Bis vor etwa einem Jahr war vom Torre da Lapa nicht viel zu sehen. Der Steinhaufen wurde der Funktion und Bedeutung, die dieses Bauwerk einst hatte, keineswegs gerecht. Doch nachdem das Rathaus von Lagoa den Wachturm instand setzte, weist sogar eine ausgeschilderte Route den Weg bis zu diesem architektonischen Erbe
Im Jahr 2003, als ich bei ESA einstieg, wechselte ich meinen Wohnsitz nach Lagoa und unternahm viele Ausflüge, um meine neue „Heimat“ zu entdecken. Ich kam aus der Ostalgarve, mit ihren kilometerlangen feinsandigen Stränden, und war dementsprechend beeindruckt von der wildzerklüfteten Felsenküste. Bis heute geht es mir so. Manchmal würde ich am liebsten sämtliche Seiten mit Fotos füllen und diese für sich sprechen lassen, denn nicht immer werden Beschreibungen der Landschaft nicht gerecht. Die Gefühle, die ich bei einer solchen Küstenwanderung empfinde, sind oft unbeschreiblich. Vor allem empfinde ich Stolz. Stolz algarvia zu sein und in dieser atemberaubenden Region zu leben. Wenn sich der weite Atlantik vor meinen Augen bis zum Horizont öffnet, die ockergelben Felsen in der Sonne schimmern, das türkisblaue Wasser den Strand umspült, das satte Grün der Sträucher sich unter dem strahlend blauen Himmel ausbreitet und eine leichte Brise mein Gesicht streichelt, dann weiß ich, dass ich nirgendwo sonst leben möchte.
Die seit geraumer Zeit ausgeschilderte Route Caminho dos Promontórios ist der perfekte Anlass, den Küstenabschnitt zwischen dem Leuchtturm von Ferragudo und Vale da Lapa bei Lagoa neu zu erkunden. Die Route endet eigentlich am Praia do Paraíso in Carvoeiro, wo wir vor genau vier Jahren schon einmal gewandert sind (s. ESA 02/16).
Start ist an der Ponta do Altar, eine Spitze, die 260 Meter ins Meer ragt und ihren Namen einer prähistorischen Gedenkstätte verdankt, die einst an dieser Stelle oberhalb der Klippen thronte und bei einem Felsabbruch zerstört wurde. Seit 1893 steht hier einer der sechs Leuchtturmanlagen der Algarve. Das Gebäude ist klein und der Turm nur zehn Meter hoch, doch sein Lichtkegel ist 16 Seemeilen (29,6 km) weit sichtbar. Direkt neben dem Leuchtturm steht seit 2008 ein Radarturm, der Teil des regionalen Seeverkehrsleitdienstes VTS ist. Damit wird der gesamte Schiffsverkehr bis zu 50 Seemeilen (etwa 92,5 km) vor der Algarve-Küste registriert.
Der Ausblick von der Ponta do Altar schenkt freie Sicht in alle Himmelsrichtungen. Links vom Leuchtturm liegt der Praia do Pintadinho, ein für seine ruhigen Gewässer unter Familien mit Kleinkindern beliebter Strand. Hinter der Mole schlängelt sich der Arade-Fluss ins Landesinnere. In der Ferne erhebt sich die Serra de Monchique und hinter dem Flussufer ragen die Hochhäuser von Praia da Rocha empor. Der Küstenverlauf ist noch weit bis in den Westen zu erkennen. Nachdem ich diesen Ausblick lange genieße – der zwar einige Störfaktoren mit sich bringt, aber irgendwie doch repräsentativ für die Algarve ist – wende ich mich Richtung Osten und starte an diesem sonnigen Wintertag Mitte Januar die Wanderung auf dem Caminho dos Promontórios.
Bekannt ist die etwa 17 km lange Küste von Lagoa dafür, dass sie stark erodiert ist. Hier und da meißelte das Wasser im Laufe der Zeit zahlreiche Dolinen, Grotten, Höhlen, Bögen und unterirdische Galerien in den Kalkstein. Formationen, die diese Landschaft noch magischer erscheinen lassen. Nur wenige Meter vom Leuchtturm entfernt sind auch gleich zwei Dolinen zu sehen. Die Erste, mit Blick auf Praia da Rocha, diente dem verstorbenen Galeristen und Autor Rolf Osang in seinem Algarve-Roman „Süßer Mord“ als Tatort. Aus der Tiefe hört man, wie der Atlantik gegen die Felsen schlägt und ab und zu fliegt eine Felstaube daraus hervor. Rolf Osangs Romanfigur Teresa kam hier ums Leben, nachdem ihr Liebhaber sie hineinstieß.
