Die unbekannte Bekannte
Vor genau 475 Jahren erhielt Faro die Stadtrechte. König D. João III gewährte dieses Privileg einem Ort, der für seine Zeit hochentwickelt war. Faro besaß unter anderem bereits ein Krankenhaus, eine Kirche, eine Zollbehörde, einen Schlachthof und eine Gerberei. Vieles aus der Historie ist präsent und dennoch wenig geläufig. Eine Stippvisite im historischen Zentrum kann das ändern
Santa Maria do Ocidente. Diese Bezeichnung bürgerte sich im neunten Jahrhundert ein und löste dank ständiger Verwendung durch die Bewohner jenen Namen ab, der seit den historisch bekannten Anfängen der Besiedelung und teilweise bis heute mit der Stadt Faro verbunden ist: Ossónoba. Dieses Wort kommt aus der Zeit der frühen phönizischen Besiedelung der Gegend und bezeichnet ein „Lager im Sumpfland“, was den Ort und seine Nutzung anschaulich beschreibt und ihn in der Römerzeit bekannt machte. Gleichwohl ist der Name Ossónoba beispielhaft für kulturelle Langlebigkeit, denn er überstand die Ära der arabischen Besiedelung und die Umbenennung vieler Orte zu Ehren arabischer Fürsten. Ähnliches gilt aber auch für den Namen ‚Heilige Maria des Westens‘: Erst im elften Jahrhundert übernahm die Stadt den Namen des Provinzfürsten, Said Ibn Harun, und wurde zu ‚Santa Maria Ibn Harun‘.
Das alles liegt weit zurück und ist dennoch besser dokumentiert als der spätere und heutige Name ‚Faro‘ und so streiten Forscher trefflich, ob nach der Rückeroberung durch die Christen ‚Faro‘ aus Lautverschiebungen im alten Namen Harun entstand, oder ob ganz profan ein Leuchtturm (griech.: pharos, port.: farol), ähnlich wie einst bei Ossónoba, die Bezeichnung von Zweck und Nutzung des Ortes ableitete. Aber nicht nur der Name, auch die Stadt selbst bietet dem Besucher so manche Überraschung hinter scheinbar Altbekanntem.
Wer die lebendig gebliebene Historie der Stadt erkunden möchte, sollte in der Altstadt, der Vila Adentro, beginnen und durch die alten Gässchen spazieren. Das Kopfsteinpflaster ist hier schon beinahe eingeebnet und der Weg führt vorbei an hoch aufragenden, alten Mauern und zu steinernen Bögen, deren Fundamente die Mauren legten. Die Menschen hier kennen zu jedem dieser Bögen mindestens eine Legende und erzählen sie gerne. Wie die Geschichte des Ritters Dom João Peres de Aboim, der sich (wir schreiben das Jahr 1249) in die schöne Alhandra verliebte. Die Maurenprinzessin half dem Portugiesen, in die Stadt zu gelangen, die er schließlich von den Mauren befreite. Der Ritter hielt sein Versprechen, weder Frauen noch Kinder zu töten, dennoch bezahlte Alhandra den Verrat an ihrem Volk teuer. Ihr Vater verzauberte sie und verurteilte sie zu einem ewigen Dasein in den Mauern der Stadt. Die Legende will, dass Alhandras trauriges Seufzen in den Mauern des Bogens Arco do Repouso noch immer zu hören ist. Doch auch die Portugiesen waren nicht zimperlich: Die Mauren wurden aus der Vila Adentro verbannt, durften nur außerhalb der Stadtmauern siedeln, wovon heute der Name des Stadtteils Mouraria im Nordwesten zeugt. Die schmalen Gässchen hier in der Vila Adentro kennen unzählige Geschichten und Legenden und manchmal wird die eine oder andere in einem der lauschigen Bars und Restaurants zum Kaffee serviert.
„Faros Linden tragen Apfelsinen“, schrieb der deutsche Verleger und Journalist Gerd Bucerius über seinen ersten Eindruck bei seinem Besuch schon 1978. Der Zitrusbaum ersetzt in der Algarve-Hauptstadt die Laubbäume deutscher Regionalmetropolen. Zahlreiche Exemplare säumen den Largo da Sé, den Hauptplatz vor der Kathedrale: In der Nacht hat jemand das Denkmal für Bischof Francisco Gomes do Avelar an der Kopfseite des Platzes erklommen und seiner Exzellenz eine Apfelsine aufs Haupt gesetzt; Guilherme Tell hat eine Kletterpartie hingelegt, nicht ganz ungefährlich, wird aber mit den Lachern der Passanten belohnt. Der Bischof, nun noch öfter Foto-Objekt als an anderen Tagen, würde es vermutlich gelassen nehmen. Er hat Schlimmeres erlebt. Ihm ist es zu verdanken, dass die Wahrzeichen der Stadt (eben auch der Bischofssitz nebenan) und viele weitere Gebäude nach dem Erdbeben von 1755 wieder aufgebaut wurden. Da er einfach nur ein Kirchenmann war, blieb ihm der Ruhm des Marquês de Pombal, Wiedererbauers von Lissabon und Vila Real de Santo António, verwehrt. Und um die Südfrucht kümmern sich die Vögel.
