Das Príncipe Real Quartier in Lissabon zählt laut TimeOutWorlwide zu den fünf coolsten Nachbarschaftsvierteln weltweit. Eine ideale Umgebung für das immaterielle UNESCO-Weltkulturerbe Fado-Gesang
Am Anfang stand die Vision, das Stadtviertel rund um den Park Príncipe Real wiederzubeleben, ohne das Gesicht im Quartier zu verändern. Keine leichte Aufgabe. Rund um den urwüchsigen Park mit seinen botanischen Kostbarkeiten, wie die hundertjährigen indischen Zedern, und die famose, schwurbelig gewachsene Zypresse, stehen Gründerhäuser, Patriziervillen, Jugendstilvillen und der emblematische, im neo-arabischen Stil erbaute Palast Ribeiro da Cunha. Der anfängliche Plan, die zu einem Immobilien-Komplex zusammengekauften zwanzig Gebäude des Viertels in ein kommerziell modernes Viertel zu transformieren, stieß beim Jardim Príncipe Real Investor Anthony Lanier auf Ablehnung. „Alles im Leben hat einen Ursprung. Hier gibt es weder teuer noch billig. Hier existieren ausschließlich Werte“, sagte er und beauftragte seine Architekten mit dem ehrgeizigen Plan, das Príncipe Real Viertel in Lissabon in seiner historisch gewachsenen Struktur zu erhalten.
Eine kostspielige Vision, die mittlerweile geschäftliche Früchte trägt. Knapp 15 Jahre hat es gedauert, bis der Straßenzug rund um den Park sich genau zu dem kosmopolitischen Brennpunkt Lissabons gemausert hat, wie es sich Anthony Lanier, der als Standort-Entwickler in Washington D.C. dem legendären George-town-Viertel ebenfalls zu historischer Rehabilitation verholfen hat, wünschte.
Entstanden ist ein wahrhaftiger Schmelz-tiegel für Sinnesgenuss. Ein Brain-Pool für portugiesisches Design. Ein Treffpunkt der Kulturen, Sprachen und Menschen aus aller Welt. Ein Ort der Begegnung und des Verweilens. Das Konzept kann man als Wiege einer neuen Business-Generation bezeichnen und das Viertel ikonenhaft für Start-Up-Unternehmer mit außergewöhnlich innovativen Designprodukten, die den Markt der Zukunft mit Labels, die Portugal repräsentieren, markieren.
Das Herz des Viertels schlägt jedoch definitiv wie eh und je im Park Jardim Príncipe Real, wo sich Anwohner, Berufstätige und Touristen eine winzige Auszeit vom alltäglichen Mainstream gönnen, ein frisch Gezapftes am Kiosk zischen oder auf dem Rasen ausgestreckt der Musik der Straßenbands lauschen, die diese grüne Oase mit Melodien aus aller Welt füllen. Rund um den Park liegen die schicksten Bars, die außergewöhnlichsten Restaurants, die trendigsten Klamottenläden und die kuriosesten Ateliers von Lissabon. In ein solch kultiges Ambiente flirrender Marktkultur passt das Projekt REAL FADO optimal.
Lissabon und Fado sind unzertrennlich. Jeder Lissabon Besucher möchte dem berühmten Schicksalsgesang der Portugiesen wenigstens einmal live lauschen, das Ambiente der Casas de Fado erleben und der Seele des portugiesischen Volkes nahe rücken. Am liebsten wie früher in einer Taverne bei Kerzenlicht und Caldo Verde-Suppe, bei einem Glas Rotwein aus dem Fass und dem allgegenwärtigen „Pscht“, sobald die oder der Fadista das Zeichen für den ersten Gitarrenakkord gibt. Heutzutage eine etwas nostalgische Vorstellung von Fado, hat sich der Fado längst zu einem gastro-nomisch lukrativen Event entwickelt. Menü plus Fado werden in mehr als hundert Kneipen und Restaurants angeboten, man muss frühzeitig reservieren, um einen Platz zu ergattern, und isst, trinkt und hört dann das, was für Preis X geboten wird. Ein (meistens) begeisterndes Erlebnis, aber längst nicht immer. Das einst kollektiv Verbindende des überwiegend melancholisch klingenden Gesangs aus der Alfama und der Mouraria, zwischen der Fadista, ihren Begleitern an der portugiesischen Gitarre und Viola, und dem mucksmäuschenstill lauschendem Publikum, verschwindet gegenwärtig immer mehr zwischen dem impertinenten Geschirrgeklapper, dem Getuschel der Gäste und dem Scharren von Besteck auf halb leeren Tellern. Fado, der Gesang aus dem Herzen für alle Herzen, zielt auf Emotion. Auf gemeinsam erlebte Emotion, und genau das macht den Fado so einzigartig. Gestört durch profanes Geklapper und unhöfliches Getuschel mutiert der Fado mittlerweile immer öfters zu einem eher andersartigen emotionalen Erlebnis.
