Wo alles begann
Die Weinberglandschaft im Alto Douro und rund um Pinhão ist weltweit einzigartig. Ihre Geschichte beginnt mit einer Legende und endet mit der Erhebung zum Weltkulturerbe
Fern der florierenden Handelsstadt Porto, an der Mündung des Douro, lebten die Menschen im 17. Jahrhundert am Ufer des Flusses im Landesinneren buchstäblich von der Hand in den Mund. Mit Fischfang und Gemüseanbau schafften sie es, den groben Hunger zu stillen. Mit Selbstgekeltertem betäubten sie ihre Hoffnungslosigkeit. Eine Welt für sich. Dörfer lagen weit abgelegen von Handelsrouten mitten in der Walachei. Überall lauerten Wegelagerer auf eine günstige Gelegenheit. Der Großteil der Dorfbewohner jedoch arbeitete auf den Landgütern in der Umgebung von Peso da Régua, Lamego und Santa Marta. Ausreichend Wasser, ein ausgesprochen mildes Klima, ganzjährig Sonne sowie schieferhaltige Böden waren beste Voraussetzungen für die für Weinanbau prädestinierte Region und der Weinhandel war von jeher ein einträgliches Geschäft.
Doch in manchen Jahren waren die Trauben viel zu sauer. Eines Tages, erzählt eine Volkslegende, beging ein französischer Graf und Winzer den Frevel und zündete, aus lauter Saure-Trauben-Frust, die Kapelle der Schutzheiligen Santa Marta im Dorf an. Die ihm daraufhin leibhaftig erschien und den Grafen mit einem Bann für das begangene Sakrileg belegte. Er sollte büßen, Reben hegen und Trauben ernten, so viele Jahre lang, bis die Trauben alle süß und saftig wären. Viele Sommer vergingen, bis es tatsächlich so weit war. Der Büßer schenkte Santa Marta alle seine Trauben. Der Bann war gebrochen und das Dorf Santa Marta heißt in Erinnerung an diese Legende seither Santa Marta de Penaguião, zusammengesetzt aus pena für Gnade und Guião, dem Namen des Grafen.
Natürlich wollte sofort jeder Weinbauer solch süße Trauben züchten. Mit Erfolg. Angesteckt vom Weinanbaufieber am Alto Douro ließen ausländische Investoren nicht lange auf sich warten, brachten Geld ins Land, kauften Boden am Douro und kultivierten Wein im großen Stil. Bald darauf etablierten sich ausländische Exportfirmen in Porto und bauten Kellereien gegenüber am Ufer von Vila Nova de Gaia. Die erste im Zollamt in Porto offiziell registrierte Schiffsladung Wein im Jahr 1678 im Auftrag der deutschen Exportfirma Kopke bezifferte 400 Fässer Red Portugal für England. Das war der Beginn für den weltweiten Eroberungszug der edlen Tropfen aus dem Alto Douro. Die Nachfrage an Wein aus Portugal wuchs rasant. Die Winzer expandierten am Douro flussaufwärts. Wanderarbeiterinnen aus dem gesamten Land zog es nach Nordportugal, um für einen Schlafplatz und gefüllten Magen die karge Erde an den steilen Hängen vom Ufer am Douro bis zur Spitze der Berge zu terrassieren. Stein für Stein rangen sie dem geologisch porösen Boden ab, legten jeden einzelnen aneinander und aufeinander, und schufen Meter für Meter über Jahrhunderte hinweg ein Labyrinth aus tunnelartigen Pfaden, die durch die Rebstock-Gassen die Bergkuppe umkreisen. Mit krumm geschufteten Rücken, schwieligen Händen und dem Joch bitterer Armut auf den Schultern, ordneten Frauen-, Männer- und Kinderhände die Landschaft am Alto Douro völlig neu und zu dem Stillleben der Natur, wie es der Reisende heute als 2001 zur Weltkulturerbestätte erhobenen Landschaft erleben kann.
Bei unruhigem Seegang gärte der Wein unterwegs nach England und wurde ungenießbar. Im Hafen in Matosinhos, auf Englisch port, suchte man nach einer Lösung und experimentierte mit Weinbrand als Beigabe. Von da an kippte der Wein an Bord nicht mehr um. Der Kellermix überzeugte die verwöhnten Zungen der Angelsachsen auf Anhieb. Sie tauften das likörähnliche Wein-Brand-Gemisch mit süßlicher Note Portwine (z. Dt. Wein aus dem Hafen): Vinho do Porto.
