Der Architekt Dr. Thomas Schriefers war Ende Februar zu Gast bei Hapimag, um gemeinsam mit Dr. Cordula Fink einen Vortrag im Rahmen der 100 Jahre Bauhaus zu halten. ESA-Chefredakteurin Anabela Gaspar nutzte die Gelegenheit, um mit dem Spezialisten für Bauhaus und Weltausstellungsbauten über portugiesische Architektur zu sprechen
Dr. Schriefers, Sie sind in einer Künstlerfamilie aufgewachsen, sind selbst als Künstler tätig aber auch als Lehrer, Kurator und Designer, um nur einige Ihrer Schaffensbereiche zu nennen. Studiert haben Sie jedoch Architektur. Wieso?
Bereits als Zehnjähriger stand für mich fest, dass ich „Plätzebauer“ werden wollte. Ich war oft mit meinen Eltern im Süden unterwegs, vor allem in Italien, und sah dort Plätze, die mich sehr beeindruckten. Schon damals interessierte mich nicht nur das einzelne Bauwerk, sondern der ganze Stadtraum. Heute mangelt es an Plätzen, an denen man sich niederlassen möchte. Hier an der Algarve ist noch vielerorts zu erleben, wie schön Plätze sein können. Dies war also ein Grund für meine Wahl. Der andere ist mit dem Bauhaus verbunden. Mein Vater (der Maler Werner Schriefers) war Schüler des Bauhaus-Lehrers Georg Muche. Sie waren befreundet und so besuchten wir den Lehrer oft am Bodensee. Dort erzählte er mir von der Bauhaus-Zeit und riet mir, nicht Kunst, sondern Architektur zu studieren, dann könne ich ja dennoch als Maler tätig sein. Am Bauhaus hatte er noch andere Möglichkeiten nutzen können. Denn er war als Maler berufen worden, übernahm dann im Rahmen des am Bauhaus üblichen Rollentausches die Webereiklasse und entwarf in Weimar das erste Versuchshaus des Bauhauses. Diese Freiheit besteht heute so nicht mehr. Insofern galt es, Architektur zu studieren.
Wie kam es dazu, dass Sie in so vielen Bereichen tätig sind?
Seit meinem Architekturstudium arbeite ich als Kurator, Autor, Maler und Zeichner. Vor etwa zehn Jahren entstand der Kontakt zu einem Unternehmer, der mir die Möglichkeit gab, mit seiner Sammlung historischer Stühle, der Löffler Collection, zu arbeiten. Schließlich beauftragte er mich mit der Planung des Neubaus seines Unternehmens und eines Museums. Das heißt, ich komme nun über das Kuratieren, die Malerei, das Schreiben, zurück zu dem, was ich studiert habe. Auch erhielt ich die Möglichkeit, einen Stuhl und eine Lampe zu entwerfen. Es ist ein breites Spektrum, das sich mit der Zeit entwickelte und daraus resultiert, dass ich neuen Aufgaben, die sich stellen, stets offen gegenüber stehe.
Sie sind auch Spezialist für Weltausstellungsbauten. Oft werden die Expo-Bauten kurz nach der Weltausstellung abgerissen. In Portugal war dies nicht der Fall. Ein gelungenes Projekt?
Schade, dass ich 1998 nicht nach Lissabon kommen konnte. Erst jetzt auf unserer Reise an die Algarve waren wir auf dem Expo-Gelände. Aus meiner Sicht ist es die erste -konsequent nachhaltig geplante Weltausstellung. Ich werde das Gelände in Vorträgen, die ich in Kürze halten werde, als positives Beispiel für nachhaltiges Planen im Expo-Kontext thematisieren. Denn in vielen anderen Städten ist es nicht so. Nehmen wir Hannover, wo heute noch einzelne Pavillons der EXPO 2000 stehen, leider aber ungenutzt verfallen. In Lissabon hat man hingegen ein altes Industriegebiet in einen lebendigen Stadtbezirk verwandelt: eine schöne Expo-Perspektive!
Zu den ikonischen Gebäuden des Expo-Geländes gehört der von dem Architekten Siza Vieira entworfene Portugal-Pavillon. Schätzen Sie seine Arbeit?
Das Gebäude beeindruckt durch seine filigran und leicht wirkende Dachplatte. Es ist fantastisch, dass es gelang, die gebogene Betonplatte zwischen zwei massive Bauvolumen wie ein Sonnensegel einzuspannen, sodass sie fast zu schweben scheint. Ein schöner Gegensatz. Wie ein Balanceakt. Auch zeigt das Werk Vieras Fähigkeit, virtuos moderne Bauformen mit portugiesischen -Traditionen zu verbinden, wenn er großflächig farbige Fliesen einsetzt, welche Farbe in die Architektur bringen. Siza Vieira hat in den 80er Jahren im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1987 (IBA), die nicht nur eine Architekturausstellung, sondern auch ein städteplanerisches Konzept des Berliner Senats war, um die Westberliner Innenstadt als Wohnstandort zurückzugewinnen, Bauten in Berlin entworfen. Gefallen Ihnen diese Gebäude, beispielsweise das „Bonjour Tristesse“ in Berlin-Kreuzberg?
