“, so das Sonnenkind.
Im nächsten Winter will sie wieder kommen. „Dann spreche ich mich vorher mit den hiesigen Sattlern ab, denn sie würden es bevorzugen, wenn ich mich vorher anmelde, statt einfach vor der Tür zu stehen“, bemerkt Lucy lächelnd. Ihren Meister will sie ebenfalls in Angriff nehmen und es liegt ihr am Herzen, dazu beizutragen, dass Handwerksberufe wieder attraktiver für junge Menschen werden. „In der heutigen Gesellschaft hat eine Universitätsausbildung einen höheren Stellenwert als ein Handwerksberuf. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass ein gewisser sozialer Druck besteht, auf einer Uni zu studieren und Handwerksberufe als minderwertig betrachtet werden. Ich möchte, dass sich das Blatt wendet und das Handwerk wieder mehr in den Vordergrund rückt“, so die Sattlerin zum Abschluss.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 04/2023
Instagram: sattlerei_schmidl