Im August 2019 stellten wir das Buch „Lissabon – Begegnungen in der Stadt des Lichts“ von Holger Ehling vor. Von all den Lissabon-Büchern, die in den letzten Jahren erschienen sind, war dies eine erfrischende Abwechslung. Nun unterbrachen wir seine Schreibklausur im sonnigen Süden, um mehr über sein nächstes Portugal-Buch zu erfahren und entdeckten einen ausgesprochen freundlichen und gut gelaunten Menschen
Über zehn Jahre befasste sich Holger Ehling mit afrikanischer Literatur, bereiste die meisten subsaharischen Länder Afrikas und war auch in ehemaligen portugiesischen Kolonien unterwegs. Der Fokus lag aber immer auf Westafrika. Danach war der Journalist und Sachbuchautor viele Jahre Kommunikationschef und stellvertretender Direktor der Frankfurter Buchmesse sowie Korrespondent in London, organisierte Buchmessen und literarische Veranstaltungen. Seit 2008 arbeitet Ehling wieder verstärkt als Autor und viele seiner Bücher wurden in der Algarve geschrieben. „Wenn ich in Frankfurt sitze gibt es zu viel Ablenkung. Ich habe Termine oder muss einkaufen, irgendetwas kommt immer dazwischen“, erzählt Ehling gut gelaunt. „Durch Zufall kam ich auf dieses Hotel außerhalb von Albufeira. Sechs bis sieben Wochen im Jahr verbringe ich hier und schreibe. Ohne Ablenkung.“
Lissabon entdeckten Ehling und seine Ehefrau in den 1990er Jahren während eines Kurzurlaubs. „Damals war die Stadt nicht wie heute“, so Ehling. „Der Autor João Tordo, der in meinem Lissabon-Buch zu Wort kommt, bringt es auf den Punkt: Als junger Mann hätte er sich gewünscht, dass Lissabon so wäre wie heute. Inzwischen findet er die Stadt zu laut und zu stressig.“
Für Holger Ehling ist die portugiesische Hauptstadt nach Buenos Aires seine Lieblingsstadt. „Als ich 2015 in Betracht zog, erneut als Korrespondent zu arbeiten und an Buenos Aires dachte, meinte meine Frau, die sehr klug ist, dass es mit dem Pendeln etwas schwierig sein würde, also wählte ich Lissabon“, so Ehling lächelnd. Er verbrachte drei Monate in der Metropole, arbeitete damals an einem Buch über Großbritannien für die Pocket-Reihe der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), das im März 2019 erschien. Ein Länderporträt, das von Politik, Wirtschaft und Kultur Großbritanniens ebenso handelt wie vom Alltagsleben, der Sportbegeisterung, dem speziellen britischen Humor und natürlich dem Brexit.
Doch in dieser Zeit und dank eines Kneipenbesuchs kam es auch zu „Lissabon – Begegnungen in der Stadt des Lichts“ und zu „Portugal“, dass ebenfalls in der Pocket-Reihe von der BpB herausgegeben wird und in diesem Monat zur Leipziger Buchmesse erscheint. „In der ersten Nacht in Lissabon fand ich bei mir um die Ecke im Stadtviertel Lapa eine tolle Kneipe. Da ich oft in Brasilien war, nutzte ich mein Straßenbrasilianisch, und bat den Wirt kein Englisch mit mir zu sprechen. Er meinte, `kein Problem, não falo inglês!` Seitdem ist mein Portugiesisch in der Tat viel besser geworden“.
Über die Kneipe sind viele Kontakte für das Lissabon-Buch entstanden. „Lapa ist ein Viertel, das nicht von ganz schlecht bestellten Leuten bewohnt wird“, erklärt Ehling. „Und in dieser Kneipe trifft man ganz unterschiedliche Menschen. Den Müllmann, den Metzger, den Koch, Lehrer, Professor, Studenten, alles wild durcheinander und sehr interessante Leute. Als ich mit ihnen über mein Projekt sprach, meinten sie, rede mal mit dem und dem. So ist mein Buch im wesentlichen zustande gekommen. Es werden aber längst nicht alle erwähnt, mit denen ich gesprochen habe.“
In seinem Buch „Portugal“ befasst sich der Autor ebenfalls mit Geschichte, Kultur, Gastronomie, Gesellschaft, Alltag oder Sport. „Es sind die gleichen Elemente, aber eine andere Sortierung“, verrät Ehling, der großen Wert auf diese Aspekte legt. „Deswegen gibt es im Lissabon-Buch auch das Kapitel ‚Schatten im Licht‘, in dem ich über Massentourismus, Wohnungsnot, Rassismus oder Einkommensungleichheit schreibe. Man kann nicht immer nur das Schöne zeigen und beschreiben. Als Journalist sollte man auch die Schattenseiten beleuchten“. Er hat das ganzen Land bereist und war immer wieder positiv überrascht. In der Algarve besuchte er einige Städte sowie Staudämme und Windkraftanlagen und war über den Anteil der erneuerbaren Energien in Portugal im Vergleich zu anderen EU-Ländern erstaunt. „Auch weil der Großteil durch Wasserkraft entsteht. Was man bei einem wasserarmen Land nicht vermuten würde. Damals, vor etwa zwei Jahren, waren die Staudämme nach dem Winter nur zu 30 Prozent voll“, erinnert er sich. In Mértola stellte er irritiert fest, dass die Kirche, „die eigentlich überall als maurisches Überbleibsel präsentiert wird, erst im 16. Jh. gebaut wurde!“. Auf seinen Reisen ist ihm auch aufgefallen wie dramatisch unterschiedlich die Siedlungsstrukturen in Zentral- und -Nordportugal im Vergleich zum Alentejo sind. „Der Alentejo ist praktisch menschenleer und im Norden gibt es alle vier Kilometer ein Dorf. Deswegen finde ich Geschichte so wichtig. Wenn man verstehen will, wieso der Alentejo so dünn besiedelt ist, muss man die Siedlungsgeschichte kennen und die kommt von der Reconquista und der Verteilung der Länder an die Ritterorden und an religiöse Orden. So entstanden die Latifundien, die man im Norden nicht hat. Ich finde es sehr spannend zu sehen, wie Geschichte nach 900 Jahren immer noch auf das Alltagsleben wirkt“, erklärt er.
