Serpa liegt zwischen dem Rio Guadiana und dem Rio Chança dicht an der spanisch-portugiesischen Grenze. Der mittelalterliche Kern ist größtenteils gut erhalten und bietet neben pittoresken Impressionen jede Menge Kulturgut und Leckeres aus dem Alentejo
Der Volksmund erzählt, wie Serpa zu seinem Namen kam. Und wie viele Volkslegenden Portugals schildert auch diese die Geschichte einer wunderhübschen Prinzessin. Verehrt von gleich drei Prinzen, die um sie warben, später kämpften, verließ Serpentine ihre Heimat am anderen Ende der Iberischen Halbinsel und brach auf gen Westen. Viele Wochen lang waren sie und ihre Gesandtschaft unterwegs, bis sie das Ufer des Rio Guadiana erreichten, den Fluss überquerten und auf einer Anhöhe fruchtbares Weideland für ihre Tiere und fruchtbare Erde für Anbau von Getreide und Wein fanden. Olivenbäume spendeten Ölfrüchte, zahlreiche Quellen Wasser und der schieferhaltige Boden essenzielle Mineralerze für das Schmiedehandwerk. Prinzessin Serpentine ließ sich nieder. Ihr Vater mit seinem Heer und deren Familien folgten ihr. Er befriedete die Gegend, erhob den Ort zu seinem Machtzentrum im damaligen Turdetanien und taufte ihn auf den Namen seiner Tochter. Aus Serpentine wurde im Laufe der Jahrhunderte kurz Serpa.
Im Andenken an diese Legende schmückt das Stadtwappen Serpas ein Serpent und die Straßenlaternen im Altstadtkern ein schmiedeeiserner Schlangenkopf. An der Hauptverbindungsstrecke gelegen zwischen Hispalis, dem heutigen Sevilla und Olissipo, heute Lissabon, mauserte sich der Marktflecken mit Burg zu einem prosperierenden Handelsplatz. Allen voran Eisen, Kupfer, Blei und Mangan waren begehrte und hoch bezahlte Handelsgüter sowie Getreide und Kork, die mit Lastkähnen vom Flusshafen Pomarão in der Nähe von Serpa, den Guadiana flussabwärts nach Baesuris in den Hafen des heutigen Castro Marim an der Algarve transportiert wurden und dort umgeladen auf Segelschiffe als Exportwaren den Weg in die Mittelmeerländer fanden.
Der ursprüngliche Bergfried diente den maurischen Eroberern, um ihre Befestigungswälle zu errichten, den Siedlungsbereich zu erweitern und drei Stadttore zu bauen: die Portas de Beja, Sevilla und Moura. Sie führen bis heute den Besucher in die Altstadt hinein und hinaus. Außen wie innen an der Stadtmauer entlang, schmiegen sich typisch weiß gekalkte Bauernhäuser, deren Dächer an den Quadern der Bastion abschließen. Mächtige an Minarette erinnernde Schornsteinschlote entlassen in der kalten Jahreszeit Rauchfähnchen aus den Küchen der Häuschen. Gassen und Treppen im Gassenlabyrinth rund um den Bergfried sind mit Kopfstein, Schieferstein und Steinplatten belegt. Leicht ansteigend gelangt man zum Platz vor der Igreja de Santa Maria. Auf dem Platz stehen, wie überall in Serpa verteilt, tausendjährige Ölbäume und symbolisieren den göttlichen Saft, der Serpa und seinen Bewohnern seit 3.000 Jahren Existenz schenkt.
In einem niedrigen Haus am Platz mit gotisch inspiriertem Spitzbogentor befand sich einst das Wachhäuschen und heute ein entzückend sortiertes Kunsthandwerkslädchen. An einer Nähmaschine sitzt eine Mitarbeiterin und bastelt Flickenpuppen mit -authentischer Tracht der Region. Ansprechende Keramik, von Hand getöpfert und bemalt, flauschige Schafswolldecken und Schals, Miniaturstühlchen mit naiven Motiven dekoriert und andere typisch lokale Produkte stöbert man hier auf.
Gegenüber führt ein Durchlass zum Eingang in die Ritterburg. Ein monströses Stück Turm liegt quer über dem Portal. Kein Erdbeben hat den ehemaligen Wachturm zu Fall gebracht, sondern ein gezielter Beschuss mit Kanonenkugeln seitens der spanischen Besetzer während des 28 Jahre schwelenden Konflikts zur Restaurierung der portugiesischen Souveränität. Serpa, als Grenzstadt und wegen der Bodenschätze begehrt, wechselte die Nationalflagge mehrmals im Laufe der turbulenten Geschichte entlang der Grenze zwischen den einst verfeindeten Königreichen Kastilien und Portugal. Im Jahre 1674 verlieh der damalige Prinzregent und künftige König D. Pedro II, Serpa den Titel Vila Notável de Serpa. Die „bemerkenswerte Stadt“ konnte trotz großer Zerstörung ihre Stellung halten und erhielt hierfür den bis heute gültigen königlichen Ehrentitel.