Für Berlin war die IBA damals sehr wichtig, da man offensiv die Revitalisierung auch vernachlässigter Wohnquartiere anging. Von Stadtreparatur war die Rede und Erneuerung mit großer Freiheit. So finden sich heute die unterschiedlichsten IBA-Handschriften im Stadtbild: postmodern oder eher expressionistisch, wie beispielsweise Siza Vieiras geschwungene Eckbebauung. Das Gebäude ist ein wichtiger Baustein dieses experimentierfreudigen Aufbruchs in Berlin, zwei Jahre vor der Maueröffnung. Heute sind allerdings schon einzelne Bauten wieder verschwunden, wie eine Wohnbebauung des Architekten Oswald Mathias Ungers, die der urbanen Verdichtung weichen musste und erst kürzlich abgerissen wurde.
Es wäre ja schade, wenn alle historischen Gebäude abgerissen werden würden…
Der futuristische Architekt Antonio Sant‘ Elia stellte Anfang des 20. Jahrhunderts provokativ sogar die Forderung auf, jede Generation müsse ihre eigene Stadt erbauen. Was zwangsläufig dazu führen würde, nichts zu bewahren: unvorstellbar! Weltausstellungen entstehen aber im Ausnahmezustand. Da wird präzise eine Zeit abgebildet. Weltausstellungen sind internationale Städte, die tatsächlich zwar für den Abriss gebaut wurden, oft aber Bau-Ikonen hervorbrachten. Da sind wir nochmal beim Bauhaus: denn der berühmte Barcelona-Pavillon (1929) von Ludwig Mies van der Rohe (dritter Direktor des Bauhauses) wird längst nicht mehr als deutsches Ausstellungsgebäude wahrgenommen, sondern einfach nur als „Barcelona-Pavillon“. Das Gebäude wurde übrigens nach Beendigung der Expo auch abgerissen, später aber am ursprünglichen Ort rekonstruiert, weil es als so bedeutend angesehen wurde.
Apropos Mies van der Rohe. Unter der Shortlist der 40 Bauten, die für den gleichnamigen Architekturpreis dieses Jahr nominiert waren, war der Lissabonner Kreuzfahrtschiff-Terminal von Carrilho da Graça. Kennen Sie das Gebäude?
Ich habe es leider vor Ort noch nicht gesehen. Das holen wir nun auf der Rückreise nach. Aber auf mir bekannten Bildern wirkt das leuchtend weiße Bauwerk wie eine organisch geformte Skulptur, die sich zwischen dem Tejo und der Stadt niedergelassen hat. Wenn man das Gebäude im Dialog mit der komplexen Struktur der Stadt und der des Hafens betrachtet, erinnert es auch an ein Raumschiff, das bereit ist, abzuheben. Diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die vom Boden deutlich angehobenen Seiten des Terminals.
Welche Eindrücke hinterlässt die aus traditionellen Landhäusern und modernen Villen bunt gemischte Architektur der Algarve?
Manche moderne Villen sehen wie Yachten aus, die sich an Land begeben haben, andere zitieren bewusst alte Traditionen. Aber das ist das reale Leben: die Nachbarschaft unterschiedlicher Stile. Es ist auffällig, wie dicht zum Teil gebaut wurde. Das ist sicher kein ausschließlich portugiesisches Thema, sondern trifft auf viele attraktive Regionen der Welt zu. Wenn ich an besonders dichte Formen der Küstenbebauung denke, dann fällt mir gleich Belgien ein; und da haben Sie Glück, da hier, im Vergleich dazu, die sanfte Bebauung mit viel Grün dominiert. Insgesamt sind wir von dem, was wir gesehen haben, sehr beeindruckt. Tavira hat uns sehr gut gefallen. Die Bebauung ist dort relativ niedrig und es gibt wunderbare Plätze und gewachsene Stadträume, die sich an der Topografie der Landschaft orientieren. Die alte Stadt hat hier noch eine schöne Maßstäblichkeit. Silves hat uns auch sehr gefallen und generell auch die vielen Markthallen. Die traditionellen Häuser, die dem Klima geschuldet, sich introvertiert darstellen, zeigen eine enorme Vielfalt in ihrer Fassadengestaltung, nicht zuletzt auch durch den Einsatz der Fliesen, die großartig sind, und wesentlich zur attraktiven Farbigkeit und Individualität der Städte beitragen.
Reiseskizzen gehören ebenfalls zum Spektrum ihrer Tätigkeiten. Hat Sie die Algarve dazu veranlasst?
Meine Hand juckt! Doch wir haben in dieser kurzen Zeit so viel gesehen und unternommen, dass ich nicht zum Zeichnen kam. Aber die Algarve wird uns sicher künstlerisch beschäftigen und auf jeden Fall hat uns die Region dazu inspiriert, wiederzukommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Fotos: Sebastian Eichhorn, Thomas Schriefers, Anabela Gaspar in ESA 04/2019