Auch die Vegetation der Ponta do Altar ist maßgebend für Lagoas gesamten Küstenabschnitt. Neben Kermeseichen und Wacholder wachsen hier Mastixsträucher, Wilde Olivenbäume, Zwergpalmen und Halophyten wie die Strauch-Melde. Das Sediment-gestein, das zu einem schnellen Versickern des Regenwassers führt, und der anhaltende Seewind verhindern das Wachstum der Vegetation, sodass hier Buschland vorherrscht. Es wimmelt von Singvögeln, die beim Nähern schnell davonfliegen. Die einzigen, die ich noch schnell erhasche, sind Grünfinken. Wander- und Turmfalken sollen hier ebenfalls unterwegs sein und natürlich ist dies ein idealer Ort, um Wasservögel zu beobachten. Die steilen und schroffen Klippen sind Rast- und Brutplatz für Felsentauben, Mittelmeermöwen, Kormorane, Alpensegler oder Basstölpel. Vor allem auf alleinstehenden Felsen im Wasser, wie dem Leixão das Gaivotas vor dem Strand Caneiros, tummeln sich die Wasservögel, aber auch an nur vom Meer aus zugänglichen Stränden. All dies ist auf der Ponta do Altar zu beobachten, noch bevor man den Anstieg zum Praia dos Caneiros erreicht.
Vor etwa zehn Jahren gab es auf der Ostseite des Strandes mehrere kleine, stets mit frischem Meerwasser gefüllte Steinbecken, in denen meine Tochter gerne planschte und winzige Meeresbewohner beobachtete. In einem stürmischen Winter, ich denke es war 2012, kam es zu einem großen Felsabbruch, der diesen Teil des Strandes unzugänglich machte. Dieser Felsabbruch ist auch der Grund, weshalb die Wanderroute am östlichen Hang des Praia dos Caneiros über einen schmalen Trampelpfad etwas weiter ins Landesinnere führt. Doch hier, inmitten der sattgrünen mediterranen Macchia, liegt ein herrlicher Duft in der Luft und die goldenen Felsen des Strandes und das türkisblaue Wasser kommen noch stärker zum Ausdruck.
Obwohl ich auf der Suche nach perfekten Fotos immer wieder dazu tendiere von der ausgeschilderten Route abzuweichen – wie hier – merke ich, dass es sich eigentlich nicht lohnt. Denn die Route führt über den sichersten Weg und bringt uns am Ende auch immer zu den schönsten Aussichtspunkten. Oberhalb der Klippen angekommen blickt man über den Strand und der Ponta do Altar bis zum Praia da Rocha und der Ponta João d´Arens. Dann erreiche ich den nur vom Meer aus zugänglichen Praia da Afurada. Etwa
50 Möwen liegen dort im Sand und genießen die Sonne. Allzu gerne würde ich mich zu ihnen gesellen. Übrigens wird eines der prunkvollen Luxusanwesen, die hier inmitten der Macchia hervorstechen, ebenfalls in Rolf Osangs Roman beschrieben, nämlich als Teresas Villa.
In der Ferne ist schon der Torre da Lapa und somit mein Ziel zu sehen. Solche Wachtürme wurden bereits in der Antike entlang der gesamten portugiesischen Küste auf hohen Klippen gebaut. Sie dienten nicht als Festungen, sondern als Wachposten und waren sowohl tagsüber als auch nachts besetzt, um nach Piraten und Korsaren Ausschau zu halten. Diese griffen die Algarve vor allem im Sommer zur Feigen- und Mandelsaison an, die damals die wichtigsten Produkte der Region waren, plünderten die Ortschaften und nahmen Gefangene. Zudem griffen sie auch die vor der Küste aufgestellten almadravas (Thunfischfangeinrichtung) an.
Der Torre da Lapa stammt laut Infotafel aus dem 17. Jhr. Man geht davon aus, dass sich früher in etwa vier Meter Höhe eine Terrasse befand, von der aus das Meer und die Flussmündung des Arade beobachtet werden konnten. Bei nähernder Gefahr machten die Wächter Rauchzeichen oder Feuer, um die Wehrkräfte und die Bevölkerung zu alarmieren. Heute wird die Küste mit dem modernen VTS-System auf der Ponta do Altar überwacht. Doch wenn man hier hoch oben auf den Klippen thront und um sich blickt, empfindet man nur Ruhe und es fällt schwer, sich Piratenangriffe vorzustellen.
Erstaunt stelle ich fest, dass überall zierliche weiße Weihnachtsnarzissen blühen. Nur hier, um den Turm. Ansonsten habe ich diese Blumen auf der Route nicht gesehen. Dies scheint ein besonderer Ort zu sein… Obwohl die Wanderung am Turm enden sollte, beschließe ich dem Pfad noch etwas weiter zu folgen und werde dafür belohnt. Um eine Schlucht zu umgehen weist die Wegmarkierung einige Meter weiter ins Landesinnere. Rechts sehe ich eine sehr schmale, weit ins Meer ragende Landzunge. Der Zuweg sieht gefährlich aus, doch ich entdecke einen verrosteten Wegweiser, laut dem sich dort ein Rastplatz befindet. Also folge ich dem Pfad und erreiche ein großes Plateau, das einen wunderschönen Ausblick bietet und den perfekte Abschluss für die Wanderung bildet.
Von Ponta do Altar bis Vale da Lapa
Route: etwa 5 km, 2,5 Stunden
Wegen der steilen An- und Abstiege am Praia dos Caneiros nicht für Menschen mit Gehbehinderung geeignet. Festes Schuhwerk!
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 02/2020