Beinahe wäre das Signalinstrument aus Afrika in Vergessenheit geraten, hätte sich der Keramikkünstler Luís Pedras nicht eingehend kunsthistorisch mit dem urigen Klangkörper auseinandergesetzt und das Musikwahrzeichen der Stadt zu neuer Tonhöhe erweckt
Die Anwohner im mittelalterlichen Burgviertel in der Festungsstadt Elvas im oberen Alentejo finden längst schon nichts außergewöhnliches mehr an dem schnarch ähnlichen Echo in unterschiedlichen Tonhöhen, das aus dem oktogonalen Wachturm der Bastion auf der Bergkuppe dringt und durch die schmalen Häuserdurchlässe schallt. Mal ertönen die fremdartigen Laute schneller, mal behäbiger, mal klingen sie dunkel, dann wieder hell und durchdringend. Wer jedoch zum ersten Mal das Geräusch des in der Enzyklopädie für antike Instrumente genannten Klangkörpers „Waldteufel“ oder „Reibtrommel“ vernimmt, glaubt, eine Herde Gnus oder eine Rotte Wildschweine trabe grunzend durch die Stadt.
Dem Klang auf den Grund gegangen stößt man in dem einstigen Wachturm auf ein Atelier für kuriose und traditionelle Keramikkunst, und dort auf tönerne Zylinder in unterschiedlichen Größen und Formen. Als da wären bauchig gedrungene, schmale und kleine sowie mächtig ausladende große Tongefäße, unten am Fuß offen, oben am Kopf mit Tierhaut überspannt. Diese Gefäße heißen auf Portugiesisch sarronca, in Elvas ronca.
Ursprünglich in der afrikanischen Steppe als Signalinstrument benutzt, sind ihre durchdringenden Laute weithin hörbar und dienten der Verständigung zwischen auseinanderliegenden Dörfern. Der unvergleichbar naturfremde Klang, rhythmisch kräftig angespielt, hält zudem Elefanten und Raubtiere fern von den Siedlungen. Doch vor allem dient die sarronca der Musik und Naturvölkern bei speziellen Fruchtbarkeitsriten und Tänzen. Es heißt, Männer hätten Angst vor dem Klang und laufen Gefahr den Verstand zu verlieren, während Frauen sich von dem Rhythmus erotisiert stimuliert fühlen. Das erzählt der Keramikkünstler Luís Pedras über die mythologische Bedeutung der Reibtrommel.
Seine Töpferwerkstatt im Turm ist weiß gekalkt und bis an die Wände klettert die Keramikkunst ihres Erschaffers empor. Räucherstäbchen sorgen für eine positive Aura und angenehmen Duft in dem historischen Gemäuer.
An übersinnliche Energien glaubt Luís auf jeden Fall und an das Zusammenwirken der vier Elemente. Er selbst nennt sich Töpfer der Worte, betrachtet seine künstlerische Arbeit keineswegs als Kunsthandwerk, sondern als poetische Botschaft. Früh erwachte sein Interesse am Anthropomorphismus, an die mythologische Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Nichtmenschliches, sprich Tiere, Natur-gewalten oder Götter. Seine Passion gehört demnach der Mythologie und den Steinen, der Archäologie, die ihn zu fremden Kulturen führen und zu fremder Kunstdarstellung. Besonders Götterfiguren in Stein skulptiert oder in Keramik gearbeitet faszinieren den vielseitig begabten Keramiker, der seit 1995 Meister und Ausbilder ist und vielfach ausgezeichnet in der Kunstszene in Portugal und Spanien. Der Mitbegründer und derzeitige Präsident des Verbands für grenzüberschreitende plastische Künstler hat einen sehr eigenwilligen Weg eingeschlagen. Er malt surrealistisch, schafft Keramikkunst mit mystischen Elementen und Botschaften versehen und ist als Umweltaktivist tätig. Das Projekt Fénix – renascer da ronca hat er ins Leben gerufen, als das in der lokalen Musikszene fest verankerte Rhythmusinstrument Reibtrommel mehr und mehr in Vergessenheit geriet, weil niemand mehr wusste, wie man die ronca herstellt. „Traditionen sind unsere Wurzeln. Wenn sie verloren gehen, verlieren wir das Band zu unseren Vorfahren und den Bezug zu unserer Herkunft“, erklärt Luís, der sich seit 1995 dem Erhalt des afrikastämmigen Signalinstruments widmet und sein Atelier Tienda de alfareria „Luís“ im Wachturm eröffnet hat.
