Alcoutim ist zwar eine kleine Stadt, die stets vor sich hin zu schlummern scheint, aber dennoch einiges zu bieten hat. Zu den Sehenswürdigkeiten gehören maurische Bauwerke und zu den Erlebnissen die Überquerung der Grenze per Seilbahn
Als im Jahr 1980 der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago bei seiner Reise durch Portugal Alcoutim besucht, ist er, wie jeder Tourist auch heute noch, vom Bild der Stadt am Guadiana-Fluss beeindruckt. In seinem Buch „Die portugiesische Reise“ beschreibt Saramago Alcoutim und die gegenüberliegende spanische Ortschaft Sanlúcar de Guadiana als Zwillinge, die sich im Wasser widerspiegeln. Doch die beiden Orte sind sehr unterschiedlich. Dies ist auch die Erfahrung von David Jarman, der dort seit November 2013 die weltweit einzige grenz-überschreitende Seilbahn betreibt, die zudem, dank der Zeitverschiebung zwischen Portugal und Spanien, eine Zeitreise ermöglicht. Man startet zum Beispiel um 10 Uhr in Spanien und kommt um 9:01 Uhr in Portugal an.
Der Engländer besuchte Sanlúcar 2003. Die Landschaft und die Gegebenheiten der beiden Schwesterorte gefielen ihm so sehr, dass er auf Anhieb beschloss ein Ferienhaus zu erwerben. Vier Jahre später ließ er sich dort nieder. Zog sich jedoch nicht zurück, sondern rief das ins Leben, was seitdem bereits 10.000 Abenteuerlustige in das spanische Dorf zog. „Sanlúcar liegt im Dornröschenschlaf“, erzählt David“. „Der Ort liegt etwas abgelegen, hat wenig zu bieten und die ältere Bevölkerung steht Touristen weiterhin nicht offen gegenüber.“ All dies sei mit der Geschichte der Ortschaft zu erklären. „Früher gab es keine Verbindung nach Sanlúcar, der einzige Kontakt war zu Alcoutim und die Bewohner beider Orte waren eng miteinander verbunden. Doch wegen Salazars und Francos Diktaturen und während des spanischen Bürgerkrieges wurden die Grenzen gesperrt und das franquistische Dorf blieb komplett abgeschottet von der Welt.“ Als er dort angekommen sei, ähnelte Sanlúcar „einem dieser verlassenen Dörfer in Cowboy-Filmen“. Schmunzelnd fügt er hinzu, „sogar das typische Gestrüpp fegte durch die Gassen. Und am anderen Flussufer lag die Algarve, die als Synonym für Party stand“. Alcoutim sei natürlich nicht mit der Tourismushochburg Albufeira zu vergleichen, dennoch würde die Ortschaft viel lebendiger sein und viel mehr zu bieten haben als Sanlúcar.
Die Genehmigung der Seilbahn war keine einfache Aufgabe. Behörden von zwei Ländern und selbst von der EU mussten zustimmen, hinzu kam, dass das Gebiet auf der portugiesischen Seite zum Teil unter Naturschutz steht. In Spanien seien zwar mehr Genehmigungen nötig gewesen, in Portugal hätte aber alles länger gedauert, fasst David zusammen. Vier Jahre Behördengänge, die heute jedem Besucher etwa eine Minute Abenteuer gewähren. Aber es sind 60 unvergessliche Sekunden, die man in luftiger Höhe erlebt.
In Alcoutim nimmt man die Fähre von Fun River; am spanischen Ufer liegt das Büro von Limite Zero direkt gegenüber dem Kai. Von dort wird man mit der entsprechenden Ausrüstung auf die Startplattform, die etwa 100 m über dem Fluss liegt, transportiert. Während der 5-minütigen Fahrt dorthin bekommt man einen kleinen Einblick von Sanlúcar und der Festung, die oberhalb des Dorfes thront. Von der Plattform ist die Aussicht auf beide Ortschaften, den Fluss und die umliegenden Hügel atemberaubend – vor allem, wenn man zum Ende der Seilbahn am anderen Ufer schaut und sich darüber bewusst wird, dass man kurz davor ist 720 m in der Luft, an einem Kabel hängend, zurückzulegen. Und dann ist es soweit! Man fliegt mit zirka 55 bis 80 km/h – abhängend vom eigenen Körpergewicht – buchstäblich durch die Zeit. Da ich im Boxsport als Fliegengewicht gelten würde, sause ich etwas langsamer durch die Luft und habe somit die Möglichkeit die Landschaft zu genießen. Kurz darauf werde ich von einem sympathischen Spanier in Portugal empfangen. Mein erster Gedanke ist, dass ich diese Erfahrung unbedingt wiederholen muss.
