Handwerk und Ästhetik miteinander verschmelzen wollte Nuno Ramalho nach seinem Studium für Industriedesign an der Escola Profissional Gustav Eiffel – und wählte Eisen als Element
Nuno Guerreiro Ramalho nennt sich selbst artesão, Handwerker. Obwohl das, was er mit dem 26. chemischen Element aus dem Periodensystem kreiert, durchaus solide handwerkliche Kenntnisse voraussetzt, aber zusätzlich künstlerische Präzisionsarbeit darstellt. Im Brotberuf auf einem Landgut tätig, drängt es ihn in seiner Freizeit in seine „Garage“, wie er seine Werkstatt betitelt – zum Werkeln. Auf der Quinta das Cordovas westlich von Évora lebt er mit seiner Familie, und tüftelt permanent an seiner Designlinie und an seinem unverwechselbaren Stil.
„Epá“, sagt der dynamische Familienvater, wie oft läge er nachts wach und überlege, wie er für seine Kunden, die bei ihm immer öfter Maßanfertigungen für ihre Firma, ihr Restaurant, für ihr Wohnzimmer oder ihren Garten bestellen, etwas einzigartig Harmonisches gestalten kann. „Erst, wenn ich die Lösung gefunden habe, kann ich entspannt einschlafen“, gibt er zu, und fange gleich am nächsten Tag mit der Umsetzung an.
Einzigartig ist das Stichwort für Nunos Kunst insgesamt. Keines seiner Stücke gibt es zweimal. Der Künstler, der das Eisen nach seiner Fantasie mit seiner Kenntnis erst erweicht, bis es biegsam und formbar ist, arbeitet freihändig und ohne Schablone. Somit entstehen ausschließlich Einzelstücke. „Alles Unikate, so wie der Alentejo eben auch ein Unikat ist“, erklärt Nuno seine Intention, die optische Identität seines Wiegenlandes in seinen Werken sichtbar und genial simpel handwerklich umgesetzt, unvergessen zu machen.
So entsteht seine Kunst ohne Horizont, was beim Betrachten seiner Arbeiten sofort erkennbar ist. Nunos Stücke werden von keinem Rahmen festgehalten. Sie zeigen wie in einem Scherenschnitt nur Umrisse und Körper. Durch die von Nuno gewählte Ausschneidetechnik wirkt das starre Element Eisen geradezu grazil. Eine Technik, die Nuno in den vergangenen fünfzehn Jahren, seit der Initialzündung für seine persönliche Marke, für sich als Hauptarbeitsmethode verfeinert hat.
Bei größeren Anfertigungen arbeitet er zusätzlich an der Schmiede, mit Zange, Hammer, Amboss, außerdem mit Schweißgerät, das ist stets abhängig von der Menge an Schnittstellen, die ein Kunstwerk mit größerem Gewicht verlangt, erklärt er.
Mit einem Stück Kreide zeigt Nuno auf einer chapa, einer Eisenplatte mit vier Millimeter Stärke, wie er mit dem Metallschneider arbeitet. Im nächsten Schritt müssen die Kanten geglättet werden, zum Schluss wird lackiert, in einer Farbe, die an reife Johannisbrotfrüchte oder dunkle Oliven erinnert. Der Kunstschnitt erfolgt an einem Stück, so wie es Nuno mit der Kreide verdeutlicht, als wäre die Linie unendlich. Innerhalb von wenigen Minuten entsteht ein Bild: Die Silhouette eines Bauernhäuschens neben einer Korkeiche. „Verschneiden dürfe er sich allerdings nicht“, schmunzelt Nuno, sonst müsse er an einem neuen Stück Eisenblech neu beginnen.
Baum mit Haus bildet eines der zahlreichen emblematischen Motive aus Nunos Produktlinie, das auf simple, aber effektive und ästhetische Weise die optische Charakteristik des Alentejo einfängt. Gegen den blauen Himmel gehalten, verliert sich der Raum dahinter in der Unendlichkeit. Den gleichen Effekt erzeugen Nunos Arbeiten an eine weiß gestrichene Wand aufgehängt. Hinter dem Bild löst sich die Fläche auf, scheinbar, der Blick dringt durch die Zwischenräume, gleitet visionär in einen offenen Raum dahinter, obwohl dieser gar nicht vorhanden ist. Noch effektiver wirkt das Hindurchgleiten im Kerzenlicht oder indirekt -beleuchtet. Als hole man sich ein Stück Alentejo-Landschaft ins eigene Wohnzimmer.