Eine Sensation. Jeder Bauer, der Weintrauben anpflanzte, versuchte sich alsdann als önologischer Alchemist und mischte seinen „Portwein im Eimer“, wie es hieß. Der Schwarzhandel blühte, das Schwarzbrennen für den benötigten Weinbrand ebenso. Reichlich fremde Trauben aus anderen Regionen gelangten als Portwein deklariert in den Handel und schadeten dem Ruf der Marke. Das ließen sich die Portwein-Barone am Douro nicht gefallen und reichten einen Antrag auf Markenschutz im Oberhaus in Lissabon ein.
Am 10. September 1756 wurde die Region von dem Marquis de Pombal zum weltweit ersten geografisch definierten abgegrenzten Weinanbaugebiet Alto Douro Vinhateiro Flur markiert und Vinho do Porto mit dem ersten Herkunftsgütesiegel Portugals DOC etikettiert. Damit war der Piraterie zunächst ein Ende gesetzt. Der Ruf des Portweins war gerettet und der 10. September im Jahre 2014 wurde nachträglich zum „Tag des Portweins“ erhoben.
Doch der Kampf ums Überleben im Alto Douro und speziell in der abgelegenen Gemeinde Pinhão ging dennoch weiter. Bis zur Ankunft der Bahnlinie 1880 in Pinhão diente die Wasserstraße der Gegend als Versorgungskanal und den Weinbauern als Transportweg. Die Fässer traten von hier aus ihren Bestimmungsweg an Bord spezieller Lastkähne an, den rabelo-Booten, die den -Stromschnellen des Douro standhielten und brachten den Rebensaft aus dem Alto Douro bis in den Hafen in Matosinhos. Zurück ruderte die Mannschaft gegen die brachiale Kraft des Flusses an. Reichte ihre Kraft nicht, standen Ochsenkarren am Ufer bereit, um die Boote gegen die Strömung an Seilen vertäut flussaufwärts zu ziehen. Meistens gelang es ihnen, manchmal nicht. Im Sommer verdienten sich die verwegenen Bootsmänner eine goldene Nase, im Winter kämpften sie gegen den Fluss, der gleichzeitig ihre Lebensader und ihr Fluch war, und ums Überleben. Denn das letzte Mal verdienten die Steuermänner beim Bau der Eisenbahnlinie, als sie sämtliches Baumaterial an Bord ihrer kleinen Schiffe von Porto bis zur Baustelle schafften, und schufen sich gleichzeitig ihr eigenes geschäftliches Grab: Denn kaum schnaufte die Dampflok bis nach Pinhão, wurde der Transport an Bord der rabelos überflüssig.
Der Dichter Miguel Torga schrieb über Pinhão mit ironischem Unterton: „Das ist also das feudalistisch gerühmte Pinhão, ein urbanes Flickwerk aus einem Dutzend Bauernkaten, einem Bahnhof, dessen Fliesenbilder die Misere der Region großartig glasiert bebildern, und einer Vielzahl sogenannter Kellereien in Höhlen in den Felsen geschlagen. Wunderbar kosmisch kosmopolitisches Pinhão.“
Das war einmal. Pinhão heute ist ein florierender Marktplatz für Wein und Portwein und ein Anziehungspunkt für Tourismus, mit Flusshafen, Hafenpromenade, Wassersport, einem künstlichen Strand am Nebenfluss sowie lokalem Einzelhandel und Gastronomie. Entlang der Hauptstraße bieten allerlei Geschäfte Gebrauchsartikel oder Kitsch an, einige Lokale bodenständige Küche und das Café Império Flair aus über 100 Jahren Lokalgeschichte. Eine einstige Höhle als Kellerei, dient der Wirtin als Showroom für Portwein. Bei einem Käffchen erfährt der Gast von Räuberpistolen aus Pinhão, von Schmugglern und Portwein-Piraten.
