Eigentum verpflichtet. Der Grundsatz bewog Portugals Regierung zu einer Mietrechts-Reform, auch um den Verfall von alten Häusern zu stoppen. Das neue Gesetz löst allerdings Protest bei Mietern und Eigentümern aus
Es herrschte Aufregung an der Lissabonner Estrada de Benfica. Ein Hauseigentümer hatte ein Plakat angebracht mit dem Hinweis, der Bewohner zahle nur 1,60 Miete im Monat. Nachbarn protestierten gegen die Bloßstellung des 80-Jährigen, der allein in dem baufälligen Haus lebt. Sie vermuten, der Besitzer wolle den alten Mann ,,vergraulen und das Grundstück profitabel verkaufen“. Der VerbraucherschutzVerband DECO sprach von einem ,,terroristischen Akt“, die Behausung sei auch keinen Cent wert. Dann meldete sich Eigentümer José Pais zu Wort und verteidigte sein Schild als ,,Protest gegen die Gesetze“.
Pais findet: ,,Beide sind wir die Gelackmeierten!“ Er selbst und auch der Mieter leben von kleinen Renten. Der eine kann nicht mehr Miete zahlen, dem andern fehlt das Geld für die Renovierung. Das Haus verfiel, Mieter zogen weg, übrig blieb der Älteste. Der übernahm die Wohnung vor Jahrzehnten von seiner Mutter zu einem damals üblichen Preis. Lange waren die Mieten von Altverträgen eingefroren. Rund die Hälfte der Mieter in den 141 Städten Portugals zahlt weniger als 60 Monatsmiete. Erst seit 1985 darf bei Häusern, die vor 1969 gebaut wurden, der Mietzins um 3,15 Prozent pro Jahr steigen. José Pais hat auf die Erhöhung verzichtet, denn die Mehreinnahme von fünf Cent im Monat hätte gerade mal einen Bruchteil dessen gebracht, was allein das Einschreiben für die Erhöhung gekostet hätte. Seit dem 28. Juni gilt ein neues Mietrecht für Städte (Regime de Arrendamento Urbano). Einerseits werden Mieterhöhungen für Altverträge nach behördlicher Schätzung leichter. Wenn ein Bewohner länger als drei Monate nicht zahlt, kann die Wohnung geräumt werden. Doch in vielen Punkten sind Mieter und Eigentümer gleichermaßen verunsichert, ihre Interessenverbände machen mobil. Umstrittene Neuerung: Ein Mieter kann seine Wohnung auch ohne Einverständnis des Eigentümers kaufen, falls sie mangelhaft bewertet wird (s. Kasten) und der Eigner nicht renoviert.
Dann muss der Mieter Reparaturen durch die Gemeinde beantragen. Wird beides abgelehnt oder eine begonnene Renovierung mehr als 90 Tage unterbrochen, kann der Mieter das Haus kaufen und wird dann selbst zur Renovierung verpflichtet. Der Anspruch gilt nur für Mieter, die ihren Vertrag vor 1990 abgeschlossen haben. Über Verfahren und Summen entscheiden kommunale Schiedsstellen, die comissões arbitrais municipais (CAM). Die Immobilie muss zwanzig Jahre in ,,gutem Zustand“ erhalten werden. Andererseits können auch Mieter, die ihre Wohnung absichtlich oder fahrlässig beschädigen, bestraft werden. Manuel Metelo, Präsident des Lissabonner Hausbesitzerverbandes, hält das Gesetz für ,,verfassungswidrig und utopisch“. Es gebe zu viele Institutionen, die über Instandsetzung und Wert einer Immobilie entscheiden; das widerspreche ,,dem Recht auf Eigentum und kommt Enteignungen gleich“, so Metelo. Der Fiskus bestimmt den Preis der Immobilie das Ergebnis liege dann ,,immer unter dem Verkehrswert“. Und bei Erhaltung, Restaurierung und Bewertung von Altbauten geht es oft um öffentliches Interesse, dazu sagt das Gesetz nichts. Das Denkmalschutzamt IPPAR etwa ist nicht berücksichtigt. Manuel Metelo verspricht den Gerichten viel Arbeit, sie würden von einer Einspruchsflut überrollt, denn es könne keinen allgemeinen Maßstab geben: ,,Jedes Haus ist ein individueller Fall“. Mieterbund-Sprecher Romão Lavadinho stimmt zu. Das Gesetz sei überflüssig. Es gebe ,,wenige Altbau-Mieter, die Geld für den Aufkauf des Wohnsitzes haben“. Sie fänden kaum eine Bank, die Kredit auf die Zukunft eines baufälligen Hauses gebe. Und das Vorkaufsrecht für Mieter bestand auch bisher. Es sei aber vorstellbar, dass nun Spekulanten Druck auf Mieter verwahrloster Altbauten ausübten und sie als Strohmänner für einen Kauf benutzten. Und das sei weder im Interesse der Mieter noch der Eigentümer. Eduardo Cabrita, Staatssekretär für Innere Verwaltung und einer der Urheber des Gesetzes, betont, es diene dazu, den Verfall der Innenstädte aufzuhalten. Dort gibt es auch staatliche Gebäude in beklagenswertem Zustand. Etwa der 7.000 Quadratmeter große Convento da Graça in Lissabon: Das Verteidigungsministerium nutzt ein Sechstel der Anlage, der Rest steht leer und verfällt. Seit elf Jahren wurde nichts zur Instandhaltung des 850 Jahre alten Konvents getan. Und der Stadtrat bat die Regierung, Staatsimmobilien nicht zu verkaufen. Sonst könnten viele öffentliche Einrichtungen demnächst obdachlos sein. Dazu gehören einige Krankenhäuser der Hauptstadt, Gerichtsgebäude und das Gefängnis.
Der bauliche Zustand einer Immobilie wird in 5 Kategorien von ,,sehr gut“ bis ,,sehr schlecht“ bewertet. Das Nationale Hochbauamt LNEC definiert derzeit die Kriterien. Kommunale Schiedsstellen bewerten den Wohnpark der Gemeinden und entscheiden über Widersprüche der Eigentümer. Führt der Eigentümer eine Generalrenovierung durch, muss er den Mieter bei einer notwendigen Umsiedlung entschädigen. Hat er mindestens 6 Monate nach ordnungsgemäßer Aufforderung keine Renovierung begonnen, kann der Mieter die Immobilie kaufen, sofern der Mietvertrag seit vor 1990 besteht. Das Finanzamt legt den Preis über die kommunale Immobiliensteuer IMI fest. Nun ist der neue Eigner verpflichtet, innerhalb von 120 Tagen die Instandsetzung zu beginnen. Häuser, die im Laufe eines Jahres einen von der Gemeinde nach Durchschnittswerten festzulegenden, regelmäßigen Verbrauch von Wasser und Strom nicht erreichen, werden künftig als leer stehend eingestuft. Dann wird der doppelte Satz der Gemeindesteuer IMI (Imposto Municipal sobre Imóveis) fällig: Dies soll verhindern, dass leer stehende Wohnungen zu Spekulationsobjekten werden. Etwa 500.000 Wohnungen und Häuser sind ständig unbewohnt. Die Gemeinden sollen Listen betroffener Gebäude erstellen, Eigentümer benachrichtigen und ihnen eine Widerspruchsfrist einräumen. So sollen etwa Ferienwohnungen von der Maßnahme ausgeschlossen werden.
Henrietta Bilawer
ESA 07/06