Von den Burgzinnen kann man dem Ort aufs Dach schauen und nach außen in alle vier Himmelsrichtungen Ausschau bis nach Beja, Richtung Spanien und Moura halten. Erhaben liegt die einstige Bastion eingebettet in endlose Getreideflächen, die wie tonerdenrote und saatgrüne Streifen am Horizont enden. Etliche Kirchen und Kapellen strecken ihre barocken und klassizistischen Giebel mit dem katholischen Kreuz und Glockenturm aus dem Dächermeer Serpas hervor. Auf einem nahen Hügel glänzt gleißend weiß die Wallfahrtskapelle Nossa Senhora de Guadalupe, zu deren Ehren an Karfreitag und am Dienstag nach Ostern eindrucksvolle Prozessionen zu Fuß, hoch zu Ross und mit Leiterwagen stattfinden, die bis in die Stadt führen und als Abbitte für gute Ernte und genügend Niederschlag zelebriert werden.
Der einst maurische Wachturm gegenüber der Igreja de Santa Maria ist aus Lehmziegel errichtet, diente Serpa ab 1440 als Uhrenturm und ist einer der ältesten drei Uhrentürme des gesamten Landes. Westlich am Bergfried schließt eine aristokratische Residenz an. Der Palácio dos Condes de Ficalho. Für seinen einzigartig im Alentejo bestückten exotischen Gartenpark wurde an die Stadtmauer eigens ein Aquädukt erbaut, dessen Brunnenförderrad in mehreren Metern Höhe, angetrieben vermutlich von einem Esel, Wasser aus dem Tiefbrunnen über einen Kanal auf der Stadtmauer entlang in den Garten der Burggrafen transportiert hat. Von den Zinnen aus erhascht man einen Blick in das leider mittlerweile völlig verwilderte, einst wunderschön angelegte botanische Kleinod.
Im Burghof stehen archäologische Fundstücke und Grabsteine aus der Ritterzeit ausgestellt; im Gouverneurshaus erfährt man mehr über die Geschichte der Bastion. Über einen Steg gelangt man außen unten an der Burgmauer entlang zum einst maurischen Haupttor an der Rückseite des Bergfrieds.
Zurück auf dem Platz vor der Kirche Santa Maria führt eine imposante, mittlerweile mit Marmor belegte, früher kunstvoll mit Kieselsteinen aus der Region befestigte Treppe abwärts auf den Praça da República. Auch alle anderen Gassen und Sträßchen enden vor dem Rathaus. Dort im Treppenhaus verbirgt sich ein Spätrenaissance-Kunstschatz der Deckenmalerei, den man nach Anmeldung beim Pförtner anschauen kann.
In den Nebengassen stößt man auf etliche Kuriositäten. Ein Schuster, der mit Original Schusterleisten die unverwüstlichen Alentejo-Lederstiefel näht. Diverse Puppennähstuben. Außerdem das ethnografische Museum sowie die städtische Galerie für zeitgenössische Kunst. Oder das private Uhrenmuseum, eines von lediglich fünf weltweit, das im April sein 25-jähriges Bestehen feiert. Die Privatsammlung umfasst über 2.000 Exponate diverser Hersteller und Materialien. Die Schweizer Kuckucksuhr fehlt hier genauso wenig wie französische Tischuhren in üppiger Barockmanier in Porzellan integriert oder ein astronomisches Uhrenmodell, das unendlich weiter tickt, ohne dass es jemals aufgezogen werden müsste. Imposante Pendeluhren, eine stattliche Anzahl antiker Taschenuhren, filigrane Damenarmbanduhren sowie die erste Serie Roscoff, die Uhr für den „kleinen“ Mann, der sich einen Zeitmesser als Statussymbol niemals hätte leisten können. Eine bemerkenswerte Kollektion internationaler Uhrengeschichte und mode, untergebracht im früheren Convento do Mosteirinho, vorgestellt mit hauseigener Führung.
Ein Stück weiter, die Gasse entlang, liegt das Tourismusbüro und gegenüber die Casa do Cante. Aus dem Foyer hallt polyphoner Gesang, eine Gruppe lebensgroß getöpferte Skulpturen, die Hirten und Bauern darstellen, stehen in der Eingangshalle. Hier ist ihr Gesang zu Hause. Der Cante Alentejano. Seit 2014 in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen, erfreuen sich in Serpa zahlreiche Festivals rund um den polyphonen Gesang in großem Choraufgebot mit dörflich lokalspezifischer Tracht bekleidet, mehrmals im Jahr großer Beliebtheit. Der Rancho Folclórico da Vila de São Bento geht sogar regelmäßig auf Tournee und tritt auf vor großem Publikum im Teatro Lethes in Faro, im Centro Cultural de Belém sowie auf anderen nationalen und internationalen Bühnen.
Rund um den Rathausplatz kann man sich nach einem Spaziergang ausgiebig kulinarisch mit regionalen Käse- und Schinkenspezialitäten laben. Für den großen Hunger empfiehlt sich eine Einkehr in das Traditionshaus Molhó Bico. Saftig Gegrilltes und Geschmortes vom porco preto, köstlich gewürzter migas (Brotbrei) mit Waldpilzen oder grünem Spargel, der Fischtopf mit Koriander sopa de cação, der Schmortopf ensopado de borrego, und nicht zu vergessen die opulenten Desserts, allen voran die sericaia mit kandierten Pflaumen, halten was der Name des Restaurants Molhó Bico verspricht. Allein beim Lesen der Speisenkarte läuft dem Gast bereits das Wasser im Mund zusammen.
Text und Fotos: Catrin George Ponciano in ESA 04/2020