Einst Hauptstadt der Korkindustrie, liegt die Hinterlandgemeinde São Brás de Alportel heute teilweise im Dornröschenschlaf. Dennoch gibt es einiges zu sehen und zu erfahren
Geplant war ein Ausflug zu den Überresten der alten römischen Straße Calçadinha de São Brás de Alportel, doch als ich durch die Altstadt schlenderte, entdeckte ich einiges mehr.
Der Start meines Rundgangs ist am ehemaligen Schlachthaus, in dem seit 2007 das Interpretationszentrum der Calçadinha untergebracht ist. Dort will ich mir eine Karte und weiteres Informationsmaterial besorgen, doch das Zentrum ist geschlossen. Ein Anwohner erklärt mir, dass dies oft der Fall ist. Kurz darauf erfahre ich wieso. Angelina Perreira, die zuständige Archäologin, kommt gerade aus einer Besprechung im Rathaus. „Da ich die einzige Angestellte bin, muss ich das Zentrum schließen, wenn ich anderweitig verpflichtet bin.“ Sie bedauert auch, dass die Gemeinde wenig im Bereich Archäologie investiert. Dies betrifft nicht nur die Anstellung wenigstens eines weiteren Mitarbeiters für das Zentrum, sondern auch Ausgrabungsarbeiten und Instandhaltung von archäologischen Fundstätten. Selbst die Calçadinha, die ein Wahrzeichen der Gemeinde ist, würde vom Rathaus weitgehend vernachlässigt werden und sei in der Vergangenheit, lange vor der aktuellen Verwaltung, sogar teilweise zerstört worden, um Wasserleitungen zu legen. Ich wundere mich daher nicht, als sie mir keine Karte mitgeben kann, da sie derzeit über keine verfügt. Obwohl das Zentrum laut Webseite des Rathauses einige archäologische Fundstücke aus den islamischen und römischen Epochen zur Schau stellt, über Ausstellungsräume und Informationsmaterial verfügt und Ausflüge zur Calçadinha organisiert, muss man nicht enttäuscht sein, falls die Tür verschlossen ist. Statt einem Stadtplan folge ich der Wegbeschreibung von Angelina und biege gleich nach dem Zentrum rechts und bei der Gabelung, unterhalb der Kirche, links ab. Der Weg führt zwischen alten Steinmauern und Gemüsegärten und unter Eichen, Johannisbrot- und Olivenbäumen entlang. Zwar ist hier keine Pflasterung zu sehen, dennoch ist dies genau die Trasse der alten Via Romana, die von Ossónoba (das heutige Faro) zu den römischen Villae in Milreu und Vale do Joio bei São Brás und weiter Richtung Norden führte. Etwa 200 Meter weiter erreiche ich den sogenannten Abschnitt A der freigelegten Calçadinha. Das Pflaster mit geometrischem Motiv, das hier auf 400 Metern zu sehen ist, war jedoch nicht das Werk der Römer, sondern stammt aus dem 19. Jh. und wurde auf Geheiß des Bischofs D. Francisco Gomes do Avelar angelegt, um die römische Straße zu verbessern. Beeindruckend, finde ich. Vor allem wenn man bedenkt, wie oft die Schnellstraße A22 seit ihrer Einweihung vor knapp 20 Jahren schon neu asphaltiert werden musste…
Circa 400 Meter weiter Richtung Süden, den Wegweisern unter der Umgehungsstraße von São Brás und einer Schotterstraße folgend, an drei Privathäusern vorbei, erreiche ich den 1.000 Meter langen Abschnitt B der Calçadinha, der im wesentlichen römischen Ursprungs ist und aus großen, platten Steinen besteht. Ersparen Sie sich den Weg. Ich war zutiefst enttäuscht. Gleich zu Beginn ist die Trasse mit Müll übersät. Überall liegen Plastik- und Glasflaschen sowie Dosen herum. Kein schöner Anblick und erst recht nicht wenn man eine vom Rathaus beworbene „Sehenswürdigkeit“ erwartet.
Die Altstadt macht hingegen einen sehr sauberen Eindruck. Hier reihen sich kleine traditionelle, weiß getünchte Häuser, mit bunten Blumentöpfe auf den Fensterbänken, an große schöne Stadthäuser, die mit Eckpfeilern und schmiedeeisernen Balkonen geschmückt und deren Fassaden mit kunstvollen azulejos verkleidet sind. Diese prunkvollen Gebäude zeugen von dem Wohlstand, den São Brás während der glorreichen Tage der Korkindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jh. erlebte. Zwischen den kleinen Häusern erscheint die Hauptkirche, die auf den Überresten einer im 15. Jh. errichteten und vom Erdbeben von 1755 zerstörten Kirche gebaut und im 19. Jh. erweitert wurde, noch imposanter. Im Inneren ist sie recht schlicht, ein Besuch lohnt sich dennoch, da sie die einzige in der Region ist, die in der Taufkapelle einen Altaraufsatz aus Marmor im neoklassischen Stil hat. Zudem sind dort drei wunderschöne Skulpturen aus dem 18. Jh. zu sehen, die den Erzengel Michael, den heiligen Liborius und die heilige Euphemia darstellen, sowie Gemälde aus dem 17. Jh.