Nunos Thema ist seine Heimat – der Alentejo. Korkeichen und Ölbäume, o porco preto, Bauernhäuschen, Storchennester, die Skyline Évoras, Schornsteinkamine, Silhouetten von Ritterburgen in jeder Variante und Größe sowie Weinberge, deren Rebzeilen in flexibel gearbeiteten Streben durch ein imaginäres Tal und über Hügel hinwegschwingen, zählen zu Nunos präferierten Werken. Aber auch Kraniche, Katzen, Gockel und andere Tiere, als Standbilder angefertigt, schmücken so manchen Garten. Seit 16 Jahren begegnet man Nunos unverwechselbaren Arbeiten, in Restaurants, auf Weingütern, in Nunos Werkstatt und in großer Anzahl im Tivoli Eco-Resort neben der Werkstatt gelegen.
Beabsichtigt war diese künstlerische Entwicklung zunächst gar nicht, Nuno wollte Design und Funktion durch das Element Eisen verbinden und schuf nach seinem 1993 abgeschlossenen Studium zunächst gestylte Lampenständer, Tische, Bänke, Stuhlgerüste, Garderoben und vieles mehr für den eigenen Haushalt, hin und wieder kam eine Auftragsarbeit dazu. Erst seit 2004 gibt Nuno sich dem Wunsch gestalterisch zu arbeiten organisiert nebenberuflich hin.
Zu seinen seitdem entstandenen exotischsten Stücken zählen Halterungen für Weinflaschen mit Mechanismen zum Dekantieren besonders wertvoller Tropfen – in allen möglichen und unmöglichen Ausführungen – wozu ein wie ein Artilleriegeschütz geschmiedetes Stück zählt, das nicht schießt, aber Wein serviert.
Den ultimativen Anstoß für sein bis dato schlummerndes Talent Handwerk und Kunst gestalterisch zu vereinen, bescherte ihm 2004 die Teilnahme an einem Wettbewerb auf der Kunsthandwerkermesse, in die jährlich traditionell stattfindende Feira de S. João in Évora integriert. Pflichtkür eines jeden Ausstellers ist die Einreichung einer Arbeit, die am Abschlusstag gekürt und prämiert wird. Das 2004 Thema lautete „Alentejo im Sonnenuntergang“. Dass Nuno an dem Wettbewerb überhaupt teilgenommen hat, dass er extra für dieses Thema sein erstes Kunstwerk ohne Horizont überhaupt geschaffen hat, und damit sozusagen über Nacht bekannt geworden ist, verdankt er seiner Frau Dora, die ihn damals ermutigt hat, den letzten freien Stand auf der Messe zu buchen und „endlich“ einmal seine Arbeit auszustellen.
Zu Nunos Überraschung erlangte seine Monte Alentejano Landschaft mit orange rot lackierten Baumwipfeln nebst Bauern-Kate den dritten Platz. Elektrisiert bis in die Fingerspitzen von der unerwarteten Anerkennung widmete sich der Familienvater fortan in jeder freien Minute seiner frisch entfachten Passion mit handwerklichem Wissen, Können – und Seele. Im Folgejahr 2005 gewann er den zweiten Preis für seine über drei Meter lang messende Skyline von Évora, im Jahr darauf den zweiten Preis für die Stand-Gestaltung.
Die Nachfrage nach den eisernen Scherenschnitten wuchs, erste Großaufträge bahnten sich an. So schwimmen auf einem privaten Landgut in Monsaraz vier Meter lange knallrot lackierte Fische an der Wand entlang, dekorieren mannshohe Bäume die Lobby im benachbarten Eco-Resort, wuchert demnächst als Wandschmuck in einem Degustation-Saal auf einem bekannten Weingut fragil gefertigtes Weinlaub an einer meterlangen, knorrig nachgeahmten Rebe aus zusammengeschweißten Eisenrohren entlang.
Eine Auswahl seiner Kunstschätze hortet Nuno in seiner „Garage“ in Klein-, Mittel- und Großformat. Interessierte Kunden können die Werkstatt auf der Quinta das Cordovas nach Voranmeldung besuchen, Nuno bei der Arbeit zusehen und eines der charakteristischen Unikate käuflich erwerben. Wem der Weg bis nach Évora zu weit sein sollte, kann sich sein persönliches Lieblingsstück online aussuchen – und bestellen, schließlich kennt die Kunsthandwerksstätte Ideias em Ferro keine Grenzen und Nunos Kunst keinen Horizont.
„Ein Leben ohne künstlerisch werkeln? Unvorstellbar“, lächelt er und lässt die Kreide zwischen seinen Fingern gedankenversunken verschnörkelte Linien über die Eisenplatte ziehen.
Ideias em Ferro
geral@ideiasemferro.pt
(Kontaktaufnahme auf Englisch)
www.ideiasemferro.pt
facebook.com/nunogramalho
Text: Catrin George Ponciano in ESA 12/2020
Fotos: Catrin George Ponciano; Ideias em Ferro