Nach dem Sturz der Regierung (s. ESA 12/23) verschwand der Verdacht über eine mögliche Einflussnahme seitens des Staatschefs Marcelo Rebelo de Sousa im Fall der Zwillinge aus Brasilien, die 2020 im Lissabonner Krankenhaus Santa Maria eine € 4 Millionen teure Behandlung zur Rückenmarksatrophie erhielten, vorübergehend aus den Schlagzeilen. Doch in den letzten Wochen kamen immer mehr Details und Namen möglicher Beteiligter ans Licht.
Alles begann mit einer Anfrage des Sohnes des Staatschefs, Nuno Rebelo de Sousa, an die Staatspräsidentschaft bezüglich einer möglichen Behandlung der Zwillinge im Santa Maria, da das Kinderkrankenhaus D. Estefânia sie wegen unzureichender wissenschaftlicher Nachweise zur Wirkung des Medikaments Zolgensma abgelehnt hatte. Zunächst leugnete Marcelo Rebelo de Sousa jegliche Verbindung zu dem Fall, doch nachdem die Staatsanwaltschaft bekannt gab, im Fall zu ermitteln, gab er zu, das Schreiben seines Sohnes erhalten und zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet zu haben. Maria João Ruela, Beraterin des Zivilen Hauses des Staatspräsidenten mit Zuständigkeit für soziale Angelegenheiten, antwortete Nuno Rebelo de Sousa nach Kontakt mit dem Krankenhaus Santa Maria, dass mehrere interne Fälle Vorrang hätten. Die Behandlungsmöglichkeiten seien sehr begrenzt und hingen von den medizinischen Entscheidungen des Krankenhauses und der Arzneimittelbehörde Infarmed ab. Nach einer zweiten Ablehnung seitens Ruela wandte sich Nuno Rebelo de Sousa an Fernando Frutuoso de Melo, den Stabschef des Präsidenten, dessen Kontaktdaten sicher nicht für jedermann zugänglich sind.
Die Anfrage wurde daraufhin an die Regierung bzw. an das zuständige Ministerium und Staatssekretariat weitergeleitet. Die damalige Gesundheitsministerin Marta Temido und der damalige Staatssekretär Lacerda Sales bestreiten beide, involviert gewesen zu sein. Allerdings ergab die interne Untersuchung im Krankenhaus sowie die der Generalinspektion für Gesundheitstätigkeiten IGASS, dass die erste Untersuchung der Zwillinge im Santa Maria auf Anfrage des Staatssekretariats für Gesundheit erfolgte. Lacerda Sales soll sich auch persönlich mit Nuno Rebelo de Sousa getroffen haben, kann sich aber nicht daran erinnern. Der Direktor für Neuropädiatrie des Santa Maria, Levy Gomes, beharrt darauf, Beweise zu haben, die sowohl das Gesundheitsministerium als auch das Staatssekretariat miteinbeziehen und dass Druck zur Behandlung der Zwillinge ausgeübt wurde. Die Parteien Iniciativa Liberal und Chega forderten eine Anhörung von Temido und Lacerda Sales im Parlament, doch die Sozialistische Partei stimmte nicht zu.
Zusätzlich zu der teuren Medikamentenbehandlung sollen die Zwillinge auch zwei elektrische und zwei manuelle Rollstühle vom SNS erhalten haben (im Wert von € 64.000). Und die Arzneimittelbehörde soll der Nutzung des Medikaments innerhalb von zwei Tagen – und an einem Ruhetag – zugestimmt haben.
Der Fall hat dem Image des Staatschefs großen Schaden zugefügt. Nur 48 % der Befragten einer Aximage-Umfrage sind der Ansicht, dass Marcelo im Amt bleiben sollte. 74 % sind der Meinung, dass seine Aussagen über den Fall nicht aufklärend waren. Wird Marcelo nach diesem Vorfall im Amt bleiben? ESA wird weiter berichten.