Hinter dem Künstlername RoMP verbirgt sich die 31-jährige Rita Pereira aus Lagos. Ihre Leidenschaft gilt der vermeintlich „unweiblichsten aller Künste“: der Bildhauerei
Text: Anabela Gaspar in ESA 05/2021
Lange galt die Bildhauerei als Männerdomäne – schon wegen der anstrengenden körperlichen Arbeit. Die Rolle der Frau beschränkte sich auf die der Muse. Dabei haben sich schon früh viele Künstlerinnen über das klischeehafte Denken ihrer Zeit hinweggesetzt und selbst zu Hammer und Meißel gegriffen. Beispiele sind die italienische Renaissance-Vorreiterin Properzia de‘ Rossi, Marcello, alias Adèle d’Affry, aus der Schweiz, Camille Claudel aus Frankreich oder die Deutsche Renée Sinteni. Rita Pereira aus Lagos, eine der wenigen zeitgenössischen portugiesischen Bildhauerinnen, wünscht sich ebenfalls in die Annalen einzugehen.
Zwar umfasst der Begriff Bildhauerei mittlerweile in Kunst und Kunsthandwerk das ganze Feld der Herstellung von Skulpturen und Plastiken, doch Rita ist eine Bildhauerin im ursprünglichen Sinn der Bezeichnung, das heißt, dass sie ihre Werke aus dem Stein herausschlägt. Natürlich erfolgt dies heute nicht nur mit manuellen Werkzeugen wie Meißel und Fäustel, sondern auch mit Hilfe von Maschinen zur Steinbearbeitung wie Winkelschleifer und Bohrer.
Ihre Leidenschaft für die Steinbearbeitung entdeckte sie erst auf der Kunstschule Belas Artes in Lissabon. Zurückblickend meint Rita jedoch, dass diese wohl immer präsent war, sie sie nur nicht wahrgenommen hatte. Ihre Eltern sind eng mit dem Bildhauerpaar Vera Faria Gonçalves und Raymond Dumas aus Lagos befreundet und Rita ist praktisch inmitten derer Werke aufgewachsen. „Veras und Raymonds Steinskulpturen waren stets um mich herum und weckten meine Neugier. Ich traute mich aber nie sie anzufassen, sondern bestaunte sie aus sicherer Entfernung. Generell war ich eher der Typ, der beobachtete. Heute weiß ich, dass mir nicht bewusst war, wie groß der Einfluss ihrer Werke auf mich war“, erzählt sie. Als Rita die Schule abschloss wollte sie Produktdesign studieren, ihre Abschlussnote war aber nicht ausreichend und deshalb immatrikulierte sie sich zur Überbrückung in Kunst. „Ohne lange zu überlegen wählte ich als Hauptfach Bildhauerei. Es war instinktiv, auch dass ich mich für Marmor und Kalkstein entschied und die Art wie ich erstmals die Werkzeuge zur Hand nahm“, erinnert sie sich. Im darauffolgenden Jahr wechselte Rita dennoch zu Produktdesign, behielt aber bis zum Abschluss des Studiums das Fach Bildhauerei bei. „Während dieser Zeit fragte ich mich immer wieder, ob ich nicht doch hätte Kunst studieren sollen“, so Rita. Vielleicht war es diese Unsicherheit, die sie dazu führte, nach dem Studium ein Artist-in-Residence-Programm bei LAC – Laboratório de Actividades Criativas in Lagos zu besuchen, während dem sie mit Stein arbeitete, statt einen Job in der Produktdesignbranche zu suchen. Es folgte ein Magisterabschluss in Produktdesign auf der renommierten Kunst- und Designhochschule ESAD in Caldas da Rainha, bei dem sie geblasenes Glas mit Naturstein kombinierte. In der Kunstgalerie Lady in Red in Lagoa sind solche Werke ausgestellt.
