Einen ökologischen Fußabdruck will die Gemeinde von Culatra setzen und mit der Agenda Culatra 2030 ein Pilotprojekt für nachhaltiges gemeinschaftliches Leben mit lokal erzeugter erneuerbarer Energie verwirklichen
Der Zeitpunkt für ökologische Veränderungen hat auf der Ilha da Culatra längst begonnen. Geeint unter dem Motto „Mach es besser“, stellt sich die Inselgemeinschaft der Herausforderung für eine schadstoffärmere und nachhaltig existenzielle Zukunft mit innovativen Konzepten.
„Veränderung passiert immer jetzt. Wer das für sich verinnerlicht, ist bereit dafür. Persönlich und solidarisch.“ Die Vorsitzende des Anwohnervereins AMIC Silvia Padinha spricht über Erfahrungswerte aus der Praxis, sie steht dem Verein bereits seit über 20 Jahren vor und hat etliche Projekte für die Inselgemeinschaft mit ihren Nachbarn gemeinsam gestemmt. Anfangs obsiegte oftmals noch die Skepsis über die Vernunft, doch spätestens als der portugiesische Staat (s. ESA 12/17) die Siedlung auf der Insel Culatra buchstäblich dem Erdboden gleich machen wollte, fanden Befürworter und Gegner der Agenda Culatra 2030 solidarisch zusammen, was allerdings nicht bedeutet, dass sie stets einer Meinung sind. Aber selbst das bewertet die eingeschworene Nachbarschaft, bestehend aus über 350 Familien, positiv und konstruktiv für die Evolution ihrer Insel, denn diverse Meinungen eröffnen diverse Perspektiven und bescheren mehrere Lösungsansätze für unerwartet auftauchende Hürden. Konflikte suchen, Konflikte beilegen, lautet die Zauberformel der mehrfach bereits erprobten Solidarität unter den Culatrenses.
Einfach war der Umdenkungsprozess keineswegs, um die erwünschte Zukunft nachhaltig zu gestalten und jahrelang eingefleischte Gewohnheiten zielorientiert umweltfreundlich neu zu strukturieren. Schrittweise haben die Ansässigen es jedoch geschafft. Nachbarschaftshilfe gehört mittlerweile zum Alltag aller, was sich, nebenbei bemerkt, gerade während des von der Regierung ausgerufenen nationalen Ausnahmezustandes während der Pandemie bewährt hat. Die gewohnte Solidarität sorgte für reibungslose Versorgungsabläufe auf der Insel in allen Bereichen.
Finanzielle Unterstützung erfährt das Pilotprojekt Culatra 2030 von der Europäischen Union für nachhaltige Energie-Gemeinschaftsprojekte, sowie von portugiesischen Stiftungen und Instituten für Umweltprojekte.
Aber wie genau funktioniert das? Zwar liegt die Ilha da Culatra bloß wenige Seemeilen vom Festland in Olhão und in Faro in Sichtweite von der Küstenlinie entfernt, dennoch muss sich der Alltag innerhalb der Fischergemeinschaft gänzlich anderen Lebensbedingungen stellen als an Land, müssen sich die Fischer und ihre Familien in den Lebensraum, den sie beanspruchen, einfügen. Alle müssen sie sich mit dem Wind, den Jahreszeiten, den Gezeiten oder mit Sturm, Flaute und Dauerhitze arrangieren, wollen sie überleben und ihre Existenz als Fischer und Meeresfrüchtebauern fortführen. Der von klein an antrainierte Respekt vor dem Element Wasser beschert Fischersleuten eine gewisse Demut dem Unzähmbaren gegenüber. Das Meer gibt – das Meer nimmt, lautet eine uralte Weisheit.
Seit mehr als einhundert Jahren nährt das Meer die Anwohner von Culatra, und sie sich von den Früchten des Meeres, Fisch und Schaltiere. Ein natürliches nachhaltiges Konzept in seiner Ur-Form mit einem Vier-Punkte-Grundsatz. Die Früchte der Erde in Handarbeit ernten, die Produktion soll keinen Abfall und keine schadstoffreiche Energie produzieren, und dem Menschen ein adäquates Salär gewähren. Kurz, nachhaltig produzieren, bedeutet von der Natur zu profitieren – ohne sie zu schädigen.
Die Anforderungen an die Marktwirtschaft erfuhr allerdings in der jüngsten Zeitgeschichte eine deutlich progressive Steigerung, die mit Handarbeit allein nicht mehr zu bewältigen ist. Maschinen kamen vermehrt zum Einsatz, produzieren Abfall und Schadstoffe, der Mensch wurde, und wird, wo nur möglich, wegrationalisiert und von schnelleren, effizienteren, ertragreicheren und für Betriebskosten günstigeren Produktionsmethoden ersetzt. Mit (teilweise) fatalen Folgen: Die Natur wurde ausgebeutet, zurückgedrängt, zerstört. Der Abfallberg wächst. Die Umwelt ächzt. Die Gehälter der Menschen gewähren in großem Stil kein adäquates Salär mehr, sondern eher ein Brosamen-Existenzminimum.
Auf der Insel Culatra hat die ansässige Fischergemeinschaft die Auswirkungen des industriellen Fortschritts auf ganz andere Art und Weise gespürt und die Familien konnten ihre Wohnbedingungen dank technischer Fortschritte wesentlich verbessern. Durch die Elektrifizierung aller Haushalte, samt Anschluss an fließend Wasser und die Anbindung an das öffentliche Abwassersystem, stieg der Lebensstandard auf der Insel enorm. Die Einfriedung des Fischerhafens mit befestigtem Ufer, Anlegesteg, Fischerhütten und kleiner Werft, hat die ehemals beschwerlich rudimentären Arbeitsbedingungen für Fischer und Meeresfrüchtebauern definitiv erleichtert. Mit Gemeinde-Kirche, Mini-Supermarkt, Grundschule, Bibliothek, Gemeindezentrum, Sportheim, Gemeindeheim und weiteren gemeinschaftlichen Anlaufstellen verbesserten sich die Lebensbedingungen nach und nach für alle Anwohner und ihre Kinder. Drei bis vier Generationen nennen Culatra ihre Heimat. An fortgehen denkt kaum jemand von ihnen.
