Zu Gast bei Lost & Co.
Die Dreharbeiten zu dem Pilotfilm der geplanten Reihe von Degeto/ARD um den Hamburger Kriminalkommissar Leander Lost, der im Rahmen eines Austauschprogramms bei der Polícia Judiciária in der Algarve landet, haben im September begonnen. ESA war vor Ort
Der erste Band der Algarve-Krimireihe „Lost in Fuseta“ von Gil Ribeiro, alias Holger Karsten Schmidt, dem bekannten deutschen Drehbuchautor, um den kuriosen Kommissar mit Asperger-Syndrom Leander Lost wird derzeit in der Algarve und in Lissabon als Zweiteiler (2 x 90 min.) verfilmt. Leander, die beiden Sub-Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves, Gracianas Schwester Soraia sowie weitere Figuren aus den beliebten Romanen erwachen somit zum Leben.
In der Vila Elias, dem Haus des verstorbenen Bruders der Rosado Schwestern, das in der Realität weder so heißt noch in Fuseta liegt, trafen wir ein bunt gemischtes Team und ein sprachliches Wirrwarr an. Die Rolle des Titelhelden übernimmt Jan Krauter, Eva Meckbach spielt die portugiesische Sub-Inspektorin Graciana Rosado, Daniel Christensen ihren Kollegen Carlos Esteves und Soraia Rosado wird von der portugiesischen Schauspielerin Filipa Areosa dargestellt.
Für Jan Krauter war dies sein erster Portugal-Aufenthalt. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich erwartet und bin sehr beeindruckt von der interessanten Mischung aus mediterranem Flair, Atlantikklima und afrikanischen Elementen. Die Dreharbeiten führen uns immer wieder zu Orten, an denen man ins Träumen gerät und ich hoffe, dass ich Zeit finde, die Algarve auf eigene Faust zu erkunden“, so Krauter, der seit 2016 in der ZDF-Krimireihe „Solo für Weiss“ die Rolle des Polizeiermittlers Simon Brandt verkörpert. Seine deutschen Kollegen kennen Portugal, aber die Besuche liegen fast zwei Jahrzehnte zurück und in der Ostalgarve waren sie nie. Eva schwärmt von der vorgelagerten Insel Armona und Daniel gefällt, dass „alles ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirkt“.
Die Schauspieler entdeckten nicht nur die Region gemeinsam, sondern auch die Krimireihe, denn keiner von ihnen hatte die Bücher vorher gelesen. Erst nachdem sie das Drehbuch gelesen hatten, verschlangen sie begeistert die Krimis. Jan Krauter erinnert sich, sofort in Leander Losts Bann gezogen worden zu sein. „Wenn eine Figur das erste Mal in einem Drehbuch erscheint, gibt es meistens einen kurzen beschreibenden Satz, der so lauten kann wie ‚ein hagerer gut aussehender Typ‘ oder ‚ein aufdringlicher Businessman‘. Bei Lost stand: ein schlaksiger Kerl mit starrenden Augen und fast keiner Mimik. Ich dachte mir sofort, die Rolle muss ich haben und als ich dann noch las, dass Leander Insekten aus dem Pool rettet, was ich tatsächlich auch mache, dachte ich mir, ich muss die Rolle bekommen, egal wie.“
Oben v.l.n.r:
Florian Baxmeyer (Regisseur),
Simone Höller (Produzentin),
Jan Krauter (Leander Lost),
Bianca Nawrath (Zara),
Filipa Aerosa (Soraia Rosado)
und Holger Karsten Schmidt
(Autor)
Eva war ebenfalls vom Drehbuch gefesselt und stellte fest, dass es in ihrer Familie große Fans der Krimireihe gibt. „Sie fielen aus allen Wolken, als ich ihnen eröffnete, dass ich Graciana spielen werde“, so Eva lächelnd.
Für Jan Krauter besteht die große Herausforderung darin, die besonderen Eigenarten und Fähigkeiten des Aspergers Lost authentisch darzustellen. Deshalb habe er recherchiert und sich auch auf seine Erfahrungen bei Praktika und Fortbildungen in Behinderteneinrichtungen gestützt. Vor allem Bildmaterial war ihm wichtig, da er die Körpersprache und die Mimik verstehen wollte.