Vor drei Jahren ist Rita zu LAC zurückgekehrt. „Ich bin dankbar für diese Möglichkeit und für den Platz, den mir der Kulturverein zum Arbeiten zur Verfügung stellt. Sonst könnte ich der Bildhauerei nicht nachgehen. Ich wohne in einer Wohnung im Stadtzentrum, die Nachbarn würden den Lärm und den Staub nicht dulden“, sagt sie lächelnd. Der feine Staub bedeckt alle Bänke, Tische und Werkzeuge im Innenhof von LAC wie eine Schneedecke. „Ich hätte nach Lissabon oder ins Ausland ziehen können. Aber ich möchte gerne in Lagos bleiben. Eine Stadt, die lange das Zuhause des vor Kurzem verstorbenen Bildhauers João Cutileiro war und eine kleine, aber sehr aktive Künstlergemeinde hat“, so Rita. Sie bedauert die mangelnden Investitionen im Kulturbereich in Portugal und dass kaum noch Steinbildhauer-Symposien im Land veranstaltet werden. Von ihrer Kunst allein kann sie noch nicht leben, daher arbeitet sie im Sommer in Restaurants. „Das gibt mir ein festes Einkommen, um meine Kosten zu decken“, sagt sie achselzuckend. Aber sie gibt nicht auf und nimmt so oft wie möglich an Symposien im Ausland teil, um sich weiterzuentwickeln. „Ich hatte nicht geplant, Bildhauerin zu werden, aber nun kann ich mir mein Leben nicht anders vorstellen. Wenn ich zum Arbeiten die Kopfhörer und Ohrenschützer aufsetze, tauche ich in eine Welt der Ruhe und des Wohlfühlens ein. Ich liebe es, bei einem Steinblock immer mehr Material zu entfernen, bis er sich in meine anfängliche Idee umgewandelt hat. Mein Ziel ist es, monumentale Skulpturen zu meißeln, vorzugsweise für den öffentlichen Raum“, erzählt sie mit leuchtenden Augen.
Die junge Künstlerin arbeitet hauptsächlich mit Marmor und Kalkstein und schafft sowohl abstrakte als auch figurative Skulpturen. Ihre Hauptinspirationsquelle ist die Natur, was an Stücken wie ihren Wellen oder Bäumen leicht zu erkennen ist. Derzeit widmet Rita sich aber mehr geometrischen Formen und Konzepten. „Ich bevorzuge künstlerische Skulpturen, passe mich aber auch der Nachfrage an. Deshalb habe ich auch kommerzielle Stücke, wie dekorative Teller oder Seifenschalen“, erklärt Rita. Bei der Größe ist die Künstlerin ebenfalls vielseitig: Es gibt kleine Stücke, die leicht im Gepäck verstaut werden können (denn es sind hauptsächlich Touristen, die ihre Kreationen kaufen), und größere Skulpturen für Galerien und den öffentlichen Raum, wie den Baum, den sie im Rahmen der Kulturwoche „Orte der Globalisierung“ in Monchique schuf und dort ausgestellt ist, oder den, den sie letztes Jahr während eines Symposiums in Beziers, Frankreich, meißelte. Vor Kurzem wurde erstmalig eines ihrer Werke im öffentlichen Raum in Lagos aufgestellt: Die Skulptur zu Ehren von Matthias Sandeck am Strand Prainha bei Praia da Luz. Der Freund kam bei einer Unterwasser-Angelmeisterschaft in Dänemark ums Leben. „Ich hatte das Bedürfnis, diesen Verlust durch ein physisches Symbol auszudrücken, das über die Zeit bestehen wird. Diese Skulptur steht sinnbildlich für den Abstieg zum Meeresgrund, ein Tanz zwischen Leben und Tod. Die beiden Elemente an der Spitze der Skulptur stellen die Flossen in einer eingefrorenen und verewigten Bewegung dar“, erklärt Rita. Das Rathaus von Lagos lud sie außerdem dazu ein, drei kleine Skulpturen anzufertigen, die dem Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa überreicht wurden. „Natürlich bin ich darauf stolz“, sagt sie lächelnd, „und ich sehe es als eine Anerkennung meiner Arbeit seitens des Rathauses. Das ist schön“.
Rita Pereira, alias RoMP
ritaosmeuspes@gmail.com
Facebook & Instagram: ritaosmeuspes
Weitere Fotos von Ritas Werken sind abrufbar unter:
www.behance.net/ritapereirdcda