Familienbande – Weine in vierter Generation
Als wir die Weine Esquerdino von der Quinta do Canhoto entdeckten, dachten wir uns: Weine für Linkshänder von Linkshändern gekeltert? Wir gingen der Sache nach und stießen auf eine einfache Erklärung und ausgezeichneten Algarve-Weine für jeden Weinliebhaber
Die Quinta do Canhoto nimmt 22 Hektar zwischen Ferreiras und Montechoro bei Albufeira ein. Die Gegend wurde im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend bebaut, doch die Familie das Dores hielt an ihrem Landgut fest. Es war Joanas Urgroßvater António das Dores, der das Landgut Anfang der 1950er Jahre kaufte. Schon damals hieß es Quinta do Canhoto, zu Deutsch Landgut des Linkshänders. „Laut meiner Mutter hieß es so, weil der damalige Eigentümer Linkshänder war. Heutzutage ist es egal ob man Links- oder Rechtshänder ist, aber zu jener Zeit wurde diese Eigenschaft fast als krankhaft bezeichnet und führte schnell zu Spitznamen“, fasst Joana zusammen. Trotz der ehemals negativen Konnotation behielt der Urgroßvater den Namen des Landgutes bei, auf dem Johannisbrot-, Mandel-, Feigen- und Olivenbäume gediehen sowie Trauben, die er an die Weinkooperative von Lagoa verkaufte. Später übernahm sein Sohn das Anwesen und als dieser früh verstarb, Joanas Mutter Josefina und ihr Onkel Edgar. Ihre Mutter hat an der Universität von Évora Agrarwirtschaft studiert und war Ende der 1970er die erste Frau, die in der Weinkooperative von Lagoa ein Praktikum absolvierte. „Aber da sie eine Frau war, durfte sie bei einigen Produktionsschritten nicht mitwirken. Man befürchtete die Verunreinigung des Weins“, erzählt Joana schmunzelnd. Trotz ihrer Ausbildung arbeitete Josefina bis zum Tod ihres Vaters nicht auf dem Landgut, sondern betrieb zusammen mit ihrem Bruder eine Tourismusanlage in Montechoro. Auch als sie das Besitztum erbten, blieben sie im Tourismusbereich tätig und führten das Landgut nach dem Wirtschaftsmodell des Vaters nebenher weiter. Erst 2009 beschlossen sie, Winzer zu werden und Josefina machte eine Ausbildung zur Önologin.
Um ihr Weinprojekt umzusetzen, beseitigten Edgar und Josefina die alten Rebstöcke. „Da sie 80 Jahre alt waren, war der Ertrag zu geringfügig“, so Joana. Aber sorgen nicht genau ein geringer Ertrag und die daraus resultierende kleine Produktionsmenge für ein höheres Maß an Konzentration und Aromakomplexität im Wein? „Das hohe Alter von Reben ist nicht per se ein Erfolgsgarant, denn nicht alle Rebstöcke sind für Jahrzehnte geeignet, entweder aus Rebsorten spezifischen Gründen oder weil sie auf Böden oder Klimata stehen, die Reben früher als anderswo absterben lassen. Zudem waren unsere Rebsorten gemischt angepflanzt und wuchsen dicht am Boden. Das führt zu einer höheren Feuchtigkeit und folglich zu Pilzbefall, was natürlich schlecht für die Trauben ist. Der Ertrag reichte außerdem nicht aus, um unseren eigenen Wein zu produzieren“, erklärt Joana. Anschließend pflanzten sie auf insgesamt zehn Hektar – in ordentlichen Reihen mit Nord-Süd-Ausrichtung – die weißen Rebsorten Antão Vaz und Arinto an und die roten Touriga Nacional, Syrah, Alicante Bouschet und Cabernet Sauvignon. Die Ausrichtung sorgt für eine optimale Lichteinstrahlung und Belüftung der Trauben, der nahegelegene Atlantik für frische Brisen, die nördlich gelegenen Hügel schützen vor dem starken Nordwind. Im Winter werden die Rebstöcke zurückgeschnitten, dadurch wird zwar der Ertrag reduziert, aber dafür steigt die Qualität der Weintrauben. Im Juni folgt der Rückschnitt der Blätter. „Auf der Ostseite der Reihen schneiden wir mehr Blätter weg, da die Lichteinstrahlung dort geringer ist. Auf der Westseite lassen wir mehr stehen, um die Trauben vor der starken Sonne zu schützen. Dies sorgt gleichzeitig für eine bessere Belüftung“, berichtet Joana. Zudem findet, bevor die Beeren reifen, die sogenannte grüne Lese statt: Die Reben werden ausgedünnt beziehungsweise Trauben weggeschnitten, sodass die Stöcke weniger Beeren mit derselben Menge Nährstoffe versorgen können. Somit werden die Größe und der Zuckergehalt der übrigen Trauben gesteigert.
