Mit „Alles – bloß nicht vage“ bringt die Autorin Catrin George Ponciano eine der faszinierendsten, jedoch in Deutschland weitgehend unbekannten Dichterinnen Portugals ins Rampenlicht: Florbela Espanca
Text: Anabela Gaspar in ESA 02/25
Über sechs Jahre hinweg forschte und reiste Catrin auf den Spuren der Dichterin und setzte sich intensiv mit ihrem Leben und Werk auseinander. Das Ergebnis ist eine beeindruckende Kombination aus Biografie, literarischer Analyse und poetischer Erkundung. Mit diesem Ansatz beleuchtet die Autorin Florbela Espancas bewegtes Leben, ihre unkonventionelle Art und ihr tiefgründiges Schaffen.
Florbela Espancas Werk hat in Deutschland bisher nur wenig Beachtung gefunden. „Ein Grund dafür liegt in der Vernachlässigung der portugiesischen Literatur auf dem deutschen Buchmarkt. Hinzu kommt, dass Schriftstellerinnen – damals wie heute – oft erhebliche Hürden überwinden müssen, um veröffentlicht zu werden“, erklärt Catrin, die für dieses Projekt im Verlag Aviva den idealen Partner fand. „Aviva verlegt Bücher von Schriftstellerinnen, insbesondere aus den Zwanzigerjahren, sowie Romane, Lyrik und Porträts vergessener oder wiederzuentdeckender Autorinnen aus verschiedenen Epochen“, beschreibt sie die besondere Ausrichtung des Verlages.
In ihrem Essay nimmt Catrin die Leser mit auf eine literarische Reise, die in Vila Viçosa, Florbelas Geburtsort, beginnt und über Lissabon, Redondo und Porto zu den Orten führt, die das Leben der Dichterin prägten. „Ich begleite die Leser durch Florbelas Leben, durch all ihre Wohnorte, erzähle, was dort geschah und wie diese Erlebnisse ihr Schreiben beeinflusst haben“, erklärt Catrin. Sie selbst verbrachte im Rahmen einer künstlerischen Residenz einige Tage in Espancas Geburtshaus in Vila Viçosa und fand dort einen besonderen Zugang zu ihr: „Ich musste dort sein, um ihre Anwesenheit zu spüren. Ich sah sie als junges Mädchen, hin- und hergerissen zwischen zwei Müttern – der leiblichen, die sie nicht mehr sehen durfte – und der Ziehmutter. Als junge Frau, die in der Literatur Trost suchte und Dichterin werden wollte. Sie entdeckte Nietzsche für sich und entfernte sich dadurch vom typischen katholischen Erziehungsmodell. Ich spürte ihr immerwährendes Suchen, ihren Kampf mit gesellschaftlichen Konventionen – all das wurde für mich dort lebendig.“
Neben biografischen und literarischen Analysen enthält das Buch 24 von Espancas Sonetten. Diese Gedichte sind sowohl im portugiesischen Original als auch in deutscher Erstübersetzung abgedruckt und ergänzen die erzählerischen Passagen. „Sie vertiefen das, was ich beschreibe, durch Florbelas eigene poetische Stimme“, erläutert Catrin.
Gleichzeitig verknüpft sie Espancas Leben mit der literarischen Avantgarde Portugals und den historischen Umständen ihrer Zeit. „Es ist ein Buch mit Mehrwert geworden“, sagt Catrin lächelnd, „nicht nur die Biografie einer Dichterin, sondern auch ein Stück Portugal – mit all seiner Dramatik und Schönheit.“
Florbela Espanca war eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus war und großen Mut bewies. Ihre Sonette reflektieren ihr Leben in einer für die damalige Gesellschaft schockierend offenen Weise. „Sie hatte den Mut, ihre Gefühle in ihren Sonetten zu spiegeln. Das war für die damalige Zeit ein völliger Schock – sie hat sich nie verstellt“, erzählt Catrin.
Doch Espancas kompromisslose Offenheit und Emotionalität führten zu gesellschaftlicher Ausgrenzung und einem Leben voller Einsamkeit, das schließlich in ihrem tragischen Selbstmord endete. „Die Gesellschaft drängte sie ins Abseits, bezeichnete sie als sozial inkompatibel und männerfixiert – und das in einer Zeit, in der der Katholizismus in Portugal noch eine bedeutende Rolle spielte. Selbst nach ihrem Tod versuchten Literaten, ihr Werk abzuwerten, indem sie es als inszeniert abtaten“, beschreibt Catrin.
Für sie ist Espanca jedoch eine visionäre Künstlerin: „Was sie tat, praktizieren heute Nobelpreisträgerinnen – autobiografisches Schreiben. Sie war nicht die Einzige, aber die einzige Portugiesin, die den Mut hatte, in der Zeit von Monarchie, Republik und beginnender Diktatur selbstbestimmt als Frau zu leben und zu schreiben. Dafür verdient sie ihren Platz in der Weltliteratur.“
Mit „Alles – bloß nicht vage“ gibt Catrin George Ponciano einer Dichterin eine Stimme, deren Werk trotz seiner Brillanz oft übersehen wurde und die den Mut hatte, sich selbst treu zu bleiben. Das Buch ist eine Einladung, Florbela Espanca und ihre Poesie neu zu entdecken – in all ihrer schmerzhaften Ehrlichkeit und zeitlosen Schönheit.
Alles – bloß nicht vage!
Die portugiesische Dichterin Florbela Espanca
Von Catrin Ponciano
Hardcover mit Leseband
Gedichte
Portugiesisch – Deutsch
ISBN 978-3-949302-30-5
€ 22
Die Premiere-Lesung findet auf der Leipziger Buchmesse (27. – 30. März) statt, gefolgt von weiteren Veranstaltungen in Portugal und Deutschland, darunter eine Leserreise auf Florbelas Spuren.