Dort trifft man ihn im Prinzip immer an, es sei denn, er bestückt gerade eine Ausstellung irgendwo im Alentejo, in Badajoz, in Lissabon; gibt Keramikunterricht; tritt mit seiner ronca im Fernsehen auf; sammelt Schilfrohr für die Reibtrommel am nahe Elvas gelegenen Guadiana. „Den ständigen Kontakt zur Natur brauche ich, um mich zu erden“, sagt er. Die Erdverbundenheit spüre er durch seine Arbeit mit Ton. „Sitze ich an der Drehscheibe, halte ich alle vier Elemente zwischen meinen Händen.“
Den Ton schenkt ihm die Erde. Mit Wasser kann er den Ton kneten und formen. Die Luft trocknet sein Werk und das Feuer schenkt dem Ton Kraft und der ronca ihren Klang. Das hört sich einfach an, doch es ist das Ergebnis eines Lebenswerkes, das 1975 mit einer ersten Ausstellung und Gedichten begann und nicht aufhören wird, bis es Zeit für Luís wird, eines Tages zurückzukehren zur Muttererde. Luís sagt all dies ohne Pathos, mit fester Stimme, als wüsste er allein, dass all dies wahr sei.
In den Regalen in seiner Werkstatt reihen sich fertige roncas. Manche naturbelassen in Tonerde, lediglich verziert mit Ornamenten, andere kunstvoll symbolhaft und farbvielfältig glasiert. Luís nimmt eine Reibtrommel auf den Schoß, groß wie ein Baumstamm, und erklärt ihre Funktion. Der Zylinder ist der Resonanzraum, der offene Boden der Trichter, wo der Klang ausbricht. Die Tierhaut, über den Kopf des Gefäßes gespannt, ist geschmeidig flexibel. In der Mitte steckt ein dünnes und ebenfalls bewegliches Schilfrohr. Es sitzt in einer Mulde, von innen durch ein Gummiband befestigt. So kann das Röhrchen nicht aus dem kleinen Trichter herausrutschen. Dann benässt Luís seine rechte Hand mit Wasser und lässt diese über das Schilfrohr auf und niederrutschen. Die Tierhaut gerät in Bewegung, presst Luft in den Resonanzkörper und erzeugt, je nach Geschwindigkeit der Handbewegung am Schilfrohr unterschiedlich getaktete Schnarchlaute.
Dazu singt Luís. Klassische Verse, die man in Elvas und Umgebung seit über 200 Jahren singt und die von Tambourin, ronca und Laute begleitet werden. Die Melodie erinnert an eine Mischung aus Minnegesang und meditativem Summen. Der immer gleiche Rhythmus, die fremdartige sinnliche Lautfolge, wirkt entspannend und gleichzeitig anregend. Der Brauch stammt aus Holland und Rumänien, wo Kinder mit dem simpel bedienbaren Tongefäß Weihnachtslieder begleitet haben, wie ein Gemälde des niederländischen Malers Frans Hals der Jüngere im 18. Jahrhundert in der Gemäldereihe „Fröhliche Kinder, Musikanten und Zecher“ zeigt.
Luís bedauert, dass das weihnachtlich gemeinschaftliche Musizieren im Kreis der Familie mit Kindern europaweit nachgelassen hat, die „Reibtrommel“ der Kinder verloren oder kaputt gegangen ist und der weihnachtliche Gesang heutzutage oft bloß noch aus einem elektronischen Gerät kommt.
Auch in Elvas gab es immer weniger „Waldteufel“, die an Heiligabend für Stimmung sorgten. Seit Luís den Ronca-Phönix jedoch wieder aufsteigen lässt, kann er sich vor Vorbestellungen zum Christfest kaum retten: Zu den Festtagen töpfert, formt und verschönert er zwischen 800 und 1.000 Reibtrommeln. „Auf diese Weise fühle ich mich jedem meiner Kunden verbunden“, lächelt er und freut sich, dass seine Reibtrommeln ihren Weg rund um die Welt antreten und Groß und Klein Spaß an einfachen Dingen bescheren.
Text und fotos: Catrin George Ponciano in ESA 12/2021
Luis Pedras
Mob. 962 919 329
Facebook: luis.pedras.1
Tienda de alfareria „Luís“
Rua da Parada do Castelo 4
7350-082 Elvas