Von dem mit alten Grabsteinen gepflasterten Platz vor dem Eingang der Hauptkirche genießt man einen schönen Ausblick auf die umliegende Landschaft und in der Ferne erspäht man den Atlantik. Obwohl der Blick bis zur Küste reicht, liegt São Brás de Alportel jenseits der Touristenströme und die Zeit vergeht um einiges langsamer. An das Heute erinnern das gegenüber der Kirche liegende Rathaus und einige Meter weiter östlich das moderne Gebäude der städtischen Bibliothek – aber auch die vielen Fahrzeuge der Stadtangestellten, die den Platz neben der Kirche als Parkplatz nutzen. Weiter Richtung Osten, dem Schild „Piscina“ folgend, erreiche ich die Gartenanlage Jardim da Verbena und das Centro de Artes e Ofícios. Das Gebäude war einst die Sommerresidenz der Bischöfe der Algarve, die das milde Klima von São Brás zu schätzen wussten, und nach der Ausrufung der Ersten Republik 1910 diente es als erste Grundschule der Ortschaft. Heute ist es das Kunst- und Handwerkszentrum sowie das Tourismusbüro. Neben den üblichen Broschüren über lokale Sehenswürdigkeiten und Wanderrouten, ist dort monatlich eine Kunstausstellung zu sehen. Die schönsten Kunstwerke entdecke ich im schmalen, schwach beleuchteten Flur: Dort hängen „Bilder aus Kork“, die die Phasen der Korkindustrie darstellen, vom Schälen der Eichenrinde bis zur Anfertigung der Korken. Der Künstler, der diese feine Handarbeit leistete, hieß Montes und schenkte die Bilder dem Eigentümer der Korkfabrik Fabricor, der sie wiederum der Stadt überließ.
Ebenfalls im ehemaligen Bischofspalast untergebracht ist die Casa do Artesão. Siebzehn Kunsthandwerker sind dort vertreten und abwechselnd anzutreffen. Die meisten bieten Schmuck und textile Handarbeiten an; die für das traditionelle Flechtwerk empreita zuständige Künstlerin ist mittwochs nachmittags vor Ort.
Mehrfach umgebaut, ist vom ursprünglichen Palast nur noch ein Teil des Hauptgebäudes und der barocke Brunnen in der Gartenanlage, die zur Sommerresidenz gehörte, erhalten. Der Jardim da Verbena wurde mittlerweile ebenfalls umgebaut, lädt aber weiterhin zur Abkühlung ein, sei es im Schatten der Bäume oder im städtischen Freibad. Im Sommer finden dort zudem verschiedene Veranstaltungen statt.
Nicht weit davon liegt die Casa da Barreira, eines der wenigen Cafés in der Altstadt und sicher eines der schönsten. Die Terrasse vor dem traditionellen Haus ist einladend, aber im hinteren Teil des Cafés, das früher ein Tante-Emma-Laden war, liegt ein kleiner, schattiger Innenhof, der ebenfalls seine Vorzüge hat. Zudem gibt es hier leckere Kost aus dem Hinterland.
Zuletzt sollte man unbedingt das Museu do Traje besuchen. Auf dem Weg dorthin entdecke ich einen Parkplatz, der mein Interesse weckt. Er liegt inmitten frisch getünchter weißer Mauern, an denen alte Schwarz-Weiß-Bilder hängen. Sie wurden 2014 im Rahmen des 100. Jubiläums des Bezirkes angebracht. Auf einem sind junge Frauen auf dem Weg zu einem Tanzabend zu sehen, auf einem anderen posiert die lokale Feuerwehr stolz mit ihrem ersten Löschfahrzeug. Erinnerungen der Bewohner.
Schließlich erreiche ich das Trachtenmuseum. Eines der schönsten Museen der Algarve. Es ist im ehemaligen Herrenhaus von António Bentes untergebracht, der durch den Korkhandel zu Reichtum kam. Das sowohl außen als auch innen reich verzierte Gebäude, das 1899 errichtet wurde und später auch den Familien Andrade und Sancho als Residenz diente, ist von einer Infrastruktur umgeben, die den damaligen Bedürfnissen einer wohlhabenden, ländlichen Familie entsprach: Neben dem Hauptgebäude gibt es das Bedienstetenhaus, verschiedene Ställe, Werkstätten und einen Gemüsegarten, sowie Brunnen, Windmühle und Zisterne. Das Museum zeigt im Hauptgebäude Trachten und Gegenstände des täglichen Lebens und eine Sammlung von landwirtschaftlichen Geräten in den anliegenden früheren Stallungen. Hinzu kommt eine Sammlung von Karossen und Kutschen und ein der Korkgewinnung und verarbeitung gewidmetes Museum, in dem unter anderem eine alte römische Waage ausgestellt ist, mit der die Korkrinde gewogen wurde; ein Kessel, in dem die Rinde bei 100 Grad für eine Stunde gekocht wurde, um sie zu desinfizieren und flexibler zu machen; eine Presse, mit der die Korkstapel komprimiert wurden und eine garlopa, die Maschine, mit der die Flaschenkorken aus der Rinde gestanzt wurden. Somit ermöglicht das Museum eine vollständige Zeitreise in die Geschichte der Kleinstadt. In der Umgebung von São Brás gibt es auch einiges zu sehen. Doch darüber berichten wir ein anderes Mal.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 11/2019