António Guterres wird Generalsekretär
Am 1. Januar übernimmt der frühere portugiesische Premierminister António Guterres den Posten des UN-Generalsekretärs vom derzeitigen Amtsinhaber Ban Ki-moon. Bis zur offiziellen, einstimmigen Nominierung durch den Sicherheitsrat Anfang Oktober war sein Name international wenig bekannt, nun ist er in aller Munde
Fast könnte man von der Rückkehr des verlorenen Sohnes sprechen. António Guterres hatte keine guten Erinnerungen in Portugal hinterlassen. 2001 war der Premierminister nach einem schlechten Ergebnis für seine sozialistische Partei bei den Kommunalwahlen zurückgetreten. Viele Menschen fanden damals, er habe seinen Posten fluchtartig verlassen.
Zuvor hatte er die internationale Bühne bevorzugt, die ihm die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft und die Lissabon-Strategie im Jahr 2000 boten, die nationale Politik überließ er gerne seinen Ministern. Bereits 1999 hatte er seine diplomatischen Fähigkeiten bei den Verhandlungen mit Indonesien für die Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums in Osttimor bewiesen. Nachdem die Abstimmung zugunsten der Unabhängigkeit ausgegangen war, was weitere Gewalt in Osttimor durch pro-indonesische Milizen und die indonesische Armee zur Folge hatte, ließ Guterres den damaligen US-Botschafter in Lissabon einberufen und erklärte, die USA müssten sich zwischen Indonesien und den alten Nato-Alliierten entscheiden. Dann rief er US-Präsident Bill Clinton an und warnte ihn, Portugal könnte seinen Militäreinsatz in Bosnien und im Kosovo noch einmal überdenken, falls die USA Indonesien nicht dazu bringen würden, UN-Friedenstruppen ins Land zu lassen. Kurz darauf sagte Clinton in einer Pressekonferenz im Weißen Haus, Indonesien solle die internationale Hilfe annehmen. Ende September 1999 konnten die Vereinten Nationen schließlich eine Friedenstruppe nach Osttimor entsenden.
Für seine diplomatischen Fähigkeiten spricht auch, dass Guterres zwischen 1999 und 2005 Vorsitzender der Sozialistischen Internationale war und zuvor als Präsident der EU-Kommission gehandelt worden war; ein Posten, den Guterres ablehnte und den später José Manuel Durão Barroso übernehmen sollte, nachdem auch er, wie zuvor Guterres, vom Amt des Premierministers zurückgetreten war. Guterres selbst wechselte zu den Vereinten Nationen und wurde UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. Große Unterstützung bei dieser Nominierung erhielt er von Bill Clinton und der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright. Als der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan den Portugiesen als neuen Flüchtlingshochkommissar ankündigte, hob er Guterres‘ Rolle bei der Konfliktlösung in Osttimor hervor.
Doch bevor Guterres zur UNO wechselte, widmete er sich in Lissabon noch der Wohltätigkeit: Er gab in einem Sozialviertel kostenlos Nachhilfe in Mathematik. Sein Engagement für die sozial Schwächeren begann bereits in den 1960er Jahren. Viele portugiesische Politiker waren damals aktive Gegner der Diktatur. Guterres hingegen war im Hilfswerk der katholischen Studenten JUC tätig. Vor allem nach katastrophalen Überschwemmungen im Jahr 1967, bei denen viele Bewohner in Lissabons Armenvierteln ums Leben kamen, setzte sich Guterres stark für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Slums ein und es gelang ihm, von der Regierung Fördermittel für soziale Projekte zu bekommen. Die dadurch gesammelten Erfahrungen kamen ihm zweifellos als UN-Flüchtlingshochkommissar zugute. Er übernahm den Posten 2005 und bekleidete sein Amt zehn Jahre lang in Zeiten nie da gewesener Herausforderungen durch Flucht und Vertreibung.
