Ein Spiegel der Seele
Malen ist für die Künstlerin Ana Nobre Synonym für Leben. Sie bringt ihre Gefühle auf die Leinwand
Wie praktisch jedes Kind malte auch Ana Nobre schon im jungen Alter. Doch sie tat es nicht nur, um die Zeit zu vertreiben. Ana spürte einen regelrechten Drang danach, der mit der Zeit immer stärker wurde. „Fast wie eine physische Notwendigkeit“, erinnert sie sich. Daher stand auch schon früh für sie fest, dass sie Kunst studieren und „mein Leben lang“ malen würde. Sie hatte das Glück Lehrer zu haben, die sie in ihrem Vorhaben unterstützten und sie weiter motivierten. So kam es, dass sie die Kunstschule in Caldas da Rainha besuchte. Der Drang, nach Farbe und Pinsel zu greifen, um ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen, blieb ihr bis heute erhalten und verwandelt jedes ihrer Gemälde in ein autobiographisches Werk. Wenn Ana eine schwierige Phase erlebt, sind ihre Gemälde düster, wenn es ihr gut geht, dann sind sie farbenfroh und lebendig. Dies kann man an ihren Werken der letzten Jahre sehen.
Vor zwei Jahren lebte sie nahe Sintra bei Lissabon. Nachdem sie ihre Anstellung verlor, durchlebte sie ein großes Tief. Die in dieser Zeit entstandenen Bilder sind von dunklen Farben geprägt und finster. Selbst ihre Gemäldereihe mit kindlichen Engeln und Teddybären ist düster. Vor eineinhalb Jahren beschloss sie dann, ihr Glück in der Algarve zu versuchen. „Ich wollte auf Abenteuersuche gehen, Neues versuchen und erleben“, fasst die junge Künstlerin zusammen. Eine Ausstellung, die sie in Tavira hatte, war „wohl die beste meines bisherigen Lebens.“ Anders als sie es von Lissabon gewohnt war, waren die Besucher dieser Ausstellung offen und unprätentiös. „In Lissabon scheinen die Menschen sich in einem elitären Mantel einzuhüllen, wenn sie eine Kunstausstellung besuchen. Dabei interessiert nur, ob uns ein Gemälde gefällt oder nicht. Man muss kein Kunstexperte sein, sondern einfach den Emotionen freien Lauf lassen“, so Ana. In Tavira traf sie auf eine bunte Besucherschar. „Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen, die ganz wertfrei meine Werke betrachteten und mir ihre Meinung dazu sagten.“ Sie dachte sich daher, dass die Algarve der ideale Ort für Menschen sei, „die sich nicht scheuen, ihre Gefühle offen kundzugeben“, packte ihre Sachen und zog in den Süden.
„Hier bin ich glücklich. Das Klima tut mir sehr gut, die Menschen sind freundlich und stehen dem Neuen und Ungewohnten offen gegenüber.“ Ihre Gemälde sprechen für sich: eine fröhliche und lebendige Far-ben-explosion. Vor allem ihre Serie „Träume & -Berufe“ spiegelt perfekt ihren seelischen Zustand. Das erste Bild dieser Reihe war „Die Pianistin“. Als Kind lernte Ana Piano zu spielen und liebte es. „Wenn ich keine Malerin wäre, dann würde ich Pianistin sein“, sagt sie lächelnd. Ana musste jedoch den Unterricht aufgeben, weil ihre Eltern ihn nicht mehr finanzieren konnten. Als sie ihr erstes Geld verdiente, nahm sie den Unterricht wieder auf und kaufte sich ein Piano, das sie später verkaufen musste, weil sie ihre Arbeitsstelle verlor. „Es war unheimlich schwer für mich, ich weinte tagelang“, erinnert sie sich. Daraufhin entstand „Die Pianistin“. „Das Gemälde war eine Art Katharsis“, so Ana. Dann folgten andere Gemälde, die die Träume von Freunden darstellen, wie zum Beispiel „Der Saxophonist“, „Der Surfer“ oder „Die Fotografin“. Als sie die schwungvollen und farbenfrohen Bilder ausstellte, war das Feedback sehr positiv. „Der eine oder andere Besucher bedauerte, dass es unter den Darstellungen keinen Zahnarzt oder Richter gab und so kam es, dass ich Bilder nach Auftrag male.“ Den Menschen durch ihre Gemälde eine Freude zu bereiten, trägt weiter dazu bei, dass sie sich wohlfühlt. „Der Stress in Lissabon hat mich krank gemacht“, so Ana, „jetzt bin ich zu einem neuen Leben voller Energie erwacht. Die Algarve gab mir ein neues Dasein“, sagt Ana mit strahlenden Augen. Wer nun die Künstlerin kennenlernt, kann sich schwer vorstellen, dass diese dynamische, stets freundliche und lächelnde Person einst düstere Gemälde kreierte.
