Urnahrung vom Fóia-Gipfel
Einst mischten die Azteken Spirulina-Alge ihrer Nahrung bei. Heute fliegt Spirulina als Astronautennahrung mit ins Weltall. In Portugal kultivieren Cristina Palma Brito und Georges Porta erstmalig die Mikroalge auf dem Foía-Gipfel in Monchique. Mit Erfolg
Spirulina ist eine Mikroalge und organischer Bestandteil der Ursuppe der Erde. Sie besteht zu sechzig Prozent aus verdaulichem Eiweiß und gehört zur Urnahrung. Global bekannt geworden ist Spirulina durch die Pionierarbeit des Wissenschaftlers Dr. Ripley Fox, der im Kampf gegen den Welthunger 1973 in Indien eine Spirulina-Algenfarm angelegt und die Ergebnisse seiner ernährungsphysiologischen Studien an unterernährten Probanden regelmäßig publiziert hat. 1989 gewann das Spirulina-Projekt in Indien als humanitäre Botschaft – Urwissen teilen und weitergeben – internationale Anerkennung.
Mit Georges Porta und seiner Lebensgefährtin Cristina Palma Brito gelangte das organische Proteinelixier nach Monchique. Georges, geboren vor 61 Jahren in Andorra, lebte etliche Jahre in Frankreich, ist Mitbegründer des französischen Netzwerks ehtic network Biocoop und einstiger Betreiber mehrerer Bioläden in Frankreich. Er träumte von einer eigenen Spirulina-Farm, seit er das Produkt und seinen Nutzen für die Menschheit kennt.
Cristina ist 58 Jahre alt und in der Alentejo-Kleinstadt Aljustrel geboren. Sie hat die erste Hälfte ihres Lebens in Belgien verbracht und danach viele Jahre als Geschäftsführerin in gastronomischen Betrieben in Portugal gearbeitet. Als Lebensaufgabe hat sie ihren Beruf nicht betrachtet und suchte nach einer Alternative in Richtung zurück zur Natur. Vor zehn Jahren begegnete sie Georges. „Fügung“, sagt sie. Während ihres gemeinsamen sechsmonatigen Aufenthaltes 2009 in Pondicherry in Indien lernte Cristina Spirulina kennen. Seitdem brennen sie und Georges für die Idee, eine eigene Spirulina-Farm zu betreiben. Gemeinsam wagten sie 2012 den Schritt zum Neuanfang mit Umzug in die Bergregion am Foía-Gipfel in Monchique.
Als Cristina und Georges der Câmara Municipal de Monchique ihr ambitioniertes Projekt vorstellten, wusste dort niemand etwas über Spirulina oder darüber, wie eine Algenfarm gewerblich und bürokratisch bewilligt werden konnte. „Sie nannten uns Träumer“, erinnert sich Georges. „Natürlich war es ein Traum“, fügt Cristina hinzu. „Unser Lebenstraum. Wir blieben hartnäckig und haben gekämpft. Georges rational, mit Argumenten, ich emotional, mit Leidenschaft für die Sache. Bis sie uns ernst genommen haben. Als Team sind wir unschlagbar.“
Ein Gewächshaus aufzustellen und das Becken anzulegen waren die ersten praktischen Schritte nach einem zweijährigen Labyrinthlauf durch die notwendige Bürokratie. Die Legitimation für die Trockenkammer mit entsprechender Lizenz zu erlangen, um Spirulina konsumtauglich zu grob gemahlenem Algenmehl zu modifizieren und verkaufsfertig abzupacken, gestaltete sich wesentlich komplexer als gedacht. Die gülti-gen HACCP-Auflagen für Lebensmittelsicherheit und -hygiene stellten für Cristina und Georges unter den Bedingungen der Abgeschiedenheit der Serra de
Monchique eine enorme logistische Herausforderung dar. Die hierfür vorgeschriebenen Materialien aus Plastik und Inox waren in Portugal zwar vorrätig, aber als nötige Hilfsmittel zur Ernte und Weiterberarbeitung von Algen nicht einsatzbereit erhältlich, sondern lediglich als Rohbausteine.
„Spirulina zu kultivieren, ist Denksport. Man lernt, zu improvisieren“, erklärt Georges. „Die Ausstattung der Produktionsstätte ist maßgeschneidert auf unsere räumlichen Verhältnisse zugeschnitten.“ Zwei Jahre lang hat Georges getüftelt, bis er und Cristina in diesem Jahr die erste Spirulina-Ernte
erfolgreich durchführen konnten. Seit April 2015 ist ihr
Betrieb Spirulina da Serra im Gewerberegister als ENI-Empresário em nome individual eingetragen.
