Das Riff von Armação de Pêra
Text: Anabela Gaspar in ESA 07/2021
Vor fünf Jahren berichteten wir unter dem Titel „Das bestgehütete Geheimnis der Algarve“ über das Riff vor Armação de Pêra. Bis heute wissen viele algarvios nicht, welch Reichtum sich in den Gewässern vor der touristischen Hochburg verbirgt. Dies könnte sich demnächst ändern, denn dort soll Portugals erstes Meeresschutzgebiet von gemeinschaftlichem Interesse entstehen
Im Jahr 2003 beauftragte die regionale Umweltbehörde das Meereswissenschaftszentrum der Uni Algarve (CCMar) mit der Kartierung des Meeresbodens vor der Küste zwischen Vale do Lobo und Ponta da Piedade bei Lagos. Ausgangspunkt dafür waren Sandausbaggerungen vor Vale do Lobo, die der Strandaufschüttung an anderer Stelle dienen sollten. Die Umweltbehörde wollte sicherstellen, dass die Ausbaggerungen nicht in bedeutenden Gebieten erfolgten. Bei den Kartierungsarbeiten stieß man erstmals auf das Riff. „Es war eine große Überraschung, denn das Riff war nicht auf den hydrographischen Karten verzeichnet, lediglich die Stellen, an denen Felsen bis zur Wasseroberfläche reichen bzw. aus dem Meer herausragen. Nicht aber, dass es sich um ein einziges massives Riff handelt, das sich von der Marina von Albufeira bis zum Leuchtturm von Alfanzina bei Carvoeiro erstreckt und somit Portugals größtes natürliche Riff ist“, erklärt der Meeresbiologe Jorge Gonçalves vom CCMar, der den Prozess zur Schaffung des Meeresschutzgebietes von gemeinschaftlichem Interesse (AMPIC, Área Marinha Protegida de Interesse Comunitário) leitet. Im Rahmen dieser Kartierungsarbeiten und weiterer, die entlang der gesamten Algarve-Küste durchgeführt wurden, stellten die Wissenschaftler zudem fest, dass dieses Ökosystem die größte Biodiversität der südlichen Küste Portugals aufweist. Es beherbergt diverse unter Schutz stehende Lebensräume, wie Gorgoniengärten, Braunalgen, Seegraswiesen und Maërl-Kalkalgenbänken, und prunkt mit einer farbenfrohen und verschiedenartigen Unterwasserfauna. 900 Spezies können dort beobachtet werden: Von Zebra- und Seebrassen über Muränen, Meeraalen, Tintenfischen, Seespinnen und Langusten bis zu Seeanemonen, Seesternen, Schlangensternen, Schwämmen, Nacktkiemer und Moostierchen. Darunter auch geschützte Spezies wie das Seepferdchen und der Zackenbarsch. In den letzten zehn Jahren wurden im Riff zwölf bisher unbekannte Spezies entdeckt und 45 Arten, die bislang nicht in Portugals Gewässern vorkamen. „Das sind beeindruckende Zahlen, die vom Reichtum des Riffs zeugen“, so Gonçalves. Die Fischer erkannten diesen Reichtum schon vor Jahrzehnten, daher werfen selbst Fischer aus Olhão und Quarteira ihre Netze und Fanggeräte in den Gewässern vor Armação de Pêra aus, besonders in dem als Pedra do Valado bekannten Gebiet, das namensgebend für den zukünftigen Parque Natural Marinho do Recife do Algarve – Pedro do Valado ist.
Als 2014 innerhalb des Riffbereiches 60 Quadratkilometer als Aquakulturgebiet ausgewiesen werden sollte, kam es zu einem ersten Versuch, dort ein Meeresschutzgebiet entstehen zu lassen. Dafür vereinte das CCMar Kräfte mit der im Umweltschutz tätigen NRO Liga para a Protecção da Natureza und dem Fischerverein von Armação de Pêra. „Für die Fischerei, für die maritimen Freizeitanbieter und vor allem für die Biodiversität des Riffs, das zudem verschiedenen Arten als ‚Kinderstube‘ dient, wäre die Einrichtung einer Aquakulturanlage überhaupt nicht geeignet gewesen“, drückt Gonçalves sich vorsichtig aus. Zwar kam es nicht zur Ausweisung als Schutzgebiet, aber der Meeresbiologe beschreibt den Stopp der Aquakultur in diesem Bereich als „die erste Eroberung im Prozess“.