Ana malt nicht nur Personen, sondern auch Landschaften oder Blumen, Monster, Engel und Teddybären und zeichnet Figuren aus traditionellen Märchen und Kindergeschichten. „Einfach Figuren und Dinge, die Teil meines Lebens sind und das, was zu einer gegebenen Zeit Sinn für mich macht“, so die vielseitige Künstlerin.
Ihre fast unerschöpfliche Energie und ihr Drang nach stets neuen Erfahrungen führen dazu, dass Ana Nobre neben ihren Gemälden und Zeichnungen auch Kunsthandwerk aus wiederverwertbaren Materialien sowie Skulpturen schafft. Illustration ist ein weiterer Bereich, der sie stets interessierte, doch ihre mangelnden Computer-Kenntnisse erwiesen sich als Handicap. Ihre Vorliebe gilt ohne Zweifel der Malerei und den Zeichnungen, denn Leinwand oder Papier und Farbe und Stifte sind stets zur Hand. Zudem ist sie eine eher ungeduldige Person, die schnell zum Ergebnis kommen will.
In der Kunstschule lernte sie mit Ölfarben zu malen, nun benutzt sie Acrylfarben. „Diese erlauben es mir, abhängig von der beigefügten Wassermenge, eine Palette von sanften Pastelltönen bis zu kräftigen Farben zu kreieren, zudem trocknen sie schnell und riechen nicht“, erklärt Ana. Seit einiger Zeit ergänzt sie ihre Gemälde mit Blei- oder Buntstiften, transportiert somit ihre Zeichnungen in ihre Gemälde, und verleiht ihnen durch Collagen mit Papier, Karton, Fäden oder Holzstückchen Textur. Eine weitere Ergänzung in ihren Bildern sind Texte, Gedichte oder einfache lose Sätze sowie Fotos. Die Texte und Gedichte stammen dabei meistens von der Schriftstellerin Marta Vieira, mit der sie schon mehrmals zusammen ausstellte.
Nachdem sie mit 17 Jahren ihre ersten Ausstellungen in Bars und Restaurants nahe ihrem Wohnort hatte, stellt Ana mittlerweile in öffentlichen und privaten Galerien in ganz Portugal aus. Nun will sie in der Algarve, von Ost nach West, ihre Werke präsentieren. Um mit dem internationalen Publikum der Algarve kommunizieren zu können, besucht sie derzeit sogar einen Deutschkurs. Soweit es ihr möglich ist, will sie auch persönlich anwesend sein und live malen. Doch da sie momentan als Kunstlehrerin an den Grundschulen von Lagoa tätig ist und auch privat Kunstunterricht für Kinder und Erwachsene anbietet, ist dies nur an Wochenenden möglich. Für die Zukunft wünscht Ana sich schlicht und einfach, weiterhin das malen zu können, was ihr Spaß macht und den Menschen damit eine Freude bereiten zu können.
Text und Foto: Anabela Gaspar
In ESA 01/16