Die von Georges aus Frankreich mitgebrachte, in Monchique ausgesetzte Algensorte Lonar stammt ursprünglich aus einem Kratersee in Indien und gedeiht prächtig. Sobald das Wasser im Becken eine gleichbleibende Temperatur zwischen 25°C und 35°C erreicht, kann ab April täglich geerntet werden. Hierzu pumpt Georges die Algen mit Wasser aus dem Gewächshaus in den nebenan liegenden Produktionsbereich in tischgroße Becken, die mit Folie mit winzigen Löchern ausgelegt sind und als Sieb fungieren. Das überschüssige Wasser fließt unter der Folie ab direkt zurück in das Becken ins Gewächshaus. Zurück bleibt ein dickflüssiger Algenbrei, den Georges fest in ein Stofflaken wickelt. Das Päckchen kommt in eine Art Presse, um die Restflüssigkeit abzuleiten.
Als Nächstes füllt Georges die Algenmasse in die „Spaghettimaschine“, wie er den ursprünglich für die Fleischerei zum Würste füllen bestimmten Apparat nennt. Die Lochscheibe für Wurst hat er durch eine Scheibe mit kleinen Löchern ersetzt. Die Löcher sind gerade groß genug, um die Algenmasse spaghettidünn auf mit Netzstoff bespannte Rahmen zu verteilen, die er zum Trocknen der Algen in der Trockenkammer stapelt. „Spirulina-Algen dürfen bis höchstens 45°C getrocknet werden, damit die Nährstoffe nicht verloren gehen. Deshalb sollte der Verbraucher beim Kauf unbedingt darauf achten, bei welcher Temperatur das Spirulina-Produkt verarbeitet worden ist.“ Zum Schluss schreddert Cristina die getrockneten Algen im Foodblender und packt je einhundert Gramm in Papiertütchen mit Aromaverschluss.
„Wir würden unsere Produktbreite gerne erweitern und Spirulina-Lutschtabletten sowie Gourmetpasteten herstellen“, sagt Cristina . „Erweitern bedeutet nicht expandieren“, stellt Georges klar. „Marktanteile interessieren uns nicht. Bei sechsmonatiger Ernte-
auslastung garantieren der Anbau und die Weiter-
verarbeitung von Spirulina unseren Lebensunterhalt. Uns reicht das. An einem bestimmten Zeitpunkt im Leben stellt sich jeder die Sinnfrage: Zeit oder Geld? Cristina und ich haben uns für Zeit entschieden.“
In Portugal sind Cristina und Georges momentan Spirulina-Pioniere. Ihre Prämisse lautet Social Franchi-sing. Hierzu laden sie Volontäre aus dem weltweiten WWOOF-Netzwerk für ökologische Landwirtschaft, Gartenbau und Selbstversorgung auf dem Land zu einem Praktikum auf ihre Farm ein, um ihnen Grundlagenwissen in der organischen Landwirtschaft mit Mikroalgen für eine eigene, autonome Existenz zu vermitteln.
Dass geschäftliche Ambitionen ohne ausgeprägtes Profitdenken Fuß fassen, kann man als Zeichen für globales Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit deuten und dafür, Ethik wirtschaftlichen Interessen voranzustellen. Das Spirulina-Projekt stellt bloß eine Möglichkeit dar, in organische Landwirtschaft zu investieren. Die klimatischen Voraussetzungen in Südportugal bergen hierfür ein enormes Potenzial sowie ein breites Spektrum der praktischen Umsetzung. Cristina und Georges haben das für sich erkannt und für ihren Traum genutzt.
Text: Catrin George
ESA 11/2015
Spirulina da Serra – Monchique
100 g Spirulina kosten 15 Euro (Fair-Trade-Preis) ab Farm oder online plus Porto.
Erhältlich auch bei Intermarché in Monchique und in der Ervanária Casa Universo in Portimão.
Cristinas vegetarische, lactosefreie und vegane Spirulina-Rezepte:
spirulina-da-serra.com/recipes/
Besucher sind nach Anmeldung willkommen.
Interessenten für ein Praktikum können sich melden. Tel. (+351) 282 913 225 / 929 043 275
www.spirulina-da-serra.com