2018 fand das CCMar dann in der Stiftung Oceano Azul den entscheidenden Partner, um das Projekt voranzutreiben. Zu ihnen gesellten sich das Rathaus von Silves und der Fischerverein von Armação de Pêra und später die Rathäuser von Lagoa und Albufeira. „Die Unterstützung der lokalen Gemeinden war uns sehr wichtig“, so Gonçalves und führt aus: „Normalerweise schlagen Wissenschaftler der Regierung vor, ein bestimmtes Meeresgebiet als Schutzgebiet auszuweisen und dieses wird dann samt Regeln und Verboten den Gemeinden auferlegt. Das führt dazu, dass vor allem der Fischereisektor die Regeln nicht akzeptiert und die Meeresschutzgebiete im Endeffekt keine sind.“ Um den Erfolg sicherzustellen wollte das CCMar anders vorgehen. „Um dieses Schutzgebiet ins Leben zu rufen, das Auswirkungen auf die Existenz der Menschen hat, die in diesem Gebiet leben oder von ihm abhängen, wollten wir auf eine nachhaltige, solide und integrative Art vorgehen. Dies ist nur mit der Beteiligung und der Zustimmung der Gemeinde möglich. Deshalb ist es ein Meeresschutzgebiet von gemeinschaftlichem Interesse. Das ist das Innovative an diesem Verfahren. Von Anfang an haben wir alle Einrichtungen, die Interessen in diesem Bereich haben, aufgerufen, sich an der Erstellung des Projekts zu beteiligen. Auch die spätere Verwaltung des AMPIC soll nicht nur einer zentralen Regierungsstelle, sondern auch betroffenen Einrichtungen vor Ort unterliegen“, erklärt Gonçalves.
70 Einrichtungen waren beteiligt, darunter lokale, regionale und nationale Behörden, Fischer- und Freizeitanbietervereine sowie Unternehmerverbände, Nichtregierungsorganisationen und sogar Schulen. Im Rahmen mehrerer Arbeitsgruppen und Versammlungen legten die Beteiligten zusammen die Ziele und einen provisorischen Bewirtschaftungsplan für das AMPIC fest. „Allem voran gilt es, die Biodiversität dieses Gebietes zu schützen. Wenn dies gelingt, schützen wir auch die Fischerei, und somit wäre unser zweites Ziel erreicht: Eine nachhaltige Fischerei in dem Gebiet zu fördern. Das dritte Ziel ist die Förderung eines naturgerechten Tourismus“, zählt Gonçalves auf. Der Bewirtschaftungsplan sieht auch eine Zonierung vor, auf deren Festlegung der Meeresbiologe besonders stolz ist. „Niemand ist zu 100 % mit der Zonierung zufrieden“, gibt er offen zu, „dennoch konnten wir einen Konsens erreichen und das ist sehr positiv“.
Das insgesamt 156 km2 große Gebiet ist in vier Zonen aufgeteilt: Eine 4 km2 große Zone, die frei von jeglicher Nutzung ist – einzige Ausnahme sind sporadische Tauchgänge von Meeresbiologen zur Überwachung des Gebietes; eine 16 km2 große Fischereischutzzone; eine 55,4 km2 große küstennahe Fischereizone, in der nur Boote bis zu neun Metern Länge fischen dürfen und eine 80,5 km2 große allgemeine Fischereizone. Die Größe und die Lage dieser Zonen haben sich im Laufe des partizipativen Prozesses geändert, um „den wirtschaftlichen Interessen der Betroffenen nachzukommen“, so Gonçalves. So wurde die Fischereischutzzone, die die Fischer nun als „privates Tauchgebiet“ bezeichnen, von anfänglich 30 km2 auf 16 km2 reduziert, und die 4 km2 große Schutzzone wurde auf Anfrage der Tauchunternehmen weiter nach Osten gerückt. „Angesichts der exponentiellen Zunahme der Fischerei- und Freizeitboote, die dort unterwegs sind, sowie des Rückgangs der Fischbestände, sind sich alle einig, dass es dringend gilt, das Riff und seine Biodiversität zu schützen“, so Gonçalves. „Andererseits wissen sie, dass sie dadurch Einnahmen verbüßen werden und es andere sein werden, die in der Zukunft von den Opfern, die sie nun bringen, profitieren. Deshalb besteht ein innerer Konflikt“, weiß der Meeresbiologe.
ESA sprach mit Miguel Rodrigues vom Tauchzentrum Dive Spot. Das Riff ist seit 1997 seine Spielwiese. Neben den touristischen Tauchgängen begleitet Miguel auch regelmäßig Meeresbiologen und Forscher. Laut Miguel kam es in den letzten Jahren zu einer Überfischung in dem Gebiet. Der Massentourismus sei ebenfalls besorgniserregend. „Wir müssen dringend eine Balance zwischen Tourismus, Fischerei und Natur finden, sonst werden wir dieses Paradies zerstören“, so Miguel, für den die Ausweisung des AMPIC der richtige Weg ist. Allerdings will er sich nicht zu der Zonierung äußern und meint dann etwas verärgert, dass 80 Prozent seiner Tauchgänge derzeit in dem Gebiet stattfinden, das in Zukunft nicht zugänglich sein wird. „Mir bleibt nur zu hoffen, dass die angrenzenden Gebiete dann an Reichtum gewinnen“, so Miguel.
André Dias, der Eigentümer des Freizeitunternehmens Wildwatch Algarve, war stark im Prozess involviert. Das Rathaus von Lagoa engagierte den ausgebildeten Meeresbiologen, um der Kommune im Rahmen des AMPIC-Prozesses Beratung in maritimen Angelegenheiten zu gewähren. „Da wir Ausflüge zur Beobachtung von Delfinen anbieten, die entfernter von der Küste stattfinden, gab es keinen Interessenkonflikt. Zudem bin ich Meeresbiologe, war lange Fischer und hege bis heute gute Beziehungen zu den Fischern“, fasst er kurz zusammen. Für André besteht kein Zweifel, dass das Riff dringend geschützt werden muss. Vor allem die Anzahl der Unternehmen, die dort Grottentouren anbieten, bereitet ihm sorgen. 2009 waren es knapp 10, letztes Jahr bereits 400. „Es geht auch um die Sicherheit der Touristen. Was wir derzeit an der Küste von Lagoa sehen ist nicht tragbar und steht auch nicht im Einklang, mit dem was das Rathaus in Sachen Tourismus für den Bezirk verfolgt“, so André, der hofft, dass die Ausweisung zum AMPIC eine Reduzierung des Bootsverkehrs mit sich bringen wird. Direkte Auswirkungen auf seine Ausflüge erwartet er nicht. Aber er wünscht sich, dass eine Gruppe Großer Tümmler, die sich bei Pedra do Valado ernährt, dort in Zukunft bessere Lebensbedingungen findet und dass Risso-Delfine, die wegen einer Überfischung der Kraken und Tintenfische praktisch nicht mehr vorkommen, an die Küste der Algarve zurückkehren.
Das Projekt zur Schaffung des Parque Natural Marinho do Recife do Algarve – Pedra do Valado wurde den zuständigen Ministerien übergeben. „Nun liegt es im Ermessen der Regierung das Meeresschutzgebiet auszuweisen oder nicht“, so Jorge Gonçalves. „Alle wissenschaftliche und wirtschaftlichen Studien sowie ein möglicher Bewirtschaftungsplan liegen vor. Es gibt einige wichtige Punkte, die berücksichtigt werden müssen, wie Ausgleichsmaßnahmen für den Fischereisektor oder wie die Fiskalisierung der Aktivitäten im AMPIC erfolgen soll. Dies sind kostspielige Fragen, die miteinbezogen werden müssen“, betont er. Befürchtungen, dass das Gebiet noch mehr Besucher anziehen könnte, nachdem dessen Reichtum einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist, hat der Meeresbiologe nicht. „Schließlich haben wir eine Reihe Maßnahmen und Regeln vorgesehen, um eine Massifizierung des Tourismus in dem Gebiet zu vermeiden“, so Jorge Gonçalves zum Abschluss.
Laut dem Minister für Meeresangelegenheiten Ricardo Santos passt das AMPIC-Projekt zur nationalen Meeres- und zur EU-Biodiversitätsstrategie, erfordert aber noch Arbeit mit den Betroffenen und lokalen Behörden. Der Minister meinte jedoch, es sei besser, erst nach Oktober das Projekt zu besprechen, da der Kommunalwahlkampf der Debatte schaden könnte.