Am heutigen Tag steht jedoch noch eine Zeitreise in Alcoutim an. Keine, die mich eine Stunde zurückbringen wird, sondern Jahrtausende. Der knapp 5 km lange Rundweg PR3 Encantos de Alcoutim, bedeutet „Bezauberndes Alcoutim“ und führt zu allen lokalen Sehenswürdigkeiten.
Start ist eigentlich am Hauptplatz, aber man kann gleich nach dem grenzüberschreitenden Flug von der Ankunftsplattform bis zur Straße laufen und dieser nach rechts bis zum Hotel von Alcoutim folgen. Dort angekommen, geht man am Parkplatz links von der Mauer, die das Hotel von der Herberge Pousada de Alcoutim trennt, eine kleine Treppe hinauf, die zu einem schmalen Trampelpfad führt, der uns zur oberhalb liegenden Straße bringt. Dieser folgen wir Richtung Norden, bis sie zu einem breiten Schotterweg wird, der den Hang hoch zur Ruine der alten Burganlage von Alcoutim führt. An der Gabelung, an der sich die Routen PR3 und GR 13 Via Algarviana kreuzen, folgen wir dem Hinweisschild Castelo Velho. Zirka 350 m weiter steht am Wegesrand ein zweites Hinweisschild. Wir folgen dem Trampelpfad dahinter und gehen am Zaun entlang bis zum Tor, das lediglich mit einem provisorischen Riegel verschlossen ist. Der Aufstieg ist anstrengend, lohnt sich aber allemal.
Die maurische Festung auf dem Santa Bárbara-Hügel wurde zwischen dem 8. und dem 9. Jh. erbaut und ist eine der wichtigsten islamischen Militärstrukturen in der Algarve. Historiker finden die gewählte Lage etwas merkwürdig, dennoch diente sie zweifelsohne der Kontrolle des Flussverkehrs und somit des Handels. Fakt ist, dass man vom Hügel aus den Fluss weit Richtung Süden und Norden beobachten kann. Die Anlage soll einer reichen maurischen Familie gehört haben, die den lokalen Bergbau kontrollierte. Archäologische Funde, die in der „neuen“ Burganlage ausgestellt sind, darunter bemalte und verglaste Keramikstücke oder Brettspiele und Trommeln, beweisen, dass es sich um eine wohlhabende Familie handelte, die eine Vorliebe für kulturelle Aktivitäten hatte. Die Anlage wurde im Laufe der Jahre ausgebaut und soll auch eine Moschee beherbergt haben, dessen mihrab, eine Nische in der Moschee, welche die Gebetsrichtung anzeigt, noch zu erkennen ist. Auch von dieser Stelle hat man einen traumhaft schönen Panoramablick.
Zurück zur Straße folgen wir dieser bis zur Kreuzung mit der M507 und biegen links Richtung Alcoutim ab. Wenige Meter nachdem wir das Centro de Saúde passieren, führt eine Straße rechts ab zum berühmten und beliebten Flussstrand. Die Praia Fluvial do Pego Fundo liegt an der Ribeira de Cadavais, einem Flussarm des Guadiana. Mutter Natur war hier großzügig am Werk, das Rathaus hat den Strand nur etwas herausputzen beziehungsweise mit Sand füllen müssen. Das Wasser kommt vom Stausee von Alcoutim und wird täglich erneuert. Bei der Planung der Anlage hat die Stadtverwaltung eigentlich an alles gedacht. Von schattigen Parkplätzen über Grillplätze, Tische und Bänke, Duschen, WCs, Café, Volleyball-Platz bis zur Erste-Hilfe-Station. Auffällig ist auch, dass die Anlage sehr gepflegt ist und dass trotz stetig steigender Bekanntheit der Pego Fundo ein idyllisches Plätzchen geblieben ist. Mitte September, als wir die Wanderung unternahmen, luden die Temperaturen noch zu einem erfrischenden Sprung ins Wasser ein. Danach ließen wir uns das Tagesgericht schmecken. Wer traditionelle Hausmannskost bevorzugt, sollte allerdings eines der Restaurants im Ortskern aufsuchen.
Um dorthin zu gelangen wählen wir den Weg über den Fluss, um somit die blau-weißen Kachelbilder an der Einfahrt von Alcoutim über die EN 122-1 zu betrachten. Die 31 Bilder von Carlos Luz erzählen die Geschichte der Stadt und des Bezirkes und vom Leben der Bevölkerung. Ein Bild zeigt die Übergabe der Stadtrechte durch König D. Dinis im Jahr 1304, ein anderes das Unterschreiben des Friedensabkommens zwischen dem portugiesischen König D. Fernando und dem spanischen D. Henrique II, andere zeigen alte Berufe oder Szenen aus dem Alltag.