Beeindruckt ist Ehling auch von den unterschiedlichen Landschaften, die das kleine Land zu bieten hat und von den Menschen. „Selbst in Lissabon schob mir noch nie jemand den Einkaufswagen in die Hacken. Alle halten einen entsprechenden Abstand. Die Menschen sind herzlich und selbst in Bierkneipen ist der Ton gedämpft. Die Spanier hingegen scheinen sich unter 120 Dezibel nicht unterhalten zu können“, erzählt Ehling, der die Offenheit und Hilfsbereitschaft, die er in Portugal erlebt, auch mit seinen Portugiesischkenntnissen begründet. „Für Portugiesen ist es ungewohnt, dass ein Ausländer sich bemüht ihre Sprache zu lernen. Daher habe ich immer Interesse und Neugier erfahren.“
Das Portugal bezogene Bücher, seien es Reiseführer, Krimis oder Romane, in den letzten Jahren so beliebt unter deutschen Lesern sind, begründet er mit zwei Krisen. Einerseits habe die außergewöhnliche Reaktion auf die Wirtschaftskrise zu einem positiven Image von Portugal beigetragen. „Anders als in Griechenland kam es hier nicht zu Gewalttätigkeit. Man hat sich zusammengerissen und konnte die schlechten Zeiten überwinden. Das ist auch recht ordentlich gelungen. Dafür gebührt Portugal großen Respekt“, so Ehling. Die zweite Krise sei die im Nahen Osten und mit dem Terrorismus verbunden. „Portugal wurde zur Alternative für Ferienziele wie Tunesien oder die Türkei und wer einmal hier ist und nicht nur im Hotel bleibt, erkennt schnell, dass das Land viel zu bieten hat“. Zudem hätten Porto und Lissabon den Trend der Städtetrips schnell erkannt und sich gut vermarktet. „Die Verlage gucken sehr genau hin, wenn es um Regionalkrimis geht. Wohin fahren unsere Touristen? Womit können wir sie bedienen? Vor zehn Jahren wäre es nicht möglich gewesen, dass fünf deutsche Autoren gleichzeitig erfolgreich Portugal-Bücher veröffentlicht hätten“, weiß Ehling zu berichten.
In der portugiesischen Literaturszene hebt er Miguel Torga und João Tordo hervor. Letzterer wurde nun auch ins Deutsche übersetzt. Von José Saramago oder António Lobo Antunes ist Ehling kein großer Fan. Einen Skandal findet er, dass Lídia Jorge bislang nicht den Prémio Camões erhielt, den wichtigsten Literaturpreis des portugiesischen Sprachraums. „Sie hätte den Preis längst verdient. Aber unter den Preisträgern sind praktisch keine Frauen. Auf diesem Auge sind die Portugiesen blind“, bedauert der Autor.
Zum Abschluss verrät Holger Ehling, dass aktuell zwar kein Algarve-Buch geplant ist, dafür aber ein Buch über den Fußballverein Benfica. „Jede Ausrede um nach Lissabon zu fahren ist mir recht!“, verabschiedet sich der Benfica-Fan gut gelaunt.
Text & Foto: Anabela Gaspar in ESA 03/2020
Lissabon – Begegnungen in der Stadt des Lichts
von Holger Ehling
Corso Verlag
Gebunden, 192 Seiten
EAN/ISBN: 978-3-7374-0750-2
€ 24,90
Pocket: Portugal
von Holger Ehling
BpB, ca. 350 Seiten
ISBN: 978-3-8389-7195-7
ersch. März 2020