Nun jubelt ganz Portugal über seine Wahl zum UN-Generalsekretär. Geliebt, gehasst, wieder geliebt und der Stolz der Nation, so könnte man Guterres Image in Portugal zusammenfassen. „Der beste Kandidat hat gewonnen“, kommentierte Portugals Staatschef Marcelo Rebelo de Sousa. Es sei ein Sieg für die Welt, für die Vereinten Nationen und für Portugal sowie ein Sieg der Kompetenz und der Transparenz, denn António Guterres sei „ein geborener Marathonläufer“, der es nicht nötig habe, „erst 100 Meter vor dem Ziel ins Rennen einzusteigen, um zu gewinnen“ – eine deutliche Anspielung auf Bulgariens Kandidatin Kristalina Georgiewa, die erst beim sechsten Wahlgang zur Kandidatin wurde. Unabhängig von der politischen Farbe sind sich in Portugal alle einig: Guterres ist der beste Mann für diesen Job. Er habe die besten Voraussetzungen, um den derzeitigen Herausforderungen die Stirn zu bieten. Angesichts der Flüchtlingskrise brauche die Welt mehr denn je Guterres‘ Erfahrung und Engagement.
Lob kam auch aus anderen Ländern. Der russische UN-Botschafter Witalij Tschurkin sagte, Guterres sei der klare Favorit gewesen. Die Generalversammlung habe zwar gefordert, dass der Nachfolger von Ban Ki-moon eine Frau sein sollte und – turnusgemäß – aus Osteuropa kommen solle, doch „das Wichtigste war den besten Kandidaten zu wählen und dieser war nun mal António Guterres“, so Tschurkin. Er persönlich freue sich aber sehr, denn Guterres sei eine Person, die „mit allen spricht und allen zuhört, Klartext redet, sehr direkt und zugänglich ist.“ Zudem habe der Portugiese große internationale Erfahrung.
Die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power meinte, Guterres habe „während der Wahlgänge und mit seinem bereits geleisteten Dienst beeindruckt“. Matthew Rycroft, der britische Botschafter im UN-Sicherheitsrat, ist überzeugt, dass Guterres ein „sehr starker und effizienter UN-Generalsekretär sein wird.“ EU-Parlamentspräsident Martin Schulz äußerte sich ebenso. Ban Ki-moon bezeichnete seinen designierten Nachfolger als „ausgezeichnete Wahl. Seine umfassende Kenntnis der Weltpolitik und sein lebendiger Intellekt werden ihm bei der Führung der UNO in einer entscheidenden Phase von Nutzen sein“, so Ban. Positiv reagierte auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: Guterres sei ein „direkter und effektiver Fürsprecher für Flüchtlinge“, er habe „das Potenzial, einen radikal neuen Ton im Hinblick auf Menschenrechte in einer Zeit der großen Herausforderungen zu treffen.“
Doch es gab auch Unzufriedene, die Guterres‘ Wahl als Skandal bezeichneten. Die Kampagnen, die sich für die Wahl einer Frau einsetzten, ironisierten: „Lächelnde Gesichter wählten einen Mann an die Spitze der UNO. Wieder einmal ein Desaster für die Gleichberechtigung der Frauen.“ Guterres‘ Wahl sei ebenso ungerecht gegenüber Frauen wie gegenüber Osteuropa und verdeutliche, dass im UN-Sicherheitsrat Abkommen hinter verschlossenen Türen weiterhin Realität seien. Die Kandidatinnen seien nie wirklich berücksichtigt worden und die ganze Wahl sei ein Skandal. Sie sind nicht die Einzigen, die enttäuscht sind. „Es war eine Überraschung für mich und viele andere, dass die weiblichen Kandidaten nicht besser abschnitten. Da wir doch eine so lange Debatte über die Notwendigkeit führten, eine Frau zu wählen“, so Mogens Lykketoft, der Präsident der 70. UN-Generalversammlung.
„Não se pode agradar a gregos e troianos” – man kann nicht Griechen und Trojanern gefallen, besagt ein portugiesisches Sprichwort: Man kann es eben nicht allen Recht machen. Immerhin versprach Guterres, eine Frau zur stellvertretenden Generalsekretärin der Vereinten Nationen zu nominieren.
Text: Anabela Gaspar
Foto: ONU_U.S. Mission/ Eric Bridiers
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