Obgleich Jan von Leander begeistert ist, würde er dessen Eigenschaften, wie das fotografische Gedächtnis oder die Fähigkeit, anhand der Mimik zu erkennen, ob jemand lügt, nicht für sich wollen. „Diese Superkräfte haben ihren Preis. Ich glaube, dass das Gehirn über eine bestimmte Anzahl Punkte verfügt, die unterschiedlich verteilt werden. Wenn man ein fotografisches Gedächtnis, ein besonders gutes Erinnerungsvermögen oder extrem scharfe Sinne besitzt, fallen auf diese Eigenschaften sehr viele Punkte, die dann woanders fehlen. Da gehen dann beispielsweise die sozialen Qualitäten flöten, man kann keine Emotionen empfinden oder sie bei anderen erkennen. Das heißt, man hat eine Inselbegabung, kann aber nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen bzw. wird es einem stark erschwert“, begründet Jan. Auch darauf, dass Leander Lost nicht lügen kann, ist er nicht neidisch. „Ich glaube, dass ich ganz gut lügen kann. Ich mache es nicht gerne, aber manchmal muss es einfach sein, um andere nicht zu verletzen oder auch einfach, um Zeit zu sparen. Lügen ist ja auch ein bisschen mein Beruf, wobei ich immer versuche, herauszufinden, was ich mit der Figur gemeinsam habe, um dann von mir selbst auszugehen und somit beim Spielen in gewisser Weise doch die Wahrheit zu sagen“, führt er aus.
Eva Meckbach spielt nicht das erste Mal die Rolle einer Ermittlerin. Bei „Criminal Deutschland“, einer europäischen Anthologie-Serie von Netflix, spielt sie die Kriminalhauptkommissarin Nadine Keller. Genau wie Graciana hat auch sie ein starkes Durchsetzungsvermögen, ist aber bei weitem nicht so explosiv, meint Eva. „Graciana ist zwar sehr korrekt, aber lässt auch Mal fünf gerade sein. Nadine Keller würde das, glaube ich, nicht machen. Sie ist auch in der Dominanz etwas zurückhaltender als Graciana, die gerne die Chefin raushängen lässt“, erklärt sie gut gelaunt. Einen Bleifuß wie Graciana hat Eva nicht. „Ich bin keine Raserin, aber mir gefällt, dass Graciana so aufs Gaspedal drückt und dabei cool bleibt“, so die Schauspielerin.
Anders als die Kollegen spielte Daniel Christensen bislang noch nie die Hauptrolle eines Ermittlers. Die Rolle Carlos Esteves interpretiert er so: „Für mich hat er etwas unterdrückt Explosives und Kraftvolles. Er kommt lange nicht aus der Deckung, aber wenn er es tut, dann ist es wie eine Explosion und er kann gefährlich werden. Er ist lange passiv, aber er ist auch ein sehr physischer, kraftvoller Typ. Graciana ist das Gehirn, er ist die Intuition. Sie hat nicht nur im Auto das Steuer in der Hand, sondern auch in deren Beziehung. Sie steuert mit klarem Verstand und Carlos besitzt alles, was mit unmittelbarer Intuition zu tun hat“, so Daniel. Für ihn sind die beiden Subinspektoren moderne Cowboys. „Man wird nicht ins Bein geschossen, nimmt ein paar Schmerztabletten und ermittelt weiter. Jeder Polizist, der angeschossen wird, ist mindestens sechs Wochen nicht im Dienst. Und Graciana, die eine Eisenstange auf den Kopf bekommt oder fast verbrennt. Das sind Westernhelden.“
Für Filipa Areosa war es eine große Überraschung, für die Rolle als Soraia ausgewählt zu werden. Sie war kurz vorher auf einer Reise durch Deutschland, Österreich und der Schweiz, spricht aber kein Wort Deutsch. Daher ist sie auch die Einzige im Team, die die Krimis nicht gelesen hat, da sie bis dato weder ins Portugiesische noch ins Englische übersetzt wurden. Das Konstellationscasting mit Jan Krauter verlief via Zoom. Jan war sofort davon überzeugt, dass Filipa der Figur von Soraia „noch eine ganz andere Würze verleihen würde“.
Obwohl Jan nicht, wie Leander, in drei Wochen Portugiesisch lernte, verstehen sich die beiden Darsteller am Set blendend. „Wir sprechen die Szenen auf Englisch durch, aber beim Dreh spricht sie Portugiesisch und ich Deutsch. Man muss den Text des anderen auswendig wissen und innerlich quasi mitsprechen, damit das Timing stimmt und Reaktionen an den richtigen Stellen gesetzt werden“, so Krauter. Das sei sehr interessant, „weil es dich auch mehr zurück zur Körpersprache bringt“, meint Jan.
Zudem geht Filipa mit ihnen die Aussprache bestimmter Wörter wie senhor durch, was sehr hilfreich sei. Für Eva ist es auch das erste Mal, dass eine Kollegin eine andere Sprache spricht und später synchronisiert wird. „Ich hatte es mir seltsamer vorgestellt, aber es ging überraschend leicht. Man spielt dieselbe Situation, weiß, worum es in der Szene geht, und reagiert einfach aufeinander. Es fühlt sich sehr natürlich an“, so Eva.
Leider gab es bei Redaktionsschluss seitens des Senders noch keinen genauen Ausstrahlungstermin, aber ESA wird Lost auf den Fersen bleiben und wieder berichten.
Text: Anabela Gaspar in ESA 11/2021
Fotos: Thierry Bertini