Das Fliesenatelier Aresta Viva in Faro blickt auf 32 Jahre Firmengeschichte zurück, produziert aber azulejos, die auf eine sechs Jahrhunderte alte Tradition blicken und wieder voll im Trend sind
Maria und Rui Mascarenhas sind praktisch inmitten von Ton aufgewachsen. Palmira, ihre Mutter, besuchte Ende der 1980er Jahre eine Ausbildung zur Produktion von traditionellen azulejos und eröffnete kurz darauf das Atelier Aresta Viva im ersten Stock ihres Hauses in Faro. Natürlich nahmen beide Kinder jede Möglichkeit wahr, um mit Ton zu modellieren und als sie heranwuchsen, gingen sie ihrer Mutter hilfreich zur Hand. Dennoch planten sie nicht in ihre Fußstapfen zu treten. „Ganz im Gegenteil“, erzählt Maria, mit 40 Jahren die Ältere von beiden, „ich nahm mir fest vor Faro zu verlassen und wollte etwas ganz anderes machen.“ Sie studierte Landschaftsarchitektur, half aber zwischendurch im Atelier. „2017 kam ich dann endlich zu der Einsicht, dass ich hier, inmitten des Tons, am glücklichsten bin“, fasst sie lächelnd zusammen. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Rui hegte hingegen nicht den Wunsch einer radikalen Trennung vom „Elternhaus“. „Ich plante zwar nicht direkt nach dem Studium im Atelier zu arbeiten, schloss die Möglichkeit aber auch nicht aus“, so der gelernte Kommunikationsdesigner, der seit 2009 azulejos herstellt. Heute führen sie das Atelier zusammen. „Mit der ein oder anderen Auseinandersetzung untereinander, wie es bei Geschwistern üblich ist“, geben sie augenzwinkernd zu. Das von der Mutter an sie weitergetragene Wissen haben sie durch Ausbildungen in der Fachhochschule für Keramik, CENCAL, in Caldas da Rainha erweitert. Palmira wohnt weiterhin im Erdgeschoss und „schaut uns manchmal auf die Finger“, so Rui gut gelaunt. „Aber meistens sind wir diejenigen, die sie zu uns rufen, da wir uns nach wie vor auf ihr Wissen und auf ihre Erfahrung verlassen“.
Die beiden Geschwister sind auf die Reproduktion und Restaurierung von maurischen Fliesen aus dem 15. Jh. und von traditionellen portugiesischen Fayence-Fliesen aus dem 16. und 17. Jh. spezialisiert, produzieren aber auch Eigenkreationen mit modernem Design. Alles in Handarbeit und anhand traditioneller Techniken. Für die maurischen Fliesen wenden sie die sogenannten corda-seca und aresta viva Techniken an. Erstere stammt aus dem 15. Jh. und verhindert, dass sich beim Brennen der Fliesen die Farbglasuren vermischen. „Dafür werden die farblich unterschiedlichen Flächen durch eine Rille getrennt, in der eine mit Leinsamenöl gefettete Schnur (corda) angebracht wird, die als Barriere fungiert, damit die Farben nicht ineinander laufen. Oft wird das Leinsamenöl mit Mangan vermischt und es entstehen schwarze Linien zwischen den Farben“, erklärt Maria. Eine zeitaufwendige und mühsame Arbeit, die später durch die aresta viva Technik ersetzt wurde, die auf einem ähnlichen Prinzip beruht. Statt Rillen werden die Glasuren durch ein Relief, auf Portugiesisch aresta genannt, getrennt. Dadurch entfällt das mühsame Anbringen des Öls.
Die traditionellen portugiesischen Fayence-Fliesen sind hingegen glatt. Für diese verwenden sie eine ebenfalls jahrhundertealte Prozedur, die Majolika-Technik. Dabei werden schon gebrannte Fliesen mit einer opak-weißen Zinnglasur überzogen, von Hand bemalt und ein zweites Mal gebrannt, damit die Glasur und die aufgetragenen Farben zu einer glänzenden, wasserdichten und dauerhaften Außenhaut verschmelzen.
Das Bemalen der Fliesen ist eine Geduld erfordernde Kunst für sich und besteht ebenfalls aus mehreren Schritten. Die Motive werden vom Original auf Pauspapier übertragen und die Linien mit einer dünnen Nadel nachgestochen. Die durchlöcherte Pause wird anschließend auf die Fliese gelegt und mit einem mit Kohlenstaub gefüllten Beutelchen betupft, sodass sich das Motiv auf die Grundierung überträgt. Dann rücken Rui und Maria mit ruhiger Hand und Pinsel an, um dem Motiv Farbe zu verleihen.
Doch bevor die beiden den Fliesen Farbe verleihen können, müssen sie den Ton per Hand kneten, abschneiden, in die im Laufe der Jahre entwickelten und angefertigten Reliefformen drücken oder klopfen, wieder herausnehmen, zum Trocknen legen, immer wieder flach drücken, die Ränder glatt schleifen und letztendlich brennen. Diese Arbeitsabläufe lassen sich keineswegs mit einer Arbeitszeit von neun bis siebzehn Uhr vereinbaren. Maria, die auch im gleichen Haus wohnt, muss beispielsweise kurz bevor sie schlafen geht, alle zum Trocknen liegende Fliesen bearbeiten, damit sie am nächsten Morgen noch flach sind. „Der Prozess ist sehr zeitaufwendig und arbeitsintensiv, aber es lohnt sich allemal“, sind sich die Geschwister einig. Dennoch geben sie lächelnd zu, dass ihnen die kreative Arbeit, wie das Entwickeln neuer Motive oder Auftragsarbeiten, bei denen sie freie Hand haben, mehr Freude bereitet als die körperliche. Immer öfter erhalten sie Aufträge von Innenarchitekten für Projekte, die von der Verkleidung von Bädern und Küchen bis zu Fliesenpaneele für Hotellounges reichen. Auch Sonderwünsche für Kunden in Deutschland haben sie bereits umgesetzt: In Bayern ist der Fußboden eines Wintergartens mit ihren Fliesen ausgelegt. „Portugiesische Fliesen sind wieder im Trend“, freuen sie sich. „Und es ist nicht nur eine ästhetische Frage. Ihr kultureller und auch sozialer Wert wird geschätzt. Sowohl in Portugal als auch im Ausland.“ Durch die Erforschung und Aufwertung des künstlerischen Reichtums angestammter Handwerkstechniken und die Schaffung origineller Keramikfliesen mit modernem Design wollen die Geschwister zur Verbreitung der portugiesischen azulejos beitragen.
Sehr stolz sind sie darauf, dass ihre Fliesen im Shop des Museu Nacional do Azulejo in Lissabon zu erwerben sind. „Es ist eine Anerkennung dafür, dass wir gute Arbeit leisten und unsere Reproduktionen getreu der traditionellen Fliesen sind“, so Rui.
Text: Anabela Gaspar in 07/2021
Atelier Aresta Viva
Mob.: 967 979 249
arestaviva.azulejaria@gmail.com
arestaviva.com