Wir folgen der Straße bis diese links über die Ribei-ra dos Cadavais und rechts zum Ortskern führt. An der Fassade der Igreja da Misericórdia gibt eine Tafel an, bis wohin das Hochwasser am 7. Dezember 1876 anstieg. Die Naturkatastrophe ging in die Annalen als Cheia Grande do Guadiana ein. Wir folgen den schmalen Gassen, zwischen weiß getünchten Häusern mit Blumenvasen auf den Fensterbänken, bis zur Burganlage, die nach der Reconquista Anfang des 13. Jh. durch die Streitkräfte von D. Sancho II, als Verteidigungsanlage errichtet wurde. Lange diente die Burg zur Kontrolle des Flussverkehrs und zur Verteidigung gegen Kastilien. Dass die Burg heute über einen gepflegten Garten, der zum Verweilen einlädt, und über ein archäologisches Museum verfügt, ist den Anfang der 1990er Jahre von der Stadtverwaltung in Angriff genommenen Sanierungsarbeiten zu verdanken. Die damaligen Ausgrabungen führten dazu, dass einige interessante Fundstücke ans Tageslicht befördert wurden, die nun im Museum ausgestellt sind. In der ehemaligen Pulverkammer ist Portugals größte Sammlung von islamischen Spielbrettern zu sehen. Die Fundstücke stammen aus den Ausgrabungen im Castelo Velho. Im Auditorium des Museums läuft ständig ein 20-minütiger Film über Alcoutim, der auch über die Gastronomie und die örtlichen Festlichkeiten berichtet. Zu den Größten zählen die Feira dos Doces d’ Avó zu Ostern, das Festival do Contrabando im März, die Kunsthandwerksmesse im Juni und das Jahresfest am zweiten Septemberwochenende.
Bei einem Spaziergang entlang der Burgmauer blickt man über die Dächer von Alcoutim und hat einen wunderschönen Ausblick auf Sanlúcar. Obwohl Alcoutim klein ist, gibt es vier Gotteshäuser. Die Hauptkirche São Salvador und die Kapelle Santo António, beide am Fluss gelegen, die Misericórdia–Kirche an der alten Stadteinfahrt und die Kapelle N. Sra. da Conceição an der neuen Stadteinfahrt. Weitere historische Bauwerke sind das ehemalige Zollamt direkt am Fluss, das heute die Finanzabteilung beherbergt, und die Casa dos Condes, die ehemalige Residenz des Grafen von Alcoutim, in der sich heute die städtische Bibliothek und Galerie befinden. Gegenüber liegt das Tourismusbüro und daneben ein Laden mit regionalen Produkten.
Dort entdeckt man auch die Skulptur eines Fischers. Sie ist eine von dreien der Künstlerin Teresa Paulino, die von der Geschichte der Stadt zeugen: Der Contrabandista am Kai ist eine Hommage an die alcoutejanos, die sich durch den Schmuggel von Gütern nach und von Spanien etwas nebenbei verdienten. Vor allem während der Salazar-Diktatur wurden rare Lebensmittel wie Kaffee und Zucker aus Spanien ins Land gebracht. Dies führte dazu, dass das gesamte Flussufer streng von der Guarda Fiscal überwacht wurde. Als Hommage an diese Männer blickt die Skulptur Guarda Fiscal auf der Terrasse des beliebten Cafés O Quiosque über den Fluss auf das spanische Sanlúcar. Der Pescador ist die Hommage an die Fischer, denn entlang des Guadiana lebten viele Familien vom Fischfang.
Davon und von der Bedeutung des Flusses als Transportweg für die im Hinterland erwirtschafteten Produkte an die Küste, erzählt ebenfalls das Museu do Rio im nur 8 km südöstlich entfernten Ort Guerreiros do Rio. Dort sind auch Miniaturnachahmungen der Boote, welche die in den Minen weiter nördlich gewonnenen Bodenschätze bis nach Vila Real de Santo António an der Küste transportierten, sowie der kleinen traditionellen Fischerboote und der Boote der Schmuggler. Ebenfalls einen Besuch wert ist die römische Villa in Montinho das Laranjeiras, kurz vor Guerreiros do Rio.
Wir laufen im Schatten der Bäume einige Meter Richtung Norden am Fluss entlang, bevor wir es uns zum Tagesabschluss auf der Terrasse unterhalb der Hauptkirche gemütlich machen und beobachten das doch recht bunte Treiben in Alcoutim.
Limite Zero
Reservierung erforderlich
E-Mail: info@limitezero.com
Tel.: (+34) 670 313 933
Mehr Info, u.a. zu Alters- und Gewichtsgrenzen
www.limitezero.com (auf Englisch abrufbar)
Tipp:
Der Weg bis zum Castelo Velho ist nicht sehr interessant und kann eigentlich gut mit dem Auto zurückgelegt werden.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 10/2018