Durch die Wikinger als Stockfisch bekannt geworden, avancierte der gesalzene und getrocknete Kabeljau als Klippfisch in Portugal im Laufe der Jahrhunderte zum Nationalgericht Bacalhau
Zum ersten Mal tauchte Kabeljau als Trockenfisch in der Geschichte der Wikinger als Exportprodukt auf. Die Wikinger tauften den Kabeljau Skrei – Wanderer. Ein Zugfisch, der sich jedes Jahr vor der norwegischen Westküste zum Laichen tummelt, bevor er erneut in der Arktik verschwindet. Das weiße Kabeljaufleisch war bei den Wikingern heiß begehrt. Es enthielt wesentlich mehr Fett als andere Fischsorten und schmeckte frisch oder getrocknet entsprechend kräftiger. Sie trockneten Skrei und andere Fischsorten auf Holzstöcke gespannt, so bürgerte sich der Name Stockfisch ein. In den kalten Regionen Skandinaviens reichte es völlig, Fisch zu trocknen, um ihn zu konservieren. Er blieb monatelang haltbar und steif wie ein Stück Holz. Als die Wikinger im Laufe des zehnten Jahrhunderts weiter gen Süden bis in die Mittelmeerregion vordrangen, lernten sie, Kabeljau mittels Salz zu konservieren und erst anschließend auf Klippen ausgebreitet zu trocknen. So entstand der Begriff Klippfisch. Gesalzen und getrocknet konnte der Skrei die lange Reise von Norwegen bis in die heißen Gefilde Portugals und Südspaniens überstehen und verkauft werden, ohne unterwegs aufgrund der steigenden Temperaturen zu verderben. Es dauerte nicht lange bis der Klippfisch in Portugal seinen historischen Triumphzug als Bacalhau (gesprochen ‚Bacaljau‘) antrat. Das nötige Salz für die Konservierung importierten die Wikinger und später die Norweger überwiegend aus Portugal, exportierten anschließend den Klippfisch hierhin zurück und tauschten ihn gegen Wein und andere portugiesische Produkte. Der Austausch blühte, der Handel gedieh.
Im Zuge der portugiesischen Entdeckungen
drangen portugiesische Seeleute bis in arktische Gewässer vor. Der Portugiese Gaspar Corte-Real erkundete um 1500 die Küste von Neufundland und erkannte in den dortigen Kabeljau-Fanggründen einen immensen wirtschaftlichen Nutzen für Portugal. König D. Manuel I gründete kurz darauf die königlich-portugiesische Bacalhau-Fangflotte und ließ dafür spezielle Segelschiffe, die Bacalhoeiros, bauen.
Die Besatzungsmitglieder wurden in großer Anzahl von der Algarveküste rekrutiert, speziell aus Fuzeta, galten doch algarvische Fischer als extrem belastungsfähig. Die Besatzung bestand aus dem Kapitän, seinem Steuermann, etwa einem Dutzend Fischer, die gleichzeitig als Matrosen fungierten, einem Koch und mehreren Schiffsjungen. Die Bacalhoeiros führten stets zwölf bis achtzehn schmale, vier Meter lange, etwa einhundert Kilogramm schwere, hölzerne Boote an Deck mit, Dóris genannt, in denen je ein Fischer im Eismeer zum Kabeljau-Fang ruderte. Seine Ausrüstung an Bord des Dóri bestand aus zwei Leinen mit Haken und Köder. Der Fischer fing den Bacalhau im Stehen, nur mit der Leine in der Hand. Das nannte man die „englische Methode“ und sie wurde genauso noch bis 1974 praktiziert. Innerhalb der Fischergilde genossen Bacalhau-Fischer höchsten Respekt. Aufgrund ihrer Tollkühnheit unter gefährlichsten Umständen im Eismeer Bacalhau zu fangen, wuchs der Mythos, sie seien homens de ferro em navios de madeira – Männer aus Eisen in hölzernen Barken.
An Bord der Bacalhoeiros wurde der Kabeljau geköpft, mit einem Schnitt am Bauch geöffnet, gesäubert, aufgeklappt und die Rückengräte entfernt. Danach wurden die Fische einzeln eingesalzen und in hohen Bottichen übereinandergestapelt. Das Eigengewicht drückte sie platt, bis der Bacalhau aussah wie ein Dreieck – sein bis heute typisches Aussehen.
Zum Trocknen wurde der Bacalhau auf eng aneinander gespannte Leinen zwischen Stelzen ausgebreitet, sogenannte mesas de secagem. Heutzutage finden modernere Methoden Anwendung, die den gesamten Prozess des Salzens und Trocknens beschleunigen. „Dadurch verliert der Bacalhau zu schnell zu viel Flüssigkeit“, beklagen portugiesische Köche und Hausfrauen. „Der Fisch geht in der Pfanne längst nicht mehr so auf, wie nach der traditionellen Methode des Trocknens.“
Seit mehr als siebenhundert Jahren spielt der norwegische Klippfisch in Portugal eine traditionelle, wirtschaftlich sowie kulinarisch bedeutsame Rolle. Er eroberte Marktanteile, bereicherte den Speiseplan als Grundnahrungsmittel und avancierte als kulinarische Ikone zum Nationalgericht. Ganz am Anfang gesellte sich Bacalhau hauptsächlich als Sattmacher zum Brotverzehr und lieferte dem Volk ausreichend hochwertige Proteine sowie reichlich Kalorien für körperlich schwere Arbeit.
Kirchenoberhäupter deklarierten Bacalhau ausdrücklich als taugliches Lebensmittel als Ersatz für Fleisch, dessen Genuss vor allem bei Männern zu unerwünschten unkeuschen Gedanken führe und sie in Versuchung bringen könnte zu sündigen. Bacalhau wäre somit das geeignete Grundnahrungsmittel überhaupt. Diese einst allgegenwärtigen religiösen Einflüsse führten dazu, dass Bacalhau in Portugal über viele Jahrhunderte hinweg beinahe täglich auf dem Esstisch des Volkes stand und ihm den Spitznamen ‚treuer Freund‘, o fiel amigo, bescherte.
Seine beständigen Begleiter in der Küche heißen Olivenöl, Knoblauch und Zwiebel. Eine kulinarische Dreifaltigkeit, die sich in jedem Bacalhau-Rezept wiederholt und als Aromenfusion aus der Kindheit
jedem Portugiesen lebenslang in Erinnerung bleibt. Viele Portugiesen sind ausgewandert und haben ihr Nationalgericht und das Wissen um seine traditionelle Zubereitung mitgenommen und auf allen fünf Kontinen-ten verbreitet. Bekannt geworden als Arme-Leute-Fisch, erklomm Bacalhau in den vergangenen Jahren den Olymp portugiesischer Spitzenköche. Originalrezepte sowie innovative Kreationen füllen reihenweise Kochbücher. Dennoch hütet jede portugiesische Hausfrau ihr ganz persönliches Rezept als Familienschatz. An Heiligabend essen Portugiesen weltweit traditionell Bacalhau und bleiben somit ihrer jahrhundertelang bestehenden Tradition treu.
Der berühmte portugiesische Romancier Eça de Queiroz schrieb 1884 in einem Brief an einen Freund: „Als Romancier fühle ich mich als Franzose. Im -Herzen bleibe ich Portugiese, stets durchströmt von lyrischer Tristesse, genährt von Fado, Saudade und Bacalhau“.
Text: Catrin George
In ESA 12/15