Vergängliche Kunst
Seine Werke sehen aus wie gemalte Bilder – sind aber nicht von Dauer. Vitor Raposo zaubert am Strand Maria Luísa bei Albufeira riesige Figuren in den Sand, die jeden Betrachter in Staunen versetzen
Text & Fotos: Anabela Gaspar
Jeder von uns hat schon mal etwas in den Sand gezeichnet. Aber Vitor Raposo bringt diese einfache Geste auf ein ganz anderes Niveau. „Die Strände der Algarve sind bereits von einer enormen Schönheit, aber wenn ich noch mehr dazu beitragen kann, bin ich glücklich“, so Vitor.
Seine Werke entstehen meistens am Ostende des Strandes Maria Luísa, reisen aber über das Internet um die ganze Welt und lassen niemanden gleichgültig. Angefangen hat alles vor fast zwei Jahren, als er auf Instagram ein Foto von einem Sandbild sah. „Damals verbrachte ich schon viel Zeit am Strand und stellte riesige Steinmännchen auf. Ich beschloss, die Sandmalerei auszuprobieren und war von dem Ergebnis, vor allem von den Klippen aus betrachtet, sehr überrascht“, erzählt der 56-Jährige. „Überrascht, weil ich nie eine künstlerische Ader in mir hatte und mit Papier und Stift nichts anfangen kann“, erklärt er gut gelaunt. Das bedeutet auch, dass er vorher keine Skizze von den Sandbildern anfertigt. Die meisten Ideen entstehen bei der Arbeit selbst oder auf dem Weg dorthin. „Auf Papier kann ich wirklich nicht zeichnen, aber hier, im Sand, sind mir fast keine Grenzen gesetzt“, so Vitor.
Statt eines Stiftes nutzt er kleine und große, schmale und breite Rechen. Mit ihnen harkt er die Linien in den Sand. Weitere Werkzeuge sind ein Besenstiel, zwei Eisenstäbe und ein Seil. Letztere, um große perfekte Kreise zu erzielen. Mit einfachen Werkzeugen und schlichten Bewegungen zeichnet er Mandalas und Figuren, wie Blumen, Schiffe oder Tiere. Passanten schauen ihm neugierig und begeistert dabei zu. „Bei schönem Wetter stehen oft bis zu hundert Menschen auf den Klippen. Ich bin so vertieft in meine Arbeit, dass ich es erst mitbekomme, wenn sie zum Schluss Beifall klatschen“, erzählt er mit leuchtenden Augen.
Oft vermitteln seine Werke eine Nachricht, rufen zum Umweltschutz auf oder stellen eine Hommage dar. So beispielsweise als die Algarve sich vereinte, um gegen die Ölförderung vor der Küste der Region zu kämpfen, oder im letzten Sommer wegen der starken Verschmutzung der Ozeane. Ende Januar, als der Basketballspieler Kobe Bryant bei einem Helikopterabsturz ums Leben kam, widmete Vitor ihm eine Hommage. Das Video dieses Sandbildes ging im Internet viral und erreichte über zwei Millionen Visualisierungen. Auch die Hommage an das medizinische Personal im Rahmen der Coronavirus-Pandemie oder sein Aufruf „Bleib zu Hause“ gingen viral.
Die Sandmalerei begann als Hobby, doch mittlerweile fertigt er Bilder auch im Auftrag an. „So kann ich das Angenehme und das Nützliche verbinden“, erklärt Vitor, der arbeitslos ist. Zu den Aufträgen gehören sachbezogene, wie Logos von Hotels oder Restaurants für Werbezwecke, aber auch romantische Liebeserklärungen und Heiratsanträge. Diese halten dann hoffentlich länger als seine Bilder. Denn die Sandbilder, für die er bis zu fünf Stunden braucht, halten nur bis zur nächsten Flut. Dann verschwinden sie für immer. Doch das stört Vitor nicht im geringsten. Im Gegenteil. „Ich liebe das Meer. Hier am Strand, inmitten der Natur, fühle ich mich wohl. Dass meine Arbeit die Natur nicht zerstört oder verändert freut mich umso mehr.“ Seine Arbeitszeiten richten sich nach der Gezeitentabelle. Er beginnt, wenn die Ebbe einsetzt und muss bis zur Flut fertig sein. Um seine Sandbilder zu verewigen, nimmt er Fotos und Videos auf, die er auf seiner Facebook- und Instagram-Seite veröffentlicht.
Vitor malte bereits an vielen Stränden der Region. Doch die kleine Bucht am Ostende von Praia Maria Luísa bei Olhos d´Água ist sein Lieblingsspot. Nicht nur, weil die Bucht windgeschützt ist und weniger Besucher hat, sondern vor allem wegen der Sandqualität: Feiner weißer Sand, der nass sehr kompakt ist und sich daher perfekt zum Malen mit dem Rechen eignet. Hinzu kommt, dass die Klippen um den Strand den perfekten Ausblick auf das Werk bieten. Vom Strand aus kann man das gesamte Bild nicht erkennen. Erst ab einer bestimmten Höhe eröffnet es sich dem Betrachter ganz.
Während der wegen der Pandemie verhängten Absperrung der Strände, malte Vitor mit Blüten, Blumen, Blättern, Steinchen und was er sonst noch auf seinem Grundstück fand. Doch nun freut er sich wieder, den Sand unter seinen Füßen zu spüren, das Rauschen des Meeres zu hören und die frische Salzbrise auf der Haut zu spüren.
In ESA 06/2020
Vitor Raposo
facebook.com/vitor.raposo.376
instagram.com/vitinha_rr