Die ersten Esquerdino-Weine, zwei Weiße und ein Rosé, kamen 2018 auf dem Markt. „Wir haben gewartet, bis die Reben eine gewisse Reife erreicht hatten, weil wir einen guten Start hinlegen wollten. Wenn man mit sehr jungen Weinen auf den Markt geht, ist das Image, das man hinterlässt, nicht sehr gut. Und der erste Eindruck ist sehr wichtig, nicht wahr?“, so Joana. Mittlerweile bietet Quinta do Canhoto drei Weißweine, zwei Rotweine und einen Rosé. Der Esquerdino Arinto Reserva 2021, ein Weißwein, der von der Frucht, Mineralität und Struktur der Rebsorte Arinto dominiert wird, wurde beim diesjährigen Wettbewerb der Algarve-Weine mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Der Esquerdino Colheita Selecionada Branco 2021, ein frischer Weißwein, der durch seine Harmonie zwischen Volumen und Mineralität überrascht, erhielt die Silbermedaille. Hinzu kommen der Esquerdino Branco Antão Vaz 2021, die Rotweine Esquerdino Tinto Touriga Nacional 2020 und Esquerdino Tinto Colheita Selecionada 2020 sowie der Esquerdino Rosé Touriga Nacional 2021.
Gekeltert werden die Weine im eigenen Weinkeller, für dessen Projekt Joana, ausgebildete Architektin mit einem Faible für bioklimatische Architektur, zuständig war. „Das Prinzip der bioklimatischen Architektur ist sehr einfach: Bei der Konzeption und dem Bau des Gebäudes sollen das Klima, die Umwelt und das umgebende Ökosystem mitberücksichtigt werden. Ziel ist es, den Energieverbrauch des Gebäudes zu minimieren und dessen Einfluss auf die Umwelt zu reduzieren, indem die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt werden“, so Joana. In der Tat fügt sich das von ihr entworfene Gebäude perfekt in die Landschaft ein und der unterirdische Weinkeller bietet optimale Temperaturen für die Produktion, Alterung und Lagerung der Weine. Zwei großzügige Lichtkuppeln sorgen für die „Beleuchtung“. In der oberen Etage befinden sich ein großer Raum, in dem neben Weinverkostungen, mit oder ohne Mittagessen, auch Events wie Wein-Dinner oder Hochzeiten veranstaltet werden und ein kleinerer Verkostungsraum mit Blick in den Weinkeller und auf die bis zu 14.000 Liter großen Edelstahltanks.
Dieses Jahr will die Familie noch einen weiteren Hektar Rebstöcke anbauen und ist dabei, auf Bioanbau bei den Antão Vaz-Reben umzusteigen. Ziel ist es, zu sehen ob und wie schnell der gesamte Weinberg auf Bio umgestellt werden könnte. Zudem sollen demnächst die Weine in Eichenfässer altern. „Jeder kleine Schritt ist ein großer Schritt, da wir alles selbst finanzieren. Wir haben uns um Fonds beworben, leider ohne Erfolg“, so Joana. Die Kontinuität des Familienunternehmens scheint auf jeden Fall gewährleistet zu sein. Joana hat 2020 ihre Arbeit als Architektin aufgegeben und ist auf der Quinta do Canhoto für die Besichtigungen, Weinverkostungen und Events zuständig. Ihr Bruder übernimmt den Vertrieb und die jüngere Cousine könnte nach ihrem Managementstudium bald zum Team stoßen.
Text & Fotos: Anabela Gaspar
in ESA 09/2022