Porto wirkt trotzdem noch eine Galaxie weit von Pinhão entfernt, auch wenn man mit dem Auto oder dem Zug den Alto Douro in zwei Stunden von der Metropole aus erreicht. Das Leben und den Alltag diktiert der Portwein wie vor 100 oder 200 Jahren. Daran haben weder der Euro noch die hervorragende Infrastruktur noch die Erhebung der 1756 flurmarkierten Weinregion zur Weltkulturerbestätte etwas verändert. Selbst die Besucher fahren letztendlich wegen des Portweins – und nicht vordergründig wegen der Sehenswürdigkeiten – dorthin. Der Großteil der Touristen kommt an Bord von Flussschiffen in Pinhão an, legt einen kurzen Halt ein und fährt danach weiter. Und mit ihnen das Geld, das der örtliche Handel und die örtliche Hotellerie so dringend bräuchte – für die Zukunft ihrer Kinder.
Pinhão mit Umgebung hat sich zu einem vielseitig erlebnisreichen Ziel für Individualreisende gemausert. Unterkünfte in jeder Kategorie, mit Aufwachen mit Blick auf den Douro und die Weinberge inbegriffen. Am Flusshafen bieten Ausflugsunternehmen romantische Fahrten an Bord von nachgebauten rabelos an. Die historische Brücke über den Pinhão-Fluss und die befahrbare Eisenbogenbrücke über den Douro zeugen von Fortschritt. Das Wandergebiet von Pinhão ist legendär, die Ausblicke unterwegs reichen über die Berge an beiden Ufern des Douro hinweg. Erreichen kann man die spektakulär gelegenen Aussichtsplattformen zusammengefasst zu einer eigenen Route Rota dos Miradouros mit dem Wagen oder zu Fuß. Reizvoll ist eine Autofahrt auf der N 222 am Südufer des Douro entlang von Pinhão bis nach Peso da Régua, wo etliche Weingüter an der Strecke neben dem weltberühmten Portwein ihre exquisiten Markenweine zum Verkosten anbieten. Pinhão mit seinem für die Ansässigen schicksalhaften Bahnhof mit den kunstvoll gestalteten Fliesenbildern, die die einzigartige Landschaft am Douro in blauweiß im Sonnenlicht spiegeln, liegt mitten im Herzen der Portweinregion heute und ist ein empfehlenswert zentraler Punkt für Reiselustige, um die grandiose Landschaft in und abseits der Weinberge zu erkunden und den Alto Douro mit der bodenständigen Herzlichkeit seiner Bewohner zu erleben.
Einige Fakten über Portwein:
Die meist verwendeten Traubensorten heißen: Touriga Nacional, Touriga Franca, Tinta Roriz, Tinto Cão, Tinta Barroca, Tinta Amarela und Sousão für rote Portweine und Codéga, Malvasia, Fina, Gouveia, Rabigato, Moscatel Galego Branco und Viosinho Branco für Weiße.
Die Rebstöcke gedeihen auf 33.000 Hektar Anbaufläche von der insgesamt als Weinanbauregion begrenzten Region von 250.000 Hektar. Der Alkoholgehalt für roten Portwein beträgt 19-22 %, für weißen 16 %. Der Anteil Weinbrand liegt seit 2012 pro 550 Liter Fassvermögen bei 60-120 Litern. Die Bezeichnung Vintage tragen „alte“ im Fass und in der Flasche gereifte Weine, der älteste Vintage Jahrgang war 1756. Die acht Portwein Aroma- und Farbnuancen-Stilrichtungen beginnen bei Rosé, über Weiß zu Tawny und enden bei Ruby. Tawny Portwein ist ein Verschnitt und reift im Holzfass heran. Ruby Portwein reift in der Flasche auf der Basis von ausschließlich dunklen Trauben und kann jung bereits goutiert werden. Vintage Portweine müssen zwischen dem 4. und 6. Reifejahr im Fass, in Flaschen abgefüllt werden und reifen, je später abgefüllt, je besser.
Önologen sagen:
Ruby sei eine Schöpfung Gottes mit Menschenhand und Tawnies seien Schöpfungen aus Menschenhand mit Gottes Hilfe – ein schönes Motto, um den Göttersaft des Bacchus im Alto Douro kennenzulernen und die Weltkulturerbe-Region, in der er wächst, zu lieben.
Text und Fotos: Catrin George Ponciano in ESA 09/2021