Immer mehr Rathäuser der Algarve engagieren Street Art Künstler, um tristen Mauern im öffentlichen Raum neues Leben einzuhauchen. In Albufeira strahlt dank der Kreativität des lokalen Künstlers ASUR seit Kurzem ein Fußgängertunnel in frischen, leuchtenden Farben
Seine Graffiti sind gigantisch, ausdrucksstark, farbenfroh. Sie springen den Passanten ins Auge, lassen niemanden gleichgültig. Filipe N., alias ASUR, ist hingegen zurückhaltend, etwas schüchtern und wortkarg. Wir treffen uns an einem sonnigen Wintertag in São Bartolomeu de Messines, wo er damit beschäftigt ist, den Dichter João de Deus auf einer Mauer nahe der Zufahrt zur IC 1 zu verewigen – zumindest solange, wie die Farben Wind und Wetter standhalten. Der Auftrag eines lokalen Farben-geschäftes und der Gemeinde, die mit dem Graffiti einerseits Werbung machen und andererseits den lokalen Poeten ehren wollen. Solche Aufträge gehören längst zum Alltag bekannter Street Art Künstler. Zuletzt besprühte ASUR die Wände des Tunnels unter dem Kreisverkehr Rotunda dos Descobrimentos, der die Altstadt von Albufeira mit der Freizeitanlage Parque do Ribeiro verbindet. „The Ocean Wall“ ist etwa 700 Quadratmeter groß. 500 Spraydosen benötigte er, um die beeindruckende Unterwasserwelt zu kreieren, die Fußgänger nun in Staunen versetzt. Das Mural macht nicht nur auf den Schutz der Ozeane aufmerksam, sondern ist auch eine Hommage an die Fischer des ehemaligen Dorfes, das zur Touristenhochburg heranwuchs. Neben Delfinen, Schildkröten und anderen Meeresbewohnern, brachte ASUR auch rote Sandsteinfelsen, traditionelle bunte Fischerboote und die von der Sonne gegerbten Gesichter von António Amaro und Chico Lines auf die Wand, zwei bekannte Fischer aus Olhos d´Água. „Eigentlich sah mein erster Entwurf etwas anders aus“, verrät er. „Die Schildkröte hatte zum Beispiel Plastik um den Hals gewickelt.
Das Graffiti sollte die Verschmutzung der Ozeane zeigen und etwas schockierender ausfallen. Aber das Rathaus hatte eine andere Vorstellung und außerdem liegt direkt hinter dem Tunnel ein Spielplatz. Also musste ich einige Änderungen vornehmen“, lässt er uns wissen. Dies sei bei öffentlichen Aufträgen nicht ungewöhnlich. Dennoch fühlt er sich nicht in seiner künstlerischen Freiheit eingeschränkt. „Ich musste zwar einiges ändern, aber es ist immer noch mein Design. Und wenn ich nach Lust und Laune sprühen will, kann ich mich wie früher jederzeit im Dunkeln der Nacht auf den Weg machen“, erzählt er augenzwinkernd.
ASUR war etwa zwölf Jahre alt, als er sich erstmals im Sprühen probierte. Von seinem Taschengeld legte er stets einige Münzen beiseite, um sich Spraydosen zu kaufen. Hier und da übte er sein Tag, seine „Unterschrift“, dann sprühte er die ersten „Bilder“. Hätte man ihn damals erwischt, hätte man ihn dafür bestraft. Heute, mit 26 Jahren, wird er von den Städten dafür engagiert und bezahlt. 38.900 Euro zahlte laut Pressemitteilung das Rathaus von Albufeira für das Graffiti im Tunnel und für ein weiteres am Delfin-Kreisverkehr. Einerseits ist ASUR glücklich über die Anerkennung, die die Graffiti-Kunst in den letzten Jahren erfuhr und dazu führte, dass Künstler wie er bei hellem Tageslicht ihrer Leidenschaft nachgehen können und der städtische Raum an Farbe gewinnt. Doch andererseits vermisst er die Spannung, nachts geheim unterwegs zu sein. „Das Adrenalin schießt bei Auftragsarbeiten nicht unbedingt durch meinen Körper“, verkündet er lächelnd.
Die Suche nach Adrenalin, lässt ihn immer wieder mal anonym im Mondschein, mit einer Spraydose gewappnet, durch die Straßen schlendern. Natürlich sind die Graffitis dann als seine zu erkennen, auch da er sein Tag dazusprüht. Aber mittlerweile ist der Eigentümer der Mauer dann eher erfreut und betrachtet das Graffiti des lokalen Künstlers als eine Bereicherung.
Obwohl ASUR der Öffentlichkeit bekannt ist, zeigt er, wie viele andere bekannte Graffiti-Künstler weiterhin selten sein Gesicht und nennt auch ungerne seinen Namen. „Wichtig ist unsere Arbeit, nicht wer wir sind. Nur unsere Arbeit“, begründet er.
ASUR besuchte die Schule nur bis zur 9. Klasse. „Die Schule hat mich einfach nicht interessiert. Ich vertrieb mir die Zeit im Unterricht, indem ich zeichnete“, erinnert er sich. Er ist stolz auf seinen Werdegang und bereut es nicht, keinen Schulabschluss oder Kunst studiert zu haben. Und seine Eltern? Sind sie stolz auf ihren Sohn? „Sie gehören nicht zu den Menschen, die ihre Gefühle offen zeigen, und sie interessieren sich nicht für Kunst. Aber ich merke, dass sie sich freuen und stolz sind, wenn in den Medien über meine Arbeit berichtet wird“, so ASUR. Vor allem ein Graffiti von ASUR erhielt große Aufmerksamkeit: „Vida por Vida“ – das große Mural, dass er ans Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr in Silves sprühte und eine Feuerwehrfrau zeigt, die ihr Baby stillt, während im Hintergrund Bäume von Flammen verschluckt werden. „Sie sind unsere Helden und ein sicherer Hafen“, fasst ASUR zusammen. Dieses Grafitti trug zu seiner Bekanntheit bei und öffnete ihm einige Türen.
Weitere bekannte Werke von ihm in der Algarve sind Schwarz-Weiß-Graffitis an den alten Fischkonservenfabriken in Olhão, die Szenen aus der Fischerei zeigen, oder das am Gebäude der Feuerwehr von Albufeira. Seine jüngsten Werke zeichnen sich durch einen großen Realismus aus. In den letzten Jahren nahm ASUR auch an mehreren Festivals teil. Zuletzt in El Salvador und in Mailand. Der scheue Künstler aus Albufeira hinterlässt somit weltweit seine Spuren.
Text: Anabela Gaspar in ESA 01/2020
Fotos: ASUR; Anabela Gaspar