Unter dem Zitat „Wenn das Herz denken könnte, würde es still stehen“ aus Fernando Pessoas „Buch der Unruhe“, zeigen Nada Mandelbaum und Ernst Föll bis Ende dieses Monats ihre Werke vor einer beeindruckenden Kulisse: der römischen Villa Milreu bei Estoi
Die Ruinen von Milreu gelten als eine der bedeutendsten archäologischen Stätten der Römerzeit in Portugal und wurden 1910 zum Nationaldenkmal erklärt. Bekannt sind sie vor allem wegen der reich mit exquisiten Mosaiken verzierten Villa und Badeanlage. „Eine tolle Kulisse für eine Ausstellung“, so Nada Mandelbaum begeistert. „Ich kenne viele Künstler, die ihre Werke nicht mehr in nackten Galerieräumen ausstellen wollen“, fügt Ernst Föll hinzu. „Sie sehnen sich nach einer Urbanität. Milreu finde ich sehr interessant, weil dort Kunst in einem historischen und architektonischen Kontext steht“, führt er weiter aus. „Kunst muss in die Städte integriert, ins Leben gebracht werden“, sind sie sich einig.
Die beiden in der Algarve ansässigen Künstler verstehen ihre Ausstellung und Kunst allgemein als eine auf das Bewusstsein der Menschen zielende Wirkungskraft. „Es kann in der Kunst nicht nur darum gehen ‘den schönen Schein zu wahren’, sondern Künstler haben die Verpflichtung sich mit ihren Mitteln in die Gesellschaft einzumischen“, so Nada. „Angesichts der derzeitigen Bedrohungslage unserer Welt, mit circa 60 Mio. flüchtenden Menschen, der Wasserknappheit und der weiterhin brutalen und hemmungslos betriebenen Aufrüstung, ist Empathie das Gebot der Stunde“, erklärt Ernst. „Leidenden Menschen zu helfen und mit anderen Menschen zu teilen, was uns begeistert, erfüllt unser Leben mit Sinn und Freude. Nur auf diese Art kann die Kunst ihre heilende Kraft entfalten“, schließt Nada ab.
Ihr Kunstbegriff ist stark von dem von Joseph Beuys geprägt, einem der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts. Beuys war der Ansicht, dass jeder Mensch ein Künstler sei und eine die Welt und die Gesellschaft verändernde „soziale Kunst“ hervorbringen könne. Vor allem Ernst Föll ist stark von Beuys beeinflusst. Er absolvierte sein Studium der Bildhauerei bei Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf und war einer der Schüler, die mit dem Professor 1972 das Sekretariat besetzten, um wegen herrschender Zulassungsverfahren und begrenztem Numerus clausus gegen die Abweisung von Studenten zu protestieren, was dazu führte, dass Beuys vom Wissenschaftsminister Johannes Rau fristlos entlassen wurde. Dass einer der bedeutendsten Künstler der deutschen Nachkriegszeit seines Amtes enthoben wurde, führte zu enormen Protesten in der Kunstszene – nicht nur in Deutschland.
Nach dem Studium war Ernst Föll als Kunstpädagoge tätig und organisierte Workshops und Ausstellungen für die von Beuys gemeinsam mit Klaus Staeck, Georg Meistermann und Willi Bongard ins Leben gerufene Free International University (FIU, oder Freie Internationale Hochschule für Kreativität und Interdisziplinäre Forschung), ein gemeinnützig anerkannter Trägerverein, der die grundlegende Erneuerung des Bildungswesens vorsah. Seit den 70er Jahren nahm Ernst Föll zudem an unterschiedlichen Ausstellungen teil und war auch als Architekt tätig.
Die Färb- und Fügetechnik mit Papier, die die Grundlage einiger der in Milreu ausgestellten Arbeiten bildet, entwickelte Ernst Fölll ab 2006. „Ich vermenge Pigmente und Öl und reibe mit diesem Präparat einzelne Blätter per Hand ein. Es ist stets spannend zu sehen, wie das Papier die Pigmente aufnimmt. Jedes Blatt weist andere Nuancen auf“, so Ernst, der fast ausschließlich mit Blau, „der Farbe des Verstandes, des Geistes“, und mit Rot, „der Farbe der Emotionen, des Herzes“, arbeitet. „Das Papier wird dann ausgeschnitten und zu geografischen Motiven zusammengefügt. Was immer gleich ist, ist, dass die einzelnen Flächen goldenschnittig sind. Innerhalb dieses Rasters muss ich versuchen, neue Variationen mit den beiden Polaren Blau und Rot zu finden“, erklärt der Künstler den Prozess.
Von ihm sind unter anderem Arbeiten der Serie „Ätherfelder“ zu sehen. „Ätherfelder ist der Arbeitstitel eines umfangreichen Zykluses, den ich 2013 begann. Es ist die Kennzeichnung eines Terrains in aristotelischem Sinn. Aristoteles bezeichnete mit dem Begriff Äther ‘die obere Luft über den Wolken’, als die Quintessenz eines göttlichen Feuers und Quellpunkt alles seelischen und lebendigen Seins“, so Ernst.
Nada Mandelbaum absolvierte nach jugendlicher Ballettausbildung und zweifacher Mutterschaft ihr Lehramtstudium zur Kunsterzieherin an der Pädagogischen Hochschule Neuss bei Düsseldorf. Später besuchte sie Ausbildungen zur psychologischen Verhaltens- und Tanztherapeutin. Nach dem klassischen Ballett entdeckte sie den zeitgenössischen Tanz, Jazz und Afro Dance; tanzte im Düsseldorfer Tanzhaus NRW, in Sommerakademien in Köln und auf den internationalen Tanzwochen in Bonn. In den 80er Jahren war Nada Mitglied der Tanztheatergruppe 41DU, danach kreierte sie bis 2002 Soloperformances auch im Zusammenspiel mit bildenden Künstlern. In der Algarve, wo sie sich im Jahr 2000 niederließ, entdeckte sie die Malerei für sich und gesellte sich 2005 zu der Algarve Artists Network.
Neben dem Tanz zieht sich auch ihr Interesse für Fotografie durch ihr Leben. Im sonnigen Süden Portugals entwickelte sie ihre „Schattenbilder“, von denen neun in Milreu ausgestellt sind. „Im Laufe meines Daseins im Licht der Algarve habe ich mich immer mit dem Schatten beschäftigt, diesen verfolgt. Alle schwärmen von dem Licht der Algarve, dabei vergessen sie den Schatten“, so Nada lächelnd. Vor allem am Vor- und am Nachmittag, wenn die Schatten länger sind und bizarre Formen annehmen, ist Nada mit der Kamera unterwegs und hofft mit ihren Schattenbildern viele unterschiedliche Interpretationen und Assoziationen bei dem Betrachter hervorzurufen.
Text Anabela Gaspar in ESA 07/2019
Fotos: Anabela Gaspar, Nada Mandelbaum