An diesem Ort sind die Prachtbauten der Stadt chronologisch aufgereiht: Der jüngste ist das Rathaus aus dem 19. Jahrhundert, ein Jahrhundert früher wurde der Bischofspalast errichtet. Die Kathedrale selbst, die Sé, ist der älteste Bau. Erste Arbeiten an dem auch als Igreja de Santa Maria bekannten Gottes-haus datieren um 1250, und zwar auf den Fundamenten einer Moschee. Fünf Jahrhunderte lang folgten Erweiterungen und Änderungen, entsprechend zahlreich sind die Stilelemente, die die Bauherren je nach der Mode ihrer Zeit untergebracht haben. Die Kathedrale wurde Opfer von Bränden und Überfällen. Als Abschluss des Kirchenbaus gilt 1715, das Jahr, in dem die Orgel gebaut wurde. Dafür kam Arp Schnitker aus Norddeutschland nach Faro, zu jener Zeit einer der berühmtesten Orgelbauer in Europa. Sein Schüler Johannes Heinrich Hullenkampf vollendete das Werk – und blieb hier. Er wurde einer der ersten deutschen Residenten in der Algarve und war, wie man heute sagen würde, vollständig integriert: In portugiesischen historischen Schriften wurde er zum Portugiesen, man findet ihn als João Henriques Hulemcampo. Der Klang des Orgel gehört zu den musikalischen Höhepunkten beim Festival de Órgão de Faro, an dem sich die Kirchen der Stadt jedes Jahr im November beteiligen. Dann erklingt vor allen alte Musik, die einst speziell für Orgeln komponiert wurde.
Wer die Stiegen des Kirchturms hochsteigt, wird mit einem Panoramablick über das nahe Naturschutzgebiet Ria Formosa und die Stadt belohnt. Dabei fällt unter anderem ein weitere Kirche auf: Die Igreja do Carmo aus dem Jahr 1719, markant und barock mit zwei imposanten Glockentürmen erhebt sie sich über einen weiten Vorplatz. Ihr jetziges Aussehen erhielt sie beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben von 1755. Die Arbeiten wurden sämtlich mit Gold aus der Kolonie Brasilien bezahlt, das auch im Innenraum der Kirche großzügig verarbeitet wurde. Berühmter noch als die Fassade ist eine Episode aus dem Jahr 1808. Eine Kirche schien unverdächtig genug für Rebellen, die dort ihre konspirativen Treffen abhielten und ihren (schließlich erfolgreichen) Aufstand gegen die Besatzungstruppen Napoleons vorbereiteten.
Der Spaziergang führt zum Praça Alfonso III vorbei zum einem Kloster aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, dessen Entstehung mit sehr modernen Problemen verbunden war: Die Errichtung des Convento de Nossa Senhora da Assunção dauerte gut vierzig Jahre, denn Geldmangel und Streit um Zuständigkeiten sorgten immer wieder für Baustopps. Für Finanzierung und Fertigstellung sorgten schließlich vier Frauen: Zwei reiche Nonnen aus Beja, die ihr Vermögen spendeten sowie D. Leonor und D. Catarina, die Gemahlinnen der Könige, in deren Amtszeit der Kirchenbau fiel. So viel Ärger wurde letztendlich von höheren Mächten belohnt, so scheint es: Das trutzige Kloster gehörte zu den wenigen Gebäuden in Faro, die Erdbeben und Eroberungs-Feldzüge unbeschadet überstanden. Heute beherbergt es neben der Stadtbibliothek eine stilvolle museale Sammlung. Dazu gehören archäologische Funde römischen und islamischen Ursprungs, antike Wandteppiche und moderne Gemälde der französischen Künstlerin Hélène de Beauvoir, der Schwester der Sartre-Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, sowie zeitgenössische portugiesische Kunst.
Vor den Toren der Vila Adentro findet alljährlich im Oktober die Feira de Santa Iria statt. Sie entstand, nachdem Faro die Stadtrechte erhalten hatte und ist vermutlich der älteste Jahrmarkt Portugals. In vergangenen Jahrhunderten war der Markt dazu da, die Ernteerträge des Sommers, bereits konserviert, zu verkaufen, dazu allerlei Nützliches für Haus, Feld und Werkstatt. Gleichzeitig war es das letzte Volksfest des Jahres. Besonderes Letzteres bestimmt das aktuelle Bild. Sollte ein Raunen den Passanten begleiten, wenn er die Altstadt durch den Arco do Repouso verlässt, wird es in diesem Monat sicher im neuzeitlich-fröhlichen Lärmen der Feira untergehen.
Text: Henrietta Bilawer
Foto: Filipe B. Varela/ Shutterstock
ESA 10/15