Damit Fado aber wieder das wird, was er ist, nämlich ein unvergessener Moment einzigartiger Musik und Gesangsdarbietung, haben Lissabonner Fado-Künstler im Verbund mit drei Veranstaltern und der Eastbanc Portugal Lda., das Projekt REAL FADO im Príncipe Real Viertel ins Leben gerufen. Ausgewählte Interpreten präsentieren Fado an drei historisch bedeutsamen, sich aber völlig voneinander unterscheidenden Orten:
Dienstags kurz vor 19 Uhr klingelt man an der roten Holztür in der Rua D. Pedro V/89/91 und findet Einlass in die Kult-Bar Pavilhão Chinês. Die von Lissabons einstig legendärem Bar-Innenarchitekten Luís Pinto Coelho gestaltete Belle-Epoque-Bar übertrifft so ziemlich alle Vorstellungen einer Bar in der heutigen Zeit. Im Jahre 1982 eröffnet, vereint der Pavilhão Chinês Pariser Plüsch-Bar-Schick der Siebziger Jahre mit einem unübertrefflich facettenreichen Sammelsurium antike Reliquien und erinnert an ein privates Museum. An der Decke hängen Miniaturflugzeuge, Barbie-Puppen bevölkern Nischen, Modell-Autos, Antiquitäten, Raritäten und Kuriositäten füllen die Vitrinen nebst tausenden von Zinnsoldaten und vielem mehr in den insgesamt fünf Loungen. Traditionell im Billardsaal, wo auch geraucht werden darf, finden dienstags ab 19 Uhr Fado-Darbietungen unplugged statt. An allen anderen Tagen begegnen sich im Pavilhão Chinês die Nachbarschaft und Neugierige, die dieses Bar-Requiem bei einem klassischen Cocktail genießen.
Freitags um 19 Uhr lädt Lissabons Unterwelt zu einem Fado-Konzert erster Güte ein. Eine unscheinbare Treppe im Príncipe Real Park führt in das bis 1944 noch in Betrieb gewesene Wasserreservoir Reservatório da Patriarcal, das einen großen Teil der Stadtviertel Baixa und Chiado mit Wasser versorgt hat. Das Reservoir, erbaut 1856 vom französischen Architekten Louis-Charles Mary, fasste zwischen seinen 31 Säulen mit Rundbögen und Kuppeldecke verbunden, in 9,25 m Deckenhöhe insgesamt 884 Kubikmeter Wasser. Seit 1994 ist das Reservoir integriert in das Museu da Água und seine Galerien, das Aquädukt Águas Livres gehört dazu, sowie weitere Zisternen, die besucht werden können. In der mittleren Galerie der einer Kathedrale ähnlichen Halle im Reservoir treten die Fado-Interpreten auf. Das Publikum labt sich an Wein und Knabbereien und sitzt auf einer Plattform im Zentrum der Säulen. Die überwältigende Akustik bietet eine ideale Bühne für klassischen Fado und für Fado-Fusionen mit anderen Musikformen, zum Beispiel mit Chor oder Oper.
Der dritte Veranstaltungsort lädt den Musikliebhaber sonntags um 19 Uhr zu Fado-Genuss in den arabischen Pátio im Concept-Store Embaixada im ehemaligen Ribeiro da Cunha Palast ein. Hier treffen Vergangenheit und Tradition auf Moderne und Innovation. Anstatt einem Glas Wein wird dem Zuhörer ein Gin-Cocktail mit portugiesischem Gin in der Gin-Lovers Bar kredenzt. Das Ambiente ist eher informell. Die Speisen, sofern man speisen möchte, fusionieren zwischen den lukullischen Aromen von Orient bis Okzident. Das immaterielle Weltkulturerbe Portugals erfährt hier den Anschub ins dritte Jahrtausend, ohne dabei seine kulturellen Wurzeln zu verlieren. Nebenbei kann man in den Belle-Etage Zimmern des neo-maurischen Palastes portugiesisches Wohn- und Kleidungsdesign kennenlernen.
Drei Veranstaltungsorte, ein Gesang. Drei unterschiedliche Gelegenheiten, Fado in seiner unvergesslich klangvollen Authentizität zu erleben. REAL FADO – damit der Wert erhalten bleibt.
Info:
realfado@eastbanc.com
facebook: realfadolisboa
Text: Catrin George Ponciano in ESA 05/2019
Fotos: Catrin George Ponciano; REAL FADO