Jeder weiß, dass Nelken das Symbol der Revolution von 1974 sind. Was hingegen viele nicht wissen, ist, dass die „Aprilnelken“ aus Tavira stammen. Der Kurzfilm „Cravos de Abril“, der die Geschichte der Herkunft der Blumen erzählt, wurde im März in Tavira präsentiert
Anfang März versammelt sich in Tavira vor der landwirtschaftlichen Forschungsstation CEAT (Centro Experimental Agrícola de Tavira) eine bunte, interessierte Gruppe. Sie wird von Agraringenieur António Marreiros begrüßt und eingeladen, ihm auf das weitläufige Freigelände zu folgen. Dort befindet sich eine einmalige genetische Datenbank unter freiem Himmel mit tausenden verschiedenen, hauptsächlich traditionellen Obstbäumen der Algarve: Granatapfel, Mistel, Mandeln, Johannisbrot sowie allein 280 verschiedene Rebsorten. Für jede Art gibt es ein markiertes Stück Land, auf dem jeweils fünf bis acht Obstbäume des gleichen Ursprungs in Reih und Glied stehen. Ziel dieser Sammlung ist, die traditionellen Sorten zu erhalten, die aktuell verschwinden, aber eines Tages wieder an Bedeutung gewinnen könnten.
Zu der Gruppe gehört auch Guilhermina Madeira, die in der 1970er Jahren an diesem Ort gearbeitet hat, der damals Posto Agrário de Tavira hieß und eine Versuchsstation für Blumen- und Gartenanbau war. Sie bleibt vor einem brach liegenden Feld stehen und erklärt: „Hier standen damals die Gewächshäuser, in denen wir unter anderem Nelken angebaut haben.“ Es waren jene Nelken, die am 25. April 1974 in Lissabon an die Soldaten verteilt wurden, wodurch der Aufstand der Streitkräfte bis heute den Namen „Nelkenrevolution“ trägt. Aber wie war es dazu gekommen?
Die Geschichte von Zeitzeugen erzählen zu lassen, ist das Motiv, der sodann folgenden Veranstaltung, die die Besuchergruppe zurück im CEAT erwartet. Im Foyer wird sie mit bekannten Liedern aus der Zeit des 25. April 1974 begonnen. Danach geht es ins obere Stockwerk, um sich die Ausstellung über die Geschichte des Posto Agrário anzuschauen. In der Bibliothek des Zentrums wird unterdessen alles für die Premiere des Kurzfilms über die „Nelken des 25. April“ vorbereitet.
Nachdem nämlich die Vorsitzende des lokalen Vereins Ecotopia Activa, Ângela Rosa, von der Geschichte der Nelken erfahren hatte, entstand die Idee, zusammen mit Freiwilligen in dem Gemeinschaftsgarten im CEAT erneut Nelken zu pflanzen, um sie dieses Jahr am 25. April, dem 50. Jahrestag, zu verteilen. Gesagt, getan. Man kontaktierte Guilhermina Madeira, bat sie diesen Prozess zu begleiten und dokumentierte die Geschichte der Nelken in einem Kurzfilm.
In diesem erzählt Guilhermina wie damals die Nelken mehrmals die Woche von Tavira über einen Zwischenhändler nach Lissabon geschickt wurden. Jedoch taucht noch eine weitere Person im Film auf, die heute 91-jährige Celeste Caeiro, die äußerst berührt erzählt, wie sie am 25. April 1974 den Soldaten in der Rua do Carmo die roten Nelken schenkte und diese als Symbol für eine friedliche Revolution in den Lauf der Gewehre gesteckt wurden. Sie war zu jener Zeit Serviererin in einem Restaurant, das genau am 25. April sein einjähriges Bestehen feierte. Der Besitzer hatte aus diesem Anlass große Mengen von Nelken gekauft, die er an die Gäste verteilen wollte. Dann kam der Aufstand der Streitkräfte dazwischen, das Jubiläum fiel aus und er verschenkte die Nelken an seine Angestellten. Auf dem Weg nach Hause traf Celeste Caeiro in der Rua de Carmo auf die Soldaten, die sie um eine Zigarette baten. Aber als Nichtraucherin konnte sie diesem Wunsch nicht entsprechen, sondern verteilte stattdessen ihre mitgebrachten Nelken, die sofort eine breite Nachfrage fanden. Erst danach schlossen sich auch die Blumenverkäuferinnen des Rossio an und verteilten ebenfalls ihre Nelken an die Soldaten.
So erfahren wir 50 Jahre später, wie es durch einen Zufall zum Namen „Nelkenrevolution“ gekommen ist. Guilhermina Madeira erfuhr erst nach dem 25. April von dem Erfolg der Nelken aus Tavira, als ein Anruf aus Lissabon kam, möglichst schnell so viel rote Nelken wie möglich zu schicken. Auf die Frage aus dem Publikum, wie sie sich fühle, wenn sie heute darüber spreche, welche Bedeutung „ihre“ Nelken erlangt haben, kommt ihre Antwort spontan und klar: „Ich habe hier nur meine Arbeit getan, die Nelken in Lissabon haben dort andere verteilt. Von meiner politischen Einstellung her bin ich eine Anhängerin der Monarchie.“ Mit dem gemeinsamen Anstimmen des Liedes „Grândola, Vila Morena“, das die Nelkenrevolution einleitete, endet diese sehr bewegende Veranstaltung. Von Tavira in die Geschichte Portugals
Text: Michael Hagedorn
in ESA 04/24