Die wachsende Infrastruktur lockte Unmengen mehr Besucher nach Culatra, die die Insel zu ihrem Naherholungsgebiet, Strandwanderziel und Strandparadies erkoren haben. Vor allem während der portugiesischen Sommerferien erreichen täglich Hundertschaften Sonnenanbeter das Kleinod vor der Küste an Bord der morgendlichen Fährboote. Sie alle pilgern durch die Siedlung weiter über mittlerweile durchgehend angelegte Holzstege durch die naturgeschützten Dünen zum etwa sechs Kilometer langen Sandstrand am Meer.
Die wachsenden Besucherströme sind, aus ökonomischer Sicht betrachtet, durchaus begrüßenswert. Cafés, Lädchen und Restaurants beklagen sich eher über zu viel Kundschaft, als über zu wenig. Aus ökologischer Sicht betrachtet, bringt der wirtschaftliche Aufschwung neue Herausforderungen an die Umwelt mit sich, damit die Natur, die den Menschen Lebensraum und Existenz schenkt, nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Am Strand fehlen zum Beispiel öffentliche sanitäre Anlagen, konzessionierte Flächen, Strandwacht und Gastronomie.
Als begehrtes Strandziel mitten im Naturpark Ria Formosa kann die Gemeinde den durch wachsende Besucherzahlen einhergehenden sanitären und Service Anforderungen nur unter stringenten Auflagen nachkommen. Wie kann Culatra dieses Dilemma lösen, fragten sich die Mitglieder der Associação dos Moradores da Ilha da Culatra AMIC.
Mach es besser!, lautet die Antwort – und der neue Konsens. Mit Solarenergie gespeiste Bootsmotoren werden künftig die bisher üblichen Außenbord-Benzinmotoren in den Fischerbooten nach und nach ersetzen. Die täglich mehrmals zwischen Olhão, Ilha de Farol, Ilha da Culatra und Ilha de Armona pendelnde Fähre wird vermutlich noch in diesem Jahr mit Solarkraftantrieb ausgestattet durch die Lagunenlandschaft gleiten. Lautlos und emissionsarm. Für das laufende Kalenderjahr steht außerdem die Schaffung von kommunalen Gemüseanbauflächen durch individuelle Kompostierung auf der Agenda. Organische Küchenabfälle aus Privathaushalten und Restaurantküchen tragen bei und reduzieren gleichzeitig das kommunale Müllaufkommen. Die aktuelle Initiative „Null-Plastik-Zone“ sorgt mittlerweile für einen Schneeballeffekt für kreatives Recycling. Nur Plastikmüll getrennt einsammeln, wollen die Insulaner nicht, sie wollen Plastik drastisch reduzieren und wo möglich, umweltschonend ersetzen und wenn möglich, aufbereitet aus Abfallmaterialien von der Insel.
Gleich am Fährbootsteg begrüßt ein Metallgestell die ankommenden Inselbesucher, ein hohlgeformter Fischprall gefüllt mit Plastikmüll. Ein awakening moment – einer von mehreren auf Culatra. An den Laternenpfählen mit Solarleuchten aufmontiert, sind leere Konservendosen befestigt, zur Hälfte mit Sand gefüllt, und dienen Rauchern als Aschenbecher. Kippen im Sand findet man seither auf der gesamten Insel keine mehr. Am Steg zum Strand hängen feinmaschige ehemalige Fischernetze, zusammengenäht zu Säcken, die als Abfallsäcke dienen. Damit konnte Culatra den Verbrauch an Plastikmülltüten praktisch auf null senken. Daneben steht ein Gestell mit Utensilien für den Strandbesuch. Aschenbecher mit Deckel und kleine Säckchen aus ehemaligen, ausrangierten Fischereinetzstücken genäht. Sie dienen als individuelle Müllbeutel. Damit animiert Culatra alle Strandbesucher zur Eigenentsorgung ihres verursachten Abfalls an den dafür vorgesehen Sammel-stellen. Kleine Wegmarken mit sichtbarem Ergebnis: Der Strand bleibt sauber. Längst basteln Culatras Frauen aber nicht mehr nur praktische Dinge aus Abfallmaterialien, sie werden kreativ. In Dona Delmiras Änderungsschneiderei gibt es kunsthandwerkliche Einzelstücke, zum Beispiel bunt bemalte Glasschüsseln, die einmal die Trommel einer Waschmaschine verschlossen haben. Portemonnaies aus Trinkdosen und Kronkorken geklebt, Taschen zum Aufbewahren für Tierfutter aus Tierfutterabfalltüten mit Reißverschluss gefertigt, und vieles mehr.
Mach es besser! Der Aufruf hat die Inselgemeinschaft konsolidiert und gleichzeitig sensibilisiert für eine angemessene Wertschätzung ihres Lebensraumes und für die Menschen, die darin existieren. Deutlich weniger Abfall und Sperrmüll, bessere Umweltwerte, mehr Miteinander, sprechen für sich und dafür, was möglich ist, wenn Solidarität der Motor für Veränderung heißt.
Text: Catrin George Ponciano in ESA 06/2020
Fotos: Catrin George